26.06.2024 19:45:26 - dpa-AFX: POLITIK/Verhandlungsunfähig: Kein Prozess gegen mutmaßlichen KZ-Wachmann

HANAU (dpa-AFX) - Der Fall eines mutmaßlichen früheren Wachmanns im KZ
Sachsenhausen soll nicht vor Gericht verhandelt werden. Der heute 99-Jährige sei
aus gesundheitlichen Gründen dauerhaft verhandlungsunfähig, die Eröffnung des
Hauptverfahrens sei daher aus rechtlichen Gründen abzulehnen gewesen, teilte das
Landgericht Hanau am Mittwoch mit.

Die Jugendkammer des Gerichts habe mit Beschluss vom 6. Mai dieses Jahres
die Zulassung der Anklage abgelehnt. Der Beschluss ist noch nicht rechtskräftig
(Az.: 2 Ks 501 Js 33635/22)

Die Staatsanwaltschaft Gießen hatte im vergangenen Jahr Anklage gegen den
Mann erhoben, der als Heranwachsender Wachmann im KZ Sachsenhausen gewesen sein
soll. Aus diesem Grund und weil im Jugendstrafrecht das Wohnortprinzip gilt,
hatte die Jugendkammer des Landgerichts Hanau über eine Zulassung der Anklage zu
entscheiden.

Dem Mann aus dem Main-Kinzig-Kreis wurde zur Last gelegt, von Juli 1943 bis
Februar 1945 in mehr als 3300 Fällen Beihilfe zum Mord geleistet zu haben. Als
Angehöriger der SS-Wachmannschaften soll der deutsche Staatsangehörige "die
grausame und heimtückische Tötung Tausender Häftlinge unterstützt haben".

Als Angehöriger eines SS-Wachbataillons soll der Mann unter anderem mit der
Bewachung von dort untergebrachten Häftlinge befasst gewesen sein. Zudem soll er
mit der Überführung ankommender Häftlinge vom Bahnhof in das Hauptlager sowie
mit der Bewachung von Häftlingstransporten beauftragt gewesen sein.

Während des Tatzeitraums sollen in dem Lager mindestens 3318 Häftlinge an
den Folgen der dort herrschenden Unterbringungs- und Lebensverhältnisse sowie
durch Erschießungen und den Einsatz von Giftgas gestorben sein.

Ein psychiatrisches Sachverständigengutachten, das im Oktober vergangenen
Jahres eingeholt worden war, war von einer eingeschränkten Verhandlungsfähigkeit
des Mannes ausgegangen. Anfang Februar dieses Jahres sei dann ein weiteres
Gutachten zu dem Ergebnis gekommen, dass sich der körperliche und psychische
Zustands des Mannes verschlechtert habe und eine Besserung nicht zu erwarten
sei. "Das Gericht ist den Ausführungen des Sachverständigen vollumfänglich
gefolgt und hat die Anklage daher aus rechtlichen Gründen nicht zur
Hauptverhandlung zugelassen", hieß es.

Im KZ Sachsenhausen etwa 35 Kilometer nördlich von Berlin waren von 1936 an
etwa 204 000 Menschen von den Nazis interniert worden. Zehntausende kamen durch
Hunger, Krankheiten, Zwangsarbeit und Misshandlungen um oder wurden Opfer von
Vernichtungsaktionen der SS. Auf Todesmärschen nach der Evakuierung des Lagers
Ende April 1945 starben weitere Tausende Häftlinge./csc/DP/he

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