05.07.2024 20:39:51 - dpa-AFX: EM 2024/ROUNDUP/Endstation Viertelfinale: Spanien-Schock stoppt die EM-Party

STUTTGART (dpa-AFX) - Was für ein Drama, was für eine Energieleistung, was
für eine bittere Enttäuschung. Die EM-Party ist nach 120 Minuten voller
Leidenschaft und Fußball-Wahnsinn vorbei. Spaniens Übermacht hat den
schwarz-rot-goldenen Sommerspaß brachial beendet. Der Traum vom vierten EM-Titel
ist nach drei beschwingten Wochen mit Torfesten und Gute-Laune-Spielen zwei
Schritte vor dem Finale zu früh vorüber.

Berlin bleibt nach den schmerzhaften Toren des Leipzigers Dani Olmo (51.
Minute) und von Mikel Merino wenige Sekunden vor Schluss (119.) zum 1:2 (1:1,
0:0) nach Verlängerung nichts als ein Sehnsuchtsort für Julian Nagelsmann und
die deutsche Nationalmannschaft. Der zwischenzeitliche Ausgleich durch den
überragenden Florian Wirtz (89.) und eine Drangphase voller Mut und Siegeswille
halfen nichts.

Nach der bitteren Niederlage in Stuttgart gegen den schon wieder
unbezwingbaren Rivalen ist nicht nur die Heim-EM für die DFB-Elf nach dem
Viertelfinale beendet. Der am Ende von Krämpfen gepeinigte Toni Kroos tritt nach
114 Länderspielen mit einer schmerzhaften Niederlage von der Fußball-Bühne ab.
Wie es für die anderen Rio-Weltmeister Manuel Neuer und Thomas Müller in der
Nationalmannschaft weitergeht, ist abzuwarten.

In einem intensiven Spiel mit ganz vielen taktischen Winkelzügen und
zunächst wenig Fiesta-Fußball waren die Spanier wieder einmal cooler und reifer.
Das große Aufbäumen mit Fan-Liebling Niclas Füllkrug und die beste
Turnierleistung nach dem Gegentor wurden nicht belohnt - diesmal konnte auch der
deutsche Super-Joker das Glück nicht erzwingen. In der 77. Minute traf der
Dortmunder im Fallen den Pfosten. Am Ende rannte auch noch Müller mit an, Wirtz
sorgte immerhin für die Verlängerung.

Während die Furia Roja, bei der Daniel Carvajal Gelb-Rot sah (120.+5), um
ihren vierten EM-Stern spielt, geht es für Bundestrainer Nagelsmann zu früh in
den Urlaub, seinen 37. Geburtstag in gut zwei Wochen wollte der jüngste deutsche
Turniertrainer eigentlich mit dem EM-Pokal feiern.

Geschlagen, aber nicht gebeugt verlassen die DFB-Profis um Kapitän Ilkay
Gündogan die EM-Bühne. Auch am Freitag war die Stimmung im mit 54 000 Zuschauern
ausverkauften Stuttgarter Stadion und den pickepackevollen Fan-Zonen im ganzen
Land ausgelassen und euphorisch
- zumindest bis zum Nackenschlag kurz vor Schluss. Aus der deutschen
Fußball-Depression aus dem Spätherbst 2023 ist tatsächlich eine Aufbruchstimmung
entstanden. Völlig losgelöst - wie im recycelten Fan-Hit - geht es Richtung WM
2026 in den USA, Kanada und Mexiko weiter.

Viele Fouls und Unterbrechungen

"Nicht verstecken!", hatte Nagelsmann für das Viertelfinale vorgegeben - und dafür überraschend Emre Can statt Robert Andrich für die Startelf nominiert. Die
Anspannung war den Nationalspielern in der Anfangsphase aber deutlich anzusehen.
Nach Pedris Schuss schon nach 52 Sekunden, einem Aufreger, mit dem Neuer keine
Probleme hatte, hatte die DFB-Auswahl große Mühe, in die Partie zu finden.

Wegen vieler Fouls und Nickeligkeiten kam kaum Spielfluss zustande, Kroos
hatte großes Glück, dass eines seiner beiden Fouls in den ersten fünf Minuten
nicht direkt mit der Gelben Karte bestraft wurde. Der Weltmeister erwischte
Pedri so, dass dieser früh angeschlagen ausgewechselt wurde (8.). Für den 21
Jahre alten Lenker und Denker der Spanier kam Olmo in die Partie.

Zeichen setzen, die Spanier einschüchtern - der Gedanke hinter dem deutschen Auftakt in das Alles-oder-Nichts-Spiel war zu erkennen. Nur verhalf das harte
Gegenhalten der DFB-Auswahl nicht zu ihrer spielerischen Sicherheit.
Symptomatisch: Nach einem Fehler von Gündogan stürmte Olmo auf Neuers Tor zu,
Antonio Rüdiger ging mit einem Foul dazwischen und sah seine zweite Gelbe Karte
im Turnier - so oder so würde das Halbfinale ohne ihn stattfinden.

Kaum Raum für Musiala

Wenn was in der Offensive ging, dann über die rechte Seite. Joshua Kimmich
bediente in der Mitte Kai Havertz, dessen Kopfball aber zu zentral auf den
spanischen Torwart Unai Simón kam (21.). Die beiden offensiven Flügel, Jamal
Musiala und Leroy Sané, fanden zunächst nicht den Raum für ihre Technik und ihre
Schnelligkeit. Wie die Dänen im Achtelfinale (2:0) schienen die Spanier Musiala
als den Deutschen ausgemacht zuhaben, den es aus dem Spiel zu nehmen gilt. Der
linke Schienenspieler David Raum konnte sich hinter Musiala in der
Rückwärtsbewegung zu oft nur mit Fouls behelfen.

Spanien spielte nicht immer auf Weltklasseniveau. Auch das punktbeste Team
der Vorrunde brachte nicht alle Pässe an den Mann und hatte Mühe mit dem frühen
Pressing der Nationalmannschaft. Der englische Schiedsrichter Anthony Taylor
hätte in den ersten 45 Minuten mehr als die drei Gelben Karten zeigen können.
Ein Spiel "auf hohem taktischem Niveau", sagte Ex-Nationalspieler Michael
Ballack mit viel Spanien-Erfahrung bei MagentaTV über die erste Halbzeit. Früh
war klar: Wer in Rückstand gerät, wird große Probleme haben.

Neuer musste auch bei den Abschlüssen von Aymeric Laporte (23.) und Olmo
(39.) eingreifen. Der Chance des eingewechselten Spielmachers ging ein schneller
Ballgewinn der Spanier gegen den zu passiven Havertz voraus. Mit dem 0:0 zur
Pause konnten die deutschen Nationalspieler zufriedener sein als die Spanier.

Nagelsmann korrigiert - Olmo trifft

Auch deshalb korrigierte Nagelsmann zur zweiten Halbzeit seine
Personalentscheidungen: Für Can kam Robert Andrich, statt Sané spielte Florian
Wirtz mit. Die nächste richtig gute Chance hatten aber die Spanier: Álvaro
Morata setzte sich im Strafraum gegen Jonathan Tah durch und kam zum Abschluss,
der noch über das Tor von Neuer ging (47.). Doch der nächste Schuss der Spanier
saß.

Raum war gegen Spaniens Supertalent Lamine Yamal viel zu passiv, in der
Mitte ließ Kroos Olmo zu viel Raum. Der 26-Jährige schloss flach und platziert
ab - und die Spanier feierten. Jetzt wurde es ganz schwer für die DFB-Auswahl.

Die Fans auf den Rängen feuerten "Super Deutschland!" an, doch der Rückstand hemmte die Nationalspieler. Andrich sah nach einem Foul an Nico Williams die
Gelbe Karte (56.), wie bei Rüdiger seine folgenschwere zweite des Turniers. Dann
brachte Nagelsmann für Gündogan Publikumsliebling Füllkrug in die Partie, der
Stürmer lief unter lauten Jubelrufen der Fans auf den Rasen (57.).

Der DFB-Auswahl lief die Zeit davon. Immer wieder rannte sich Deutschland am spanischen Strafraum fest oder hatte Pech wie beim Pfostentreffer von Füllkrug.
Für die Schlussphase kam Müller für Tah in die Partie (80.), es zählte nur noch,
irgendwie den Ausgleich zu machen. Dann kam Wirtz und verwandelte nach Vorlage
von Kimmich. Die Entscheidung musste in der Verlängerung fallen, in der wieder
Wirtz nur ganz knapp vorbei schoss (105.+1). Dann kam der bittere Nackenschlag
kurz vor dem Elfmeterschießen./aer/DP/he

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