23.05.2024 14:24:50 - dpa-AFX: ROUNDUP/Royal Mail in der Krise: Der Kampf um ein britisches Symbol

LONDON (dpa-AFX) - Eine britische Institution kämpft um ihre Zukunft. Mehr
als 500 Jahre ist die Royal Mail alt, und wenn es so läuft, wie es der
Mutterkonzern IDS vorschlägt, gehört das Traditionsunternehmen demnächst einem
Tschechen. Rund 3,5 Milliarden Pfund (4,1 Mrd Euro) bietet der Unternehmer
Daniel Kretinsky mit seiner EP Group. Das ist ein kräftiges Plus im Vergleich
zur ersten Offerte - und International Distributions Services (IDS) mit dem
deutschen Chef Martin Seidenberg will den Aktionären das Angebot empfehlen.
Unklar aber ist, wie viel Gestaltungsraum die britische Regierung Kretinsky
zugestehen würde.

Wirtschaftsministerin Kemi Badenoch drohte bereits mit einem Veto, wenn
Kernforderungen nicht zugesagt würden. Dazu zählt Medienberichten zufolge, das
Unternehmen, das 2013 privatisiert wurde, nicht zu zerschlagen oder den
Hauptsitz in Großbritannien zu halten. Die Royal Mail mit ihren
charakteristischen roten Briefkästen gilt als eines der symbolträchtigsten
Unternehmen des Vereinigten Königreichs. Gerade im Wahlkampf vor der
Parlamentswahl am 4. Juli will die konservative Regierung, die in Umfragen
deutlich im Rückstand liegt, nichts riskieren, was Wähler zusätzlich verärgern
könnte, sind Kommentatoren in London überzeugt.

Finanzminister Jeremy Hunt betonte jüngst, er begrüße ausländische
Investitionen. Sie dürften aber die Kerninfrastruktur des Landes nicht
gefährden.

Von 20 Milliarden Briefen auf 7 Milliarden

Genau hier aber droht ein Konflikt, auch ohne tschechische Übernahme. Dabei
geht es um den sogenannten Universaldienst, also, an allen Wochentagen im ganzen
Land zuzustellen. Badenoch fordert, diese Pflicht dürfe nicht verwässert werden.
Doch schon seit Langem wirbt die Royal Mail dafür, seltener Briefe ausliefern zu
dürfen. Der Universaldienst sei "einfach nicht nachhaltig", kritisierte IDS-Chef
Seidenberg zu Jahresbeginn. Um die Wende herbeizuführen, müssten die Preise
erheblich erhöht werden, forderte er in der Vergangenheit, oder die Regierung
müsse staatliche Subventionen zahlen.

Der Deutsche war zuletzt Vorstandsvorsitzender des Logistikunternehmens GLS
Germany, das ebenfalls zu IDS gehört, und arbeitete früher lange für die
Deutsche Post DHL.

Zustellung nur noch jeden zweiten Werktag?

Wie bei dem deutschen Post-Konzern hat auch bei der Royal Mail das
Briefgeschäft erheblich an Bedeutung verloren. Von 20 Milliarden Briefen im
Geschäftsjahr 2004/05 sackte die Zahl bis 2022/23 auf 7 Milliarden ab. In fünf
Jahren, so die Erwartung, werden es noch vier Milliarden sein. Lieber würde sich
die Royal Mail auf das lukrativere Paketgeschäft konzentrieren, wo private
Anbieter immer mehr Marktanteile erobern.

In Deutschland sollen die Zustellungsfristen gesetzlich verlängert werden,
um Einsparungen zu ermöglichen. Die Royal Mail will noch mehr. Im April
beantragte das Unternehmen bei der Aufsichtsbehörde Ofcom, Standardbriefe der
zweiten Klasse, des Normaltarifs, nur noch an jedem zweiten Wochentag und nicht
mehr an Samstagen auszutragen. Massensendungen sollen innerhalb von drei statt
bisher zwei Werktagen zugestellt werden. Dadurch sollen täglich 7000 bis 9000
Fahrten entfallen und 1000 Jobs wegfallen. Ofcom will im Sommer ein Update
geben.

Rätsel um das Jahresergebnis

Klar ist: Dem Postdienstleister geht es finanziell schlecht. Für das erste
Halbjahr (24. September) meldete Royal Mail einen Verlust von 319 Millionen
Pfund. Das gute Weihnachtsgeschäft 2023 dürfte zur Erholung aber kaum reichen.
Das Ergebnis für das Gesamtjahr war bis Donnerstagmittag aber unklar. Entgegen
seiner Ankündigung legte das Unternehmen zunächst keine Jahreszahlen vor. Eine
Erklärung gab es nicht. "Die Ergebnisse wurden noch nicht veröffentlicht, aber
wir werden Sie informieren, sobald wir sie veröffentlichen", hieß es auf
Anfrage.

Kretinsky und seine EP Group haben von IDS bis zum 29. Mai Zeit bekommen,
ein bindendes Angebot abzugeben. Der Unternehmer, dessen Holding in Deutschland
mit 20 Prozent an der Stahlsparte von Thyssenkrupp beteiligt
werden soll, ist mit 27 Prozent bereits größter IDS-Anteilseigner. In
Großbritannien mischt Kretinsky auch beim Premier-League-Club West Ham United
und bei der Supermarktkette Sainsbury 's mit. Und womöglich bald
bei einer weiteren Traditionsmarke./bvi/DP/ngu

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