26.06.2024 16:51:06 - dpa-AFX: POLITIK/ROUNDUP 2: Kenias junge Protestgeneration drängt auf Wandel

(neue Aufmachung, weitere Einzelheiten)

NAIROBI (dpa-AFX) - Nach tagelangen Protesten gegen ein neues Steuergesetz
hat der kenianische Präsident William Ruto dem Druck der Demonstranten und der
Unzufriedenheit seiner Landsleute nachgegeben. "Das Volk hat gesprochen", sagte
er am Mittwoch. Er werde das Gesetz, das seine Regierung eingebracht hatte,
nicht unterschreiben. Ruto kündigte stattdessen ein Sparprogramm an, das auch
beim Präsidentenamt ansetzt - etwa bei der Anschaffung von Dienstwagen,
Reisebudgets oder Renovierungen.

Ruto wies auf Maßnahmen hin, die durch die zusätzlichen Steuern finanziert
werden sollten. Er nannte außer einer weiteren Konsolidierung der kenianischen
Schulden auch Subventionen für Landwirte und Gesundheitspläne für Menschen, die
sich bisher keine Krankenversicherung leisten konnten. Es sei aber
offensichtlich geworden, dass die Menschen in Kenia weitere Zugeständnisse bei
dem umstrittenen Gesetz erwarteten, sagte Ruto.

Rutos Einlenken kommt einen Tag vor geplanten Demonstrationen vor seinem
Amtssitz in Nairobi und nach dem Sturm des Parlaments am Dienstag durch Hunderte
Demonstranten. Als die Polizei mit scharfer Munition in die Menge schoss,
starben nach Angaben Rutos allein in Nairobi sechs Menschen. Zur Gesamtzahl der
Toten und Verletzten im ganzen Land liegen noch immer keine offiziellen Zahlen
vor.

Das Parlament hatte am Mittwoch in einer Sondersitzung den Einsatz des
Militärs bei der Sicherung kritischer Infrastruktur und zur Unterstützung der
Polizei genehmigt und damit die Sorge vor einer weiteren Eskalation angetrieben.
Ob Rutos Zugeständnis die Gemüter beruhigt, bleibt abzuwarten. In sozialen
Medien riefen Nutzer weiterhin zu landesweiten Protesten am Donnerstag auf.

Präsident unter Druck

William Ruto, seit 2022 Präsident von Kenia, hatte sich einst als Mann der
"kleinen Leute" positioniert, als Gegensatz zu Amtsvorgänger Uhuru Kenyatta und
Oppositionsführer Raila Odinga, die aus wohlhabenden kenianischen
Politiker-Dynastien stammen. Er wolle die Wirtschaft beleben und Arbeitsplätze
schaffen, hieß das Wahlversprechen.

Doch seitdem wurde das Leben der Kenianer vor allem teurer durch
Steuererhöhungen und höhere Lebenshaltungskosten. Die Kenianer haben Ruto den
Spitznamen "Zakayo" verpasst, nach dem biblischen Steuereintreiber Zachäus.
Gegen ein neues Steuergesetz regt sich Widerstand.

"Präsident Ruto und seine Regierung haben das Ausmaß des Zorns über die
Steuererhöhungen und die sozioökonomischen Bedingungen ernsthaft unterschätzt",
sagt Afrika-Analyst Andrew Smith. "Ruto ist in einer schwierigen Situation. Er
muss Kenias Schuldenlast reduzieren und steht unter Druck des Internationalen
Währungsfonds, die Staatseinkünfte zu erhöhen. Diese Proteste zeigen jedoch,
dass es ihm schwerfallen wird, dies durch neue Steuern zu erreichen, ohne
weitere Demonstrationen zu provozieren."

Kenias Schuldenlast

Die über Jahre angehäufte Staatsverschuldung Kenias hat mit fast 68 Prozent
des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ein kritisches Niveau erreicht, so die
Außenhandelskammer im Januar. Um im Juni 2024 einen Eurobond in Höhe von 2
Milliarden US-Dollar zurückzahlen zu können, verkaufte die kenianische Regierung
eine neue Euroanleihe im Wert von 1,5 Milliarden Dollar zu hohen Kosten, um den
Rückkauf eines großen Teils Anleihe zu finanzieren.

Über Steuern, Zölle und Gebühren versucht die Regierung, die Einnahmen des
Landes zu erhöhen. Doch da immer mehr Staatseinnahmen für den Schuldendienst
verwendet werden, bekommen die Kenianer nur die Lasten zu spüren, aber keinen
Nutzen.

Negative Außenwirkung befürchtet

"Eskalierenden Proteste und eine verschärfte Sicherheitslage schaden der
Wirtschaft, schrecken Investoren ab und könnten sich auch auf den Tourismus
auswirken", sagt Matthias Kamp, Ostafrika-Referent der Konrad-Adenauer-Stiftung
(KAS). Die innenpolitischen Probleme überschatteten Rutos außenpolitische
Ambitionen als Regionalmacht mit guten Beziehungen zu westlichen Staaten.

Kamp sieht in der jüngsten Entwicklung "eine gewisse Ironie": "Während in
Kenia das Militär zu Hilfe gerufen wird, um die Polizei zu unterstützen, sind
die ersten kenianischen Polizeieinheiten nach Haiti aufgebrochen, wo sie über
eine internationale Mission zur Verbesserung der Sicherheitslage beitragen
sollen."

Gen-Z - Kenias neue Protestgeneration

Die "Gen-Z" - also Menschen der Geburtsjahrgänge 1995 bis 2010 stehen in
Deutschland für die von Arbeitgebern besonders umworbene Generation. In Kenia
hingegen sind sie diejenigen, die nach Schul- oder Universitätsabschluss
besonders von Arbeitslosigkeit betroffen und zunehmend frustriert über den
Mangel an wirtschaftlichen Perspektiven sind. Und sie stellen eine Mehrheit.

Mehr als 80 Prozent der Kenianer sind jünger als 35 Jahre. Im Parlament sind sie unterrepräsentiert. Präsident Ruto ist 57 Jahre alt, Oppositionsführer
Odinga 79. Wie ihre Altersgenossen in Europa sind die Angehörigen der "Gen Z"
bestens vertraut mit digitalen Techniken und sozialen Medien. Bisher waren sie
eher unpolitisch. Jetzt sind sie diejenigen, die den Protest verkörpern.

Als "leader-less, party-less, fear-less" bezeichnen sich die jungen
Menschen, die seit Tagen auf den Straßen Nairobis und anderer Städte des Landes
demonstrieren - ohne Anführer, ohne Parteizugehörigkeit und ohne Angst. Sie
waren laut, aber auch ausgesprochen friedlich, bis am Dienstag die Gewalt
eskalierte, Autos und Gebäude von Abgeordneten und Politikern brannten,
Geschäfte und Supermärkte geplündert wurden.

In kenianischen Medien wird diskutiert, was diesen Wendepunkt auslöste. War
es der von Anfang an harte Polizeieinsatz, den Menschenrechtsgruppen als
überzogen kritisieren? Oder haben sich tatsächlich "organisierte Kriminelle"
unter die Demonstranten gemischt, wie Ruto am Dienstagabend in seiner
Fernsehansprache zu den Vorfällen um das Parlament sagte.

Die Gen Z ist nicht allein

Auch wenn vor allem die Jugend demonstriert, sind viele Kenianer fassungslos über den Umgang mit den Demonstranten. "Sie schießen auf unsere Kinder", sagt
Mary Omondi. Die Mittdreißigerin, die als Hotelangestellte mit einem
bescheidenen Einkommen leben muss, hat volles Verständnis für die Demonstranten.
"Die hohen Kosten brechen uns. Manchmal muss ich entscheiden, ob ich Geld für
die Miete oder Lebensmittel ausgebe. Ich muss Schulgebühren für meine Kinder
bezahlen, aber auch meinen kranken Vater unterstützen. Wenn Brot zum Luxus wird,
was soll aus uns werden?"/czy/DP/he

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