27.05.2024 09:02:22 - dpa-AFX: POLITIK: Löffel aus Bomben - 50 Jahre nach dem geheimen Krieg der CIA in Laos

PHONSAVAN (dpa-AFX) - "Alles hier in der Gegend ist aus Bomben gemacht",
sagt Reiseleiter Kham Dee und zeigt auf die idyllische Landschaft der Provinz
Xieng Khouang. "Öllampen, Kochtöpfe, Zaunpfähle, sogar die Kuhglocken." Bei der
Ankunft im Ban Napia "Spoon Village" im Nordosten von Laos wird klar, wovon er
spricht. An Häuserwänden lehnen Fragmente von Streubomben, rostige
Raketenwerfer, Stapel von Granaten, sogar der Flügel eines Militärflugzeugs. Die
Waffenreste werden eingeschmolzen und in Nützliches verwandelt - Löffel vor
allem. Die sogenannten Kriegslöffel sind in Laos ein begehrtes Souvenir.

Der südostasiatische Binnenstaat gilt - pro Kopf gemessen - bis heute als
das meist bombardierte Land der Welt. Zwischen 1964 und 1973 flogen
amerikanische Piloten hier im Auftrag des US-Geheimdienstes CIA rund 580 000
Einsätze und warfen durchschnittlich alle acht Minuten eine Flugzeugladung
Bomben ab.

Als vor 50 Jahren - am 3. Juni 1974 - die letzte Maschine der CIA-eigenen
Fluglinie Air America das Land in Richtung Thailand verließ, waren 270 Millionen
Streubomben gefallen. Dutzende Millionen detonierten nicht und blieben als
heimtückische Blindgänger in Reisfeldern, Dschungeln und Wiesen zurück.

Ein Zeitraffer-Video im Besucherzentrum der britischen Minenräumorganisation MAG (Mines Advisory Group) in der Stadt Phonsavan zeigt, wie das Land Tag für
Tag, Jahr für Jahr von einem unablässigen Bombenhagel bedeckt wurde. Ohne Wissen
der Welt. Selbst der Kongress in Washington war nicht über den Krieg informiert,
den die CIA in dem 13 000 Kilometer entfernten Land führte.

Dabei war Laos offiziell neutral, wurde aber schnell zum Spielball im Kampf
der USA gegen den Kommunismus. Besonders betroffen von den Luftangriffen war der
Nordosten an der langen Grenze zu Vietnam, durch den der berühmte
Ho-Chi-Minh-Pfad verlief. Über diesen wurden während des Vietnamkriegs die
nordvietnamesischen Truppen im Süden mit Nachschub versorgt. Gleichzeitig
befürchtete die CIA einen Domino-Effekt und eine Ausbreitung des Kommunismus in
ganz Südostasien, denn auch in Laos gab es eine pro-kommunistische Bewegung: die
Pathet Lao.

Und so nutzte die CIA das "Land der eine Million Elefanten" als Basis für
eine der größten Militäroperationen ihrer Geschichte. Sie rekrutierte zahlreiche
Mitglieder verschiedener Bergstämme, allen voran der Hmong, stattete die Truppen
mit Waffen aus und schickte sie in den Guerilla-Kampf gegen die Pathet Lao.

Ihr geheimes Hauptquartier war eine Stadt, die auf keiner Landkarte
verzeichnet war: Long Cheng im laotischen Dschungel. Teilweise wohnten 40 000
Menschen auf der Luftbasis, und für einige Jahre war Long Cheng der
meistbeflogene Flugplatz der Welt. "Wir kamen vom Himmel und zerstörten alles,
was sie besaßen, alles, was sie liebten und schätzten", sagt der
US-Anti-Kriegs-Aktivist Fred Branfman in der Arte-Dokumentation "Amerikas
geheimer Krieg in Laos" von 2014.

Nach dem Inkrafttreten eines Waffenstillstandsabkommens zogen die USA sich
aus Laos zurück - und hinterließen ein Land voller Bombenkrater und Blindgänger.
Vielerorts schlummert die Streumunition noch immer im Boden - zumeist
tennisballgroße Minibomben, "Bombies" genannt.

Der verniedlichende Name trügt: Seit dem Ende des Krieges sind Schätzungen
zufolge mindestens 20 000 Menschen durch solche nicht detonierte Kampfmittel
(UXOs) ums Leben gekommen. 40 Prozent davon waren Kinder. Droht den Menschen in
der Ukraine und Gaza ein ähnliches Schicksal?

Experten sind davon überzeugt. "Die Ukraine wird jahrzehntelang unter
Landminen und UXOs leiden, genau wie andere europäische Länder nach dem Zweiten
Weltkrieg", sagte Henrik Færch, Direktor des dänischen Minenräumunternehmens
Damasec Global Group, der Deutschen Presse-Agentur. In dem Konflikt hätten beide
Parteien sowohl alte als auch hochmoderne Arten von Munition, Raketen,
Streumunition und Landminen eingesetzt. "Zusätzlich werden von Drohnen
abgeworfene UXOs in Zukunft viele Probleme bei den Räumungsarbeiten
verursachen."

Es könne rund 100 Jahre dauern, bis alle Kriegsrelikte in der Ukraine
aufgespürt seien, sagte Færch. "Aber ich glaube eigentlich nicht, dass jemals
alles geräumt sein wird." Auch im flächenmäßig viel kleineren Gazastreifen
zeichnet sich nach sieben Monaten Krieg ein ähnliches Bild ab, wie Pehr
Lodhammar vom Minenräumdienst der Vereinten Nationen (UNMAS) im April mitteilte.

Durchschnittlich zehn Prozent der Munition, die bei Luftangriffen abgeworfen werde, bleibe als Blindgänger zurück, erläuterte er und fügte hinzu, es würde
schon jetzt etwa 14 Jahre dauern, den Gazastreifen von allen UXOs zu befreien.
Der frühere Air-America-Pilot Charlie Weitz bringt es in der Arte-Doku auf den
Punkt: "Wenn man wissen will, wie im 21. Jahrhundert Kriege geführt werden, muss
man zurück nach Laos schauen."

Die Laoten haben in den vergangenen 50 Jahren gelernt - ja lernen müssen -
mit den unzähligen, gefährlichen Relikten zu koexistieren und sie gar im Alltag
zu nutzen. Der Englischlehrer Somchit Pouangsavat gießt seit 15 Jahren in seiner
Hütte Löffel, Flaschenöffner und Schlüsselanhänger aus verschiedenen
Waffenteilen, die in der Gegend gefunden wurden. 800 Stück am Tag schafft er
manchmal in seinem kleinen Ofen. Viele werden auf Touristenmärkten in der Nähe
als Andenken verkauft.

Jahrelang seien allein aus seinem Dorf Dutzende Einwohner von den
heimtückischen Bombies getötet worden, erzählt er. Und auch wenn die Zahlen
deutlich gesunken sind, werden noch regelmäßig Menschen getötet oder
verstümmelt: Im vergangenen Jahr wurden 27 schwere Unfälle mit Blindgängern
gemeldet, 2022 waren es 20. Mehr als ein Dutzend Menschen starben, darunter
mehrere Kinder. "Für uns geht der Krieg bis heute weiter", sagt Pouangsavat und
dreht nachdenklich eine Granate in seiner Hand.

Die, die eine solche Explosion überleben, sind entweder erblindet oder haben Arme oder Beine verloren. Dazu passt der Titel eines Videos der Mines Advisory
Group, das Besuchern die furchtbaren Folgen der CIA-Geheimoperation
verdeutlicht: "Surviving the Peace". Denn nicht nur Konflikte wollen überlebt
werden, auch in Friedenszeiten droht noch jahrzehntelang Lebensgefahr. In Laos
hat ein halbes Jahrhundert nicht ausgereicht, um das Land vom Trauma eines fast
vergessenen Krieges zu befreien./cfn/DP/jha

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