27.06.2024 12:17:55 - dpa-AFX: Commerzbank schöpfte bei Wirecard Verdacht - und fand keinen Ausweg

MÜNCHEN (dpa-AFX) - Die Commerzbank schöpfte im
Wirecard-Betrugsskandal nach eigener Darstellung vergleichsweise früh Verdacht.
Das Institut erlitt am Ende dennoch einen Schaden in mutmaßlich dreistelliger
Millionenhöhe, weil die Bankspitze keinen Weg zur sofortigen Beendigung der
Geschäftsbeziehung fand.

Nach Angaben des früheren Risikovorstands Marcus Chromik kam die Bank 2018
und 2019 mehreren hundert Transaktionen mit Geldwäscheverdacht bei Wirecard auf
die Spur und beschloss einen "soft exit" (engl. für "weichen Ausstieg"), um die
Geschäftsbeziehungen zu beenden. "Das kann so nicht weitergehen, das müssen wir
exiten", beschrieb der Spitzenmanager am Donnerstag als Zeuge im Münchner
Wirecard-Prozess die damalige Entscheidung in der Chefetage der Bank.

Die Commerzbank war mit einem Darlehensanteil von 200 Millionen Euro
Konsortialführerin der 15 Banken, die Wirecard einen gemeinsamen Kreditrahmen in
Höhe von bis zu 1,75 Milliarden Euro gewährt hatten. Tatsächlich ausgeliehen
hatte der Skandalkonzern laut Anklage gut 1,6 Milliarden Euro. Nach der
Wirecard-Pleite im Juni 2020 war das Geld größtenteils verloren.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem früheren Vorstandschef und seinen zwei
Mitangeklagten vor, die Banken gezielt betrogen zu haben, um den eigentlich
defizitären Wirecard-Konzern über Wasser zu halten. Der seit vier Jahren in
Untersuchungshaft sitzende Ex-Vorstandschef Markus Braun bestreitet diesen
ebenso wie sämtliche weiteren Vorwürfe.

Chromik war der erste ehemalige Vorstand einer der von dem Skandal
getroffenen Banken, der am 133. Prozesstag als Zeuge aussagte. Abgesehen von der
Entscheidung zum "Exit" hatte die Bank den Angaben zufolge Anfang 2019 auch
mehrere hundert Geldwäscheanzeigen gegen den jahrelangen Kunden Wirecard
erstattet.

In der Chefetage der Bank wurde nach Chromiks Worten auch eine sofortige
Kündigung diskutiert. Dies wäre demnach jedoch rechtlich nicht möglich gewesen.
Angesichts der Tatsache, dass die Commerzbank Verdacht geschöpft hatte, wäre ein
Verkauf des Kreditengagements ebenfalls "nicht trivial" gewesen, sagte Chromik.

So beschloss die Commerzbank demnach, erst bei der nächsten fälligen
Verlängerung des Konsortialkredits auszusteigen - doch vorher meldete Wirecard
Insolvenz an. Der Manager merkte an, dass die Finanzaufsicht Bafin und die
deutsche Justiz zu diesem Zeitpunkt im Frühjahr noch in die andere Richtung
marschierten und stattdessen prüften, ob Wirecard Ziel krimineller
Machenschaften von Aktienspekulanten sein könnte. "Der Exit aus einem Dax
-Konzern wäre einmalig in der Geschichte der Bank gewesen", sagte
Chromik. "Wir wussten nicht, ob wir nicht komplett falsch liegen und dann als
Deppen am Markt dastehen."/DP/jha
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