23.05.2024 06:35:02 - dpa-AFX: ROUNDUP: Israel will Geisel-Verhandlungen fortsetzen - Die Nacht im Überblick

TEL AVIV/GAZA/KAIRO (dpa-AFX) - Israels Regierung will nach der
Veröffentlichung verstörender Videoaufnahmen von der Entführung fünf
israelischer Soldatinnen die Gespräche über eine Freilassung aller noch im
Gazastreifen festgehaltenen Geiseln wieder aufnehmen. Das Kriegskabinett wies
das Verhandlungsteam an, die Bemühungen um eine Freilassung der Entführten
fortzusetzen, berichteten israelische Medien in der Nacht zum Donnerstag unter
Verweis auf eine Erklärung des Büros von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu.
Währenddessen protestierten in Tel Aviv und in Jerusalem Tausende von Menschen
und forderten die sofortige Freilassung der Geiseln, die während des
Hamas-Massakers am 7. Oktober verschleppt worden waren. Die Familien der
Entführten riefen die israelische Regierung dazu auf, "nicht einen einzigen
Moment mehr zu vergeuden" und sofort an den Verhandlungstisch zurückzukehren.

Ägypten droht mit Rückzug als Gaza-Vermittler

Unterdessen hat Ägypten mit dem Rückzug von seiner Rolle als Vermittler im
Gaza-Krieg zwischen Israel und der islamistischen Hamas gedroht. Andauernde
Versuche, die ägyptischen Vermittlungsbemühungen und die Rolle Ägyptens mit
falschen Behauptungen in Zweifel zu ziehen, würden die Situation im Gazastreifen
und in der gesamten Region nur weiter verkomplizieren, erklärte Diaa Rashwan,
Chef des staatlichen ägyptischen Informationsdienstes, am Mittwochabend in einer
in sozialen Medien verbreiteten Mitteilung. Dies könne "die ägyptische Seite zu
der Entscheidung veranlassen, sich vollständig aus der Vermittlungstätigkeit in
dem Konflikt zurückzuziehen". Er reagierte damit auf einen CNN-Bericht, wonach
der ägyptische Geheimdienst einen von Israel akzeptierten Vorschlag für eine
Waffenruhe ohne Rücksprache mit den anderen Vermittlern geändert haben soll.

Da Israel und die Hamas nicht direkt miteinander verhandeln, fungieren
Ägypten, Katar und die USA als Vermittler. Ägyptens Geheimdienst soll dem
US-Sender CNN zufolge im Stillen den von Israel zuvor bereits akzeptierten
Vorschlag für eine Waffenruhe geändert und um weitere Forderungen der Hamas
ergänzt haben. Als die Islamisten einer Vereinbarung am 6. Mai zustimmten, habe
diese nicht dem Vorschlag entsprochen, von dem die anderen Vermittler dachten,
dass er der Hamas zur Prüfung vorgelegt worden sei, berichtete der Sender unter
Berufung auf drei mit den Beratungen vertraute, namentlich nicht genannte
Personen. Der Vorfall habe für enormen Ärger gesorgt und die Gespräche in die
Sackgasse geführt.

Netanjahu zu Geisel-Video: Tun alles für ihre Rückholung

In dem zuvor in Israel veröffentlichten Video, einem Zusammenschnitt von
Bodycam-Aufnahmen der Terroristen, sind verletzte, teilweise blutüberströmte
junge Frauen mit ihren schwer bewaffneten Entführern zu sehen. Die Frauen waren
im Grenzgebiet zum Gazastreifen als Späherinnen der Armee im Einsatz gewesen.
Sie sind offensichtlich verängstigt und haben die Arme hinten den Rücken
gebunden. Terroristen schreien sie immer wieder an und bedrohen sie. Die Eltern
der Frauen hatten der Veröffentlichung des Videos in der Hoffnung zugestimmt,
dass die schlimmen Bilder zur Freilassung ihrer Töchter und anderer Geiseln
infolge eines Deals zwischen Israel und der Hamas beitragen könnten.

Israels innenpolitisch unter Druck stehender Regierungschef Netanjahu
äußerte sich nach der Veröffentlichung des Videos: "Wir werden weiterhin alles
tun, um sie nach Hause zu bringen", versprach er laut der israelischen
Nachrichtenseite "Ynet". "Die Grausamkeit der Hamas-Terroristen bestärkt mich
nur darin, mit aller Kraft für die Eliminierung der Hamas zu kämpfen, damit sich
das, was wir heute Abend gesehen haben, niemals wiederholen kann."

Bei dem beispiellosen Terrorüberfall der Hamas im israelischen Grenzgebiet
am 7. Oktober waren rund 1200 Menschen getötet und mehr als 250 weitere als
Geiseln in den Gazastreifen verschleppt worden. Der Anschlag löste Israels
militärische Offensive in dem abgeriegelten Küstengebiet aus, bei der nach
Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde bisher mehr als 35
700 Menschen getötet wurden. Bei der unabhängig kaum zu überprüfenden Zählung
wird nicht unterschieden zwischen Kämpfern und Zivilisten.

USA: Israels Militäroperation in Rafah ist gezielt

Israels Vorstoß in der Stadt Rafah im südlichen Gazastreifen hat nach
Darstellung der US-Regierung bislang nicht das Ausmaß erreicht, vor dem sie
ihren Verbündeten gewarnt hat. "Die bisherigen israelischen Militäroperationen
in diesem Gebiet waren gezielter und begrenzter und umfassten keine größeren
Militäroperationen im Zentrum dicht besiedelter städtischer Gebiete", sagte der
Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, am Mittwoch in
Washington. Er war danach gefragt worden, ob Israel auf die Bedenken der
US-Regierung eingegangen sei und sie das unterstütze, was das israelische
Militär dort tue. "Wir müssen nun abwarten, wie sich die Lage weiter
entwickelt", betonte Sullivan. Die USA lehnen wegen der hohen Zahl an Zivilisten
eine große israelische Bodenoffensive in Rafah ab.

USA sehen angekündigte Anerkennung Palästinas kritisch

Nach der angekündigten Anerkennung Palästinas als Staat durch mehrere
europäische Länder spricht sich EU-Chefdiplomat Josep Borrell weiter für eine
Zweistaatenlösung in Nahost aus. "Ich nehme die heutige Ankündigung von zwei
EU-Mitgliedstaaten - Irland und Spanien - sowie von Norwegen zur Anerkennung des
Staates Palästina zur Kenntnis", schrieb der EU-Außenbeauftragte am
Mittwochabend auf der Plattform X. "Im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und
Sicherheitspolitik werde ich unermüdlich mit allen Mitgliedstaaten
zusammenarbeiten, um eine gemeinsame EU-Position auf der Grundlage einer
Zweistaatenlösung zu fördern." Auch Deutschland betont das Ziel einer
Zweistaatenlösung. Israels Regierungschef Netanjahu lehnt das jedoch ebenso ab
wie die Hamas, die Israel das Existenzrecht abspricht.

Die USA als Israels wichtigster Verbündeter sehen die angekündigte
Anerkennung Palästinas durch mehrere europäische Länder kritisch. "Wir glauben,
dass eine Zweistaatenlösung, die sowohl den Israelis als auch den Palästinensern
gerecht wird, nur über direkte Verhandlungen zwischen den Parteien erzielt
werden kann", sagte Sullivan am Mittwoch. Daran arbeite die Biden-Regierung seit
Langem. Es erschließe sich ihm nicht, wie die einseitige Anerkennung Palästinas
zu einem tatsächlichen Fortschritt hin zu einem Friedensprozess oder
Waffenstillstand beitrage.

Galant treibt Wiederaufbau von Siedlungen im Westjordanland voran

Der israelische Verteidigungsminister Joav Galant treibt unterdessen die
Wiederbesiedlung von vier Ortschaften im nördlichen Westjordanland voran, die
2005 geräumt worden waren. Als "historischen Schritt" bezeichnete Galant laut
Medienberichten am Mittwoch die Aufhebung von Anordnungen, die Israelis verboten
hatten, das Gebiet der ehemaligen Siedlungen Ganim, Kadim und Sanur zu betreten.
Der Zutritt zu einer vierten Siedlung war bereits zuvor genehmigt worden.

Israel eroberte während des Sechstagekrieges 1967 unter anderem das
Westjordanland und Ost-Jerusalem. Rund 700 000 Israelis leben dort heute in mehr
als 200 Siedlungen. Der UN-Sicherheitsrat bezeichnete diese Siedlungen 2016 als
völkerrechtswidrig und forderte Israel auf, alle Siedlungsaktivitäten zu
stoppen. Die Palästinenser wollen im Westjordanland, dem Gazastreifen und
Ost-Jerusalem einen eigenen Staat einrichten./ln/DP/stk

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