15.05.2024 17:21:47 - dpa-AFX: Kontroverse Debatte im Bundestag über Entscheidungen vor Atomausstieg
BERLIN (dpa-AFX) - In einer kontroversen Bundestags-Debatte haben
Wirtschaftsminister Robert Habeck, Umweltministerin Steffi Lemke (beide Grüne)
sowie andere Vertreter der Ampel-Koalition die Entscheidungsfindung vor dem
Atomausstieg verteidigt. Unionsfraktionsvize Jens Spahn (CDU) erhob am Mittwoch
schwere Vorwürfe.
"Sie haben unserem Land mit dieser Entscheidung, die Kernkraftwerke in der
Krise abzuschalten, schweren Schaden zugefügt", sagte Spahn insbesondere an die
Grünen-Minister gewandt. Habeck habe eine ergebnisoffene Prüfung versprochen,
diese aber nicht geliefert und nach der Devise gehandelt "Atomausstieg, koste
es, was es wolle". Auch aus Sicht von Unionsfraktionsvize Steffen Bilger (CDU)
steht weiterhin der Verdacht im Raum, Öffentlichkeit und Parlament könnten
getäuscht worden sein. Der klima- und energiepolitische Sprecher der
AfD-Fraktion, Karsten Hilse, sprach von "grünen Kommunisten" und sagte im
Zusammenhang mit der AKW-Abschaltung: "Das ist Sabotage und grenzt an Verrat."
Auslöser der Kontroverse war ein Bericht des Magazins "Cicero", wonach
sowohl im Wirtschafts- als auch im Umweltministerium im Frühjahr 2022 interne
Bedenken zum damals noch für den folgenden Jahreswechsel geplanten Atomausstieg
unterdrückt worden sein sollen - was beide Ministerien bestreiten. Ein
Journalist hatte die Herausgabe der Akten vor Gericht erstritten. Inzwischen
liegen die Papiere auch weiteren Medien und dem Bundestag vor.
Nach dem Angriff von Deutschlands wichtigstem Gaslieferanten Russland auf
die Ukraine war 2022 eine Debatte um das damals für den Jahreswechsel geplanten
Atomausstieg entbrannt. Die Grünen hatten sich lange gegen eine
Laufzeitverlängerung gewehrt, schließlich aber das von Habeck und den
AKW-Betreibern im September 2022 vorgelegte Konzept einer vorübergehenden
Einsatzreserve für zwei der drei letzten deutschen Atomkraftwerke unterstützt.
Die FDP war für eine längere Laufzeit. Im Oktober 2022 sprach Kanzler Olaf
Scholz (SPD) dann ein Machtwort für den Weiterbetrieb aller drei Meiler bis zum
Frühjahr.
Habeck verteidigte den Atomausstieg. Alle Unkenrufe hätten sich nicht
bewahrheitet, Atomstrom sei nicht durch klimaschädlichen Kohlestrom ersetzt
worden, stattdessen seien Erneuerbare ausgebaut werden. Der Grund für die
zeitweise hohen Energiepreise sei die Abhängigkeit von russischem Gas gewesen,
das dann wegbracht. "Das ist die Hinterlassenschaft der großen Koalition, das
ist die Hinterlassenschaft des Wirtschaftsministeriums der CDU-geführten
Regierung." Er legte erneut dar, dass sich die energiepolitische Lage und die
Einschätzungen der AKW-Betreiber zwischen Frühjahr und Herbst 2022 geändert
hätten.
Die umweltpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Judith Skudelny, betonte,
die Entscheidungen vor dem endgültigen Atomausstieg seien politisch gewesen. "Es
waren durchaus die sachlichen Rahmenbedingungen bekannt, und wir haben sie
abgewägt." Dies habe die FDP anders getan als die Grünen. Dennoch sei es wichtig
für die Demokratie, dass "Anschein, dass die Sachlage falsch dargestellt wurde"
ausgeräumt werde. Das Umweltministerium habe sich insgesamt transparenter
verhalten als das Wirtschaftsministerium, das Unterlagen erst nach der
erfolgreichen Klage herausgab. Von der Union verlangte sie "ein bisschen mehr
Ruhe, ein bisschen mehr Sachlichkeit".
Umweltministerin Lemke erinnerte daran, dass die Sicherheitsüberprüfung der
deutschen Atomkraftwerke abgelaufen war und es nur eine Genehmigung für einen
befristeten Weiterbetrieb von der EU-Kommission gab. Bei einem längeren Betrieb
hätte der Staat die Haftung übernehmen müssen. "Dieses Risiko konnten wir nicht
eingehen", betonte sie. "Kämpfen Sie für Ihre Überzeugungen, die Sie ja mehrfach
beim Thema Atomkraft geändert haben", verlangte sie von der Union. "Kämpfen Sie
für Ihre Bedürfnisse. Aber bitte tun Sie das mit offenem Visier und sagen Sie
den Menschen, wer für ihre Pläne bezahlen soll und wo die AKWs hinkommen
sollen."/hrz/DP/men
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