20.02.2024 12:12:43 - dpa-AFX: HINTERGRUND: Eine Frage des Geldes - Russen haben sich an Sanktionen gewöhnt

MOSKAU (dpa-AFX) - In Moskaus schillernder Einkaufswelt haben nach dem
kriegsbedingten Weggang einiger großer westlicher Ketten längst andere die
Geschäfte übernommen. Im Jewropejski-Einkaufzentrum im Herzen Moskaus ist anders
als nach Beginn der Sanktionen kaum noch Leerstand zu sehen. Es gibt Mode aus
der Türkei, Technik von Miele oder Apple , darunter auch das
neuste iPhone. Vieles, was es eigentlich nicht geben sollte, gelangt über
Parallelimporte aus Drittländern in das Riesenreich. Die Warenwelt lässt zwei
Jahre nach Kriegsbeginn keine Wünsche offen, wie Moskauer in Gesprächen betonen.

Das Staatsfernsehen tönt immer wieder, die vom Westen im Zuge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine erlassenen Sanktionen schadeten den Menschen
in der EU deutlich mehr als der Rohstoffgroßmacht. Neben Öl und Gas gebe es auch
sonst alles, was es zum Überleben brauche.

Zwei Jahre nach Beginn der Invasion, die Kremlchef Wladimir Putin am 24.
Februar 2022 befohlen hatte, läuft die Kriegswirtschaft auf Hochtouren. Der
Konsum brummt. Der Präsident betont, der Westen sei gescheitert mit seinen
beispiellosen Sanktionen.

Zwar haben sich viele westliche Firmen, vor allem große wie Siemens
, VW und Mercedes vom russischen
Markt zurückgezogen, ihre Geschäfte - meist mit massiven Abschlägen - verkauft.
Trotzdem ist die Mehrheit auch deutscher Unternehmen weiter in Russland tätig.
Sie wollen oder können die über Jahre geleisteten Investitionen in
Milliardenhöhe nicht einfach in den Wind schreiben.

Auch deutsche Firmen machen weiter Geschäfte in Russland

Der Großhandelskonzern Metro etwa verteidigt den Verbleib in Russland. "Wir
tragen Verantwortung für unsere rund 9000 lokalen Mitarbeitenden und versorgen
viele der klein- und mittelständischen Kunden - also Restaurants und Händler -
mit Lebensmitteln", sagte ein Sprecher. Dem Unternehmen zufolge gab es in
Russland seit Kriegsbeginn keine Wachstumsinvestitionen mehr.

"Wir verurteilen den Krieg aufs Schärfste", sagte Metro-Chef Steffen Greubel auf der Hauptversammlung Anfang Februar. Zugleich verwies er auf ausländische
Unternehmen, die Russland verlassen wollten und "zwangsenteignet" wurden. Es sei
nicht im eigenen Interesse, das Geschäft Oligarchen aus dem Umfeld der
russischen Regierung zu überlassen, sagte Greubel. Metro hat in Russland 93
Märkte, 89 in eigenem Besitz.

Der Krieg hat bei Metro dennoch deutliche Spuren hinterlassen. Der Umsatz im Geschäftsjahr 2022/23 ging auch infolge der Kaufzurückhaltung deutlich um 7,9
Prozent in lokaler Währung zurück, der berichtete Umsatz wegen negativer
Wechselkurseffekte noch stärker (minus 13,6 Prozent). Bei Metro wird erwartet,
dass der Negativtrend anhält.

Starker Einbruch des deutschen Handels mit Russland

Laut dem Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft verzeichnete der
Russland-Handel insgesamt im vergangenen Jahr einen historisch beispiellosen
Einbruch um 75 Prozent. Die Rohstoffgroßmacht, einst wichtiger Gas- und
Öllieferant für Deutschland, fiel auf Platz 38 der Handelspartner hinter
Slowenien (2022: Platz 14). Der deutsche Handel mit Russland schrumpfte demnach
im Zuge der Sanktionen 2023 um drei Viertel auf 12,6 Milliarden Euro. "Die
früher von Energieträgern dominierten Einfuhren sanken nach dem Beginn des
Ölembargos Anfang 2023 um 90 Prozent auf nur noch 3,7 Milliarden Euro", hieß es.

Vertreten sind aber weiter Hunderte deutsche Unternehmen in Russland
- vor allem in Bereichen, in denen westlichen Sanktionen nicht
gelten, um nicht den einfachen Menschen im nach Fläche größten Land der Welt zu
schaden. Beispiele sind die Branchen Lebensmittel, Landwirtschaft, Gesundheit
und Pharma. Aber insgesamt gilt die Lage als extrem instabil.

Ängste vor Putins Zwangsverwaltung oder Enteignung

Globus etwa betreibt in Russland ausschließlich Lebensmittelmärkte. Die
Investitionen seien zwar "frühzeitig und signifikant" reduziert worden. "Dennoch
leisten die Märkte weiterhin einen Beitrag zur Grundversorgung der russischen
Zivilbevölkerung", sagt eine Sprecherin auf Anfrage. "Darüber hinaus zeigen
verschiedene Beispiele und verabschiedete Gesetze, dass ein Rückzug aus dem
russischen Markt zur Enteignung von Unternehmen führen kann, womit dem
russischen Staat erhebliche Vermögenswerte zufallen würden."

Solche Ängste, dass Betriebe per Erlass Putins unter Zwangsverwaltung
gestellt werden, halten sich, seit Russland die beiden internationalen Marken
Danone und Carlsberg unter Kontrolle nahm. Auch
für Unternehmen, die nicht von Sanktionen betroffen sind, stellt sich die Frage,
ob es vertretbar ist, im Land zu bleiben. In der Ukraine werden westliche
Unternehmen, die in Russland weiter Geschäfte machen, bisweilen als "Sponsoren
des Krieges" öffentlich gebrandmarkt.

In die Kritik geraten war auch Ritter Sport, weiter Schokolade nach Russland zu liefern. Das Unternehmen beschloss, nicht mehr in den russischen Markt zu
investieren, Werbung zu stoppen und den Gewinn aus Russland an humanitäre
Hilfsorganisationen zu spenden. Russland war für Ritter Sport nach Deutschland
auch 2023 der größte Absatzmarkt - wenngleich bei leicht rückläufigem Umsatz.

Russen schätzen deutsche Produkte

Viele Russen schätzen deutsche Waren. "Alles ist aber sehr teuer geworden",
klagt eine Seniorin im Supermarkt Perekrjostok am Kiewer Bahnhof in Moskau. Auch
mit ihrer vergleichsweise guten Moskauer Rente von rund 300 Euro könne sie sich
nicht alles leisten. Sie hat Kefir, Milch und Käse aus der Molkerei des
deutschen Unternehmers Stefan Dürr im Korb. Sein Foto lässt der
Baden-Württemberger, der Verwaltungschef des russischen
Milchwirtschaftsverbandes Sojusmoloko und mit dem Unternehmen EkoNiva größer
Produzent des Landes ist, als Markenzeichen auf die Verpackungen drucken.

Für jüngere Moskauer mit höheren Einkommen und anderen Bedürfnissen aber tun sich wegen der Sanktionen bisweilen Hürden auf. "Computerprogramme zum Beispiel
sind wegen der Sanktionen nicht einfach weiter nutzbar wie vor den Sanktionen",
erzählt der junge Grafiker Andrej. Hier ist nicht nur eine Umgehung des
russischen Teils des Internets durch einen VPN-Server nötig, um etwa
Grafikprogramme anwenden zu können. Auch die Bezahlung von Software-Abonnements
ist umständlicher geworden.

Sanktionen werden oft umgangen

Weil Visa und Mastercard ihre Systeme in Russland
abgeschaltet haben und auch viele Banken vom internationalen
Finanzkommunikationsnetzwerk Swift abgetrennt sind, können Zahlungen nicht mehr
ohne Weiteres abgewickelt werden. Andrej hat ein Konto in der früheren
Sowjetrepublik Usbekistan eröffnet, um so online und mit einer Visakarte seine
Software einzukaufen und zu bezahlen.

Für reiche Russen aber, die sich selbst lange Aufenthalte in Dubai, Thailand und anderswo leisten können, gelten die Möglichkeiten ohnehin als unbegrenzt.
Sie lächeln die Sanktionen weg. Vermögende können in Moskaus Autohäusern weiter
beliebige Modelle bestellen und auch in den Luxuskaufhäusern und Edelboutiquen
internationaler Designer einkaufen. Sie finden stets Wege, Sanktionen zu
umgehen. Wie auch Putin einmal sagte, gibt trotz der Strafmaßnahmen weiter alles
wie vor dem Krieg. Am Ende sei das nur eine Frage des Geldes./mau/DP/jha

--- Von Ulf Mauder, Christian Rothenberg und Wolfgang Jung, dpa ---
Name WKN Börse Kurs Datum/Zeit Diff. Diff. % Geld Brief Erster Schluss
APPLE INC. 865985 Frankfurt 200,500 01.07.24 17:30:10 +2,700 +1,36% 200,300 200,350 197,180 197,800
CARLSBERG A/S NAM. B DK20 861061 Frankfurt 113,100 01.07.24 08:14:20 -0,300 -0,26% 113,100 113,750 113,100 113,400
MERCEDES-BENZ GRP NA O.N. 710000 Frankfurt 64,920 01.07.24 17:07:49 +0,340 +0,53% 0,000 0,000 65,030 64,580
SIEMENS AG NA O.N. 723610 Frankfurt 177,460 01.07.24 17:27:20 +3,760 +2,16% 0,000 0,000 175,080 173,700
VOLKSWAGEN AG VZO O.N. 766403 Frankfurt 106,650 01.07.24 16:33:49 +1,400 +1,33% 0,000 0,000 106,500 105,250

© 2000-2024 DZ BANK AG. Bitte beachten Sie die Nutzungsbedingungen | Impressum
2024 Infront Financial Technology GmbH