10.07.2024 08:30:38 - dpa-AFX: ROUNDUP 2/Mehr Luftabwehr: Nato-Gipfel startet mit Signal an Ukraine

(Aussagen von Selenskyj zur US-Wahl im 13. Absatz ergänzt)

WASHINGTON (dpa-AFX) - Zum Auftakt des Nato-Gipfels in Washington haben die
USA und andere Partner der Ukraine weitere militärische Unterstützung zugesagt.
US-Präsident Joe Biden kündigte bei einem Festakt zum 75-jährigen Bestehen des
Verteidigungsbündnisses an, die USA und weitere Nato-Staaten wollten Kiew
zusätzliche Ausrüstung zur Abwehr russischer Luftangriffe liefern. Die
Ankündigung fiel dürftiger aus, als manche erwartet hatten. Nato-Generalsekretär
Jens Stoltenberg warb noch einmal für deutlich mehr Hilfe und die Aufnahme der
Ukraine in das Bündnis.

Biden, der nach seinem verpatzten TV-Duell unter besonderer Beobachtung
steht, brachte seinen Auftritt fehlerfrei über die Bühne, allerdings mithilfe
eines Teleprompters.

Der Festakt wurde in der US-Hauptstadt im Andrew W. Mellon Auditorium
ausgerichtet und damit an dem Ort, an dem am 4. April 1949 mit dem Washingtoner
Vertrag das Gründungsdokument der Nato unterzeichnet wurde. Biden würdigte das
Bündnis als die "größte und wirksamste Verteidigungsallianz in der Geschichte
der Welt".

Alle Augen auf Biden gerichtet

Der Demokrat, der in diesem Jahr Gipfel-Gastgeber ist, kämpft derzeit an
allen Fronten darum, seine Kandidatur für die Präsidentenwahl im November zu
retten. Er hatte Ende Juni bei dem Fernseh-Duell gegen seinen republikanischen
Herausforderer Donald Trump einen desaströsen Auftritt hingelegt. Das fachte die
Debatte über seine mentale Fitness und seine Eignung für eine weitere Amtszeit
in einem ganz neuen Ausmaß an. Derzeit wird jede Regung, jeder Satz in der
Öffentlichkeit des 81-Jährigen genau analysiert.

Beim Nato-Festakt in Washington war Biden eine gewisse Anspannung
anzumerken. Er trug seine Rede vor den Staats- und Regierungschefs der
Nato-Mitgliedsstaaten ohne größere Patzer vor.

Die Ukraine im Fokus

Bei dem Gipfeltreffen steht der Ukraine-Krieg ganz oben auf der Agenda. Mit
der Zusage weiterer Unterstützung der ukrainischen Luftabwehr sandten die USA
und andere Alliierte gleich zum Start ein Signal an Kiew. Die Ukraine mahnt seit
langem eindringlich, sie brauche vor allem Ausrüstung, um das Land vor
russischen Luftangriffen zu schützen.

Kurz vor dem Nato-Gipfel hatte Russland schwere Attacken aus der Luft auf
Kiew gestartet, unter anderem auf ein großes Kinderkrankenhaus. Das löste große
Empörung aus.

Mehrere Nato-Länder - darunter die USA, Deutschland, Rumänien, die
Niederlande und Italien - kündigten in einem gemeinsamen Statement nun an, sie
wollten "zusätzliche strategische Luftverteidigungssysteme zur Verfügung
stellen, darunter zusätzliche Patriot-Batterien, die von den Vereinigten
Staaten, Deutschland und Rumänien gespendet wurden". Außerdem wollten die
Niederlande und andere Partner Komponenten liefern, um ein weiteres
Patriot-System zu betreiben, hieß es.

Eine künstlich aufgeblähte Ankündigung

Das meiste davon ist nicht neu. Bei dem deutschen Beitrag handelt es sich
nach Angaben aus Kreisen der Bundesregierung um eines von drei bereits
gelieferten Patriot-Systemen. Rumänien und die Niederlande hatten ihre Beiträge
auch bereits zuvor in Aussicht gestellt.

Die USA aber schicken nun ein weiteres Patriot-System an Kiew. Eines hatten
sie bereits geliefert. Das Patriot-Flugabwehrraketensystem zählt zu den
modernsten der Welt. Mit ihm werden feindliche Flugzeuge, ballistische Raketen
und Marschflugkörper bekämpft. Aus Nato-Kreisen hieß es, es sei enttäuschend,
dass bis zu dem Gipfel nicht Zusagen für mehr Patriot-Systeme zustande gekommen
seien.

In dem Statement sagen die Staaten Kiew allerdings auch Dutzende taktische
Luftabwehrsysteme - etwa vom Typ Nasams oder Iris-T - zu, ebenso wie Hunderte
zusätzliche Abfangraketen, die im Laufe des nächsten Jahres geliefert werden
sollen.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bedankte sich. Auf der
Plattform X schrieb er, die zusätzlichen Patriots und Luftabwehrsysteme würden
dabei helfen, "russische Drohnen und Raketen zu zerstören und die Ukrainer
besser vor russischem Terror aus der Luft zu schützen".

Bei einer Rede am Rande des Gipfels richtete Selenskyj den Blick auch auf
die US-Präsidentschaftswahl im November. Die ganze Welt schaue auf den
US-Wahlkampf und auch der Nato-Gipfel in Washington werde davon überschattet. Es
sei an der Zeit, "aus dem Schatten zu treten, starke Entscheidungen zu treffen
und zu handeln - und nicht auf den November oder einen anderen Monat zu warten",
mahnte Selenskyj. "Wir müssen stark und kompromisslos sein, alle zusammen."

Nato-Generalsekretär wirbt für neue Beitritte

Stoltenberg nutzte seine Rede, um für eine Aufnahme von beitrittswilligen
Ländern wie der Ukraine zu werben. Die Erweiterung des Bündnisses nach dem Ende
des Kalten Krieges habe Europa geeint, den Weg zur Integration geebnet und
Frieden und Wohlstand über den Kontinent gebracht. Wie damals müssten auch heute
"Klarheit und Entschlossenheit" gezeigt werden, mahnte er.

Mögliche Nato-Einladung für Ukraine ist Streitthema

Mit den Äußerungen zur Nato-Erweiterung stellte sich Stoltenberg klar auf
die Seite derjenigen Bündnismitglieder, die dem Beitrittswunsch der Ukraine sehr
offen gegenüberstehen und dem Land schnelle Fortschritte im Aufnahmeprozess
ermöglichen wollen. Positive Entscheidungen in diese Richtung werden vor allem
wegen des Widerstandes von Bundeskanzler Olaf Scholz und Biden nicht erwartet.

Das wird am Mittwoch wichtig

Am Mittwoch beraten die Staats- und Regierungschefs, welche Fähigkeiten zur
Verteidigung und Abschreckung das Bündnis angesichts internationaler Bedrohungen
braucht. Auch China dürfte Thema sein. Insbesondere die USA nehmen die
Volksrepublik als zunehmende Sicherheitsbedrohung wahr und legen besonderes
Augenmerk auch auf die Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeiten der Nato im
Indopazifik. Zu dem Gipfeltreffen sind Partner aus dem indopazifischen Raum
eingeladen: Japan, Neuseeland, Südkorea und Australien./jac/DP/tih

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