19.06.2024 07:15:03 - dpa-AFX: ROUNDUP: Wachsende Sorgen vor neuem Krieg im Libanon - Die Nacht im Überblick

TEL AVIV/BEIRUT (dpa-AFX) - Israels Militär hat Pläne für eine Offensive im
Libanon abgesegnet und damit Sorgen vor einer Eskalation des Konflikts mit der
proiranischen Hisbollah-Miliz geschürt. Ranghohe Kommandeure hätten bei einer
Lagebeurteilung "operative Pläne für eine Offensive im Libanon" genehmigt,
teilte das Militär am Dienstagabend mit. Die Bereitschaft der Truppen werde
weiter erhöht. Darauf angesprochen sagte der Sprecher des Pentagons in
Washington, Pat Ryder: "Ich werde mich nicht in Hypothesen ergehen oder darüber
spekulieren, was passieren könnte, sondern nur sagen, dass niemand einen
größeren regionalen Krieg will". Der Kommunikationsdirektor des Nationalen
Sicherheitsrates der USA, John Kirby, sagte vor dem Hintergrund des Kriegs im
Gazastreifen zwischen Israel und der mit der Hisbollah-Miliz verbündeten
islamistischen Hamas: "Wir wollen keine Eskalation. Wir wollen keine zweite
Front sehen".

Israels Außenminister droht mit Eskalation

Israels Außenminister Israel Katz drohte am Dienstagabend auf der Plattform
X: "In einem umfassenden Krieg wird die Hisbollah zerstört und der Libanon
schwer getroffen". Weiter schrieb Katz: "Wir stehen kurz vor dem Moment der
Entscheidung, die Regeln gegen die Hisbollah und den Libanon zu ändern". Zuvor
hatte die Hisbollah Luftaufnahmen nach eigener Darstellung aus Nordisrael
veröffentlicht. Die Bilder sollen etwa den Hafen von Haifa und andere wichtige
strategische Orte in der Gegend zeigen und von einer Drohne aufgenommen worden
sein. Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah prahle damit, die Häfen von Haifa gefilmt
zu haben und drohe, sie anzugreifen, schrieb Israels Außenminister weiter.

Seit Beginn des Gaza-Kriegs vor mehr als acht Monaten kommt es täglich zu
militärischen Konfrontationen zwischen der israelischen Armee und der
libanesischen Hisbollah-Miliz im Grenzgebiet zwischen beiden Ländern. Auf beiden
Seiten gab es dabei Tote. Israel will durch militärischen und diplomatischen
Druck erreichen, dass sich die Hisbollah wieder hinter den 30 Kilometer von der
Grenze entfernten Litani-Fluss zurückzieht - so wie es eine UN-Resolution von
2006 vorsieht. Die Schiitenmiliz gilt als deutlich schlagkräftiger als die Hamas
in Gaza. Der US-Gesandte Amos Hochstein führte am Dienstag Gespräche im Libanon,
um eine Waffenruhe zu erreichen. Nach libanesischen Informationen wollte
Hochstein der libanesischen Regierung dabei eine scharfe Warnung der
israelischen Seite übermitteln.

Netanjahu geht US-Regierung wegen Waffenlieferung an

Unterdessen ging Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu die US-Regierung
in einem Video wegen einer zurückgehaltenen Waffenlieferung mit harschen Worten
an und sorgte damit für Irritation beim wichtigsten Verbündeten. Er habe
US-Außenminister Antony Blinken kürzlich in Israel gesagt, es sei
"unbegreiflich, dass die Regierung Israel in den vergangenen Monaten Waffen und
Munition vorenthalten hat", sagte Netanjahu in einer am Dienstag
veröffentlichten Videoansprache. "Außenminister Blinken hat mir versichert, dass
die Regierung Tag und Nacht daran arbeite, diese Engpässe zu beseitigen. Ich
hoffe wirklich, dass dies der Fall ist."

Blinken wies die Kritik entschieden zurück. Die USA hätten sich
verpflichtet, dafür zu sorgen, dass Israel über das verfüge, was es brauche, um
sich gegen eine Vielzahl von Bedrohungen zu verteidigen, sagte er auf Nachfrage
in Washington. Daran halte man fest. Es gebe einen Fall, den US-Präsident Joe
Biden öffentlich gemacht habe, nämlich die Lieferung von 2000-Pfund-Bomben, die
weiterhin überprüft werde, weil die US-Regierung Bedenken habe, dass die Bomben
in einem dicht besiedelten Gebiet wie Rafah im Süden Gazas eingesetzt werden
könnten. "Aber alles andere geht seinen gewohnten Gang", sagte Blinken. Eine
Sprecherin des Weißen Hauses sagte auf Nachfrage, es gebe nur diese eine
zurückgehaltene Lieferung.

Bericht: Washington sagt Treffen mit Israelis ab

Nach der harschen Kritik von Netanjahu in dem Video habe das Weiße Haus ein
eigentlich für Donnerstag in Washington geplantes Treffen mit ranghohen
Vertretern Israels wieder abgesagt, schrieb der gut vernetzte israelische
Journalist Barak Ravid in der Nacht zum Mittwoch auf X. Zuvor hatten die
"Bild"-Zeitung und andere Medien berichtet, Blinken habe Netanjahu signalisiert,
in den kommenden Tagen die Beschränkung der Waffenlieferung aufzuheben. Es werde
einfacher sein, die zurückgehaltene Lieferung freizugeben, sobald Israels
Militär den Einsatz in Rafah beende, zitierte das US-Nachrichtenportal "Axios"
US-Beamte. Israels Armee hat ihre Kriegsziele in Rafah nach eigenen Angaben bald
erreicht.

Die Hälfte der Kampfverbände der Hamas in Rafah sei zerschlagen, hieß es am
Montag. 60 bis 70 Prozent des Territoriums der Stadt befänden sich unter
"operativer Kontrolle" der israelischen Truppen. Die Anfang Mai begonnene
Offensive war stark umstritten, weil sich damals mehr als eine Million
Palästinenser in Rafah aufhielten. Inzwischen sind fast alle in ein westlich
gelegenes Gebiet geflüchtet, wo sie aber nur schwierig versorgt werden können.

Erneut Massenproteste in Israel gegen Netanjahu-Regierung

Unterdessen kam es in Israel am Dienstagabend erneut zu Massenprotesten
gegen die Regierung Netanjahu. In der Nähe des Parlamentsgebäudes in Jerusalem
forderten die Demonstranten Neuwahlen, wie mehrere israelische Medien
berichteten. Viele Israelis werfen Netanjahu vor, sich den Forderungen seiner
extremistischen Koalitionspartner zu beugen und deshalb auch einen Deal zur
Freilassung der von der Hamas im Gazastreifen weiter festgehaltenen Geiseln zu
hintertreiben. Einige von Netanjahus Ministern sind gegen ein Abkommen mit der
Islamistenorganisation, da es auch eine Waffenruhe sowie die Entlassung
palästinensischer Häftlinge aus israelischen Gefängnissen vorsehen würde.

Auslöser des Gaza-Kriegs war das beispiellose Massaker mit mehr als 1200
Toten, das Terroristen der Hamas und anderer Gruppen am 7. Oktober in Israel
verübt hatten. Nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde
sind seit Beginn des Kriegs mehr als 37 300 Menschen in Gaza getötet worden. Die
Angaben unterscheiden nicht zwischen Zivilisten und Kombattanten und lassen sich
nicht unabhängig überprüfen./ln/DP/zb

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