05.07.2024 11:51:41 - dpa-AFX: EM 2024: Wolfsgruß-Wirbel überschattet türkisches Fußballfest in Berlin

BERLIN (dpa-AFX) - Die riesige türkische Gemeinde in Berlin hofft auf ein
Fußballfest, das Überraschungsteam auf den größten Erfolg seit 16 Jahren - doch
die Wolfsgruß-Debatte wirft einen tiefen Schatten auf den Sport. Der spontane
Besuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, die drohende Sperre für
Merih Demiral und ein brisanter Aufruf der türkischen Ultras heizen das laut
Polizei "Nonplusultra-Hochrisikospiel" im EM-Viertelfinale am Samstag (21.00
Uhr/RTL und MagentaTV) zwischen der Türkei und den Niederlanden zusätzlich an.

Statt des phänomenalen Abschneidens des türkischen Teams um Kapitän Hakan
Calhanoglu oder der Vorfreude unter den rund 200.000 in Berlin lebenden Menschen
mit türkischen Wurzeln, dominiert die politische Debatte in der Öffentlichkeit.
Das sei "wirklich sehr bedauerlich", sagte Vorstandssprecher Safter Çinar vom
Türkischen Bund in Berlin-Brandenburg (TBB) der Deutschen Presse-Agentur. Er
kritisierte deswegen auch Demiral: "Was der Junge gemacht hat, ist natürlich
Unsinn, der wird auch sicherlich sanktioniert."

Zeitung vermeldet harte Strafe für Demiral

Laut "Bild" kassiert der Abwehrspieler von der UEFA eine Zwei-Spiele-Sperre
und fehlt dem Team gegen die Niederlande und in einem möglichen Halbfinale. Der
türkische Verband nannte dies am Donnerstagabend eine Falschmeldung, da bis
Freitagmorgen noch Unterlagen zur Verteidigung eingereicht werden konnten. Mit
einem offiziellen Urteilsspruch ist im Laufe des Tages zu rechnen.

Der 26 Jahre alte Demiral hatte beim 2:1 im Achtelfinale gegen Österreich
nach seinem zweiten Tor in Leipzig mit beiden Händen das Handzeichen und Symbol
der "Grauen Wölfe" geformt und damit für viel Empörung gesorgt. Als "Graue
Wölfe" werden die Anhänger der rechtsextremistischen "Ülkücü-Bewegung"
bezeichnet, die in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet wird.

Ultras fordern Fans zum Wolfsgruß auf

Das türkische Außenministerium hatte allein schon die UEFA-Untersuchung
gegen Demiral als inakzeptabel bezeichnet. Nicht jede Person, die das Zeichen
der Grauen Wölfe zeige, könne als rechtsextremistisch bezeichnet werden. Ähnlich
argumentieren nun türkische Fußball-Ultras, die auf der Plattform X die Fans im
Berliner Olympiastadion zum Zeigen des Wolfsgrußes während der Nationalhymne
aufgefordert haben.

Die Augen werden dann auch auf Erdogan gerichtet sein, der seine geplante
Reise nach Aserbaidschan eigens für den EM-Besuch abgesagt hat. Berichten
zufolge ist dies auch eine Reaktion auf die Debatte in Deutschland, in der ein
Verbot der "Grauen Wölfe" gefordert wurde. Ein Treffen mit Bundeskanzler Olaf
Scholz (SPD) ist nach Angaben aus dem Kanzleramt nicht geplant.

Polizei ist gewappnet

Der Erdogan-Besuch ändere wenig am Polizei-Aufkommen, sagte Benjamin Jendro, Sprecher der Gewerkschaft der Polizei Berlin: "Wir rufen eh schon alles in den
Dienst, was laufen kann." Das Viertelfinale nannte er ein
"Nonplusultra-Hochrisikospiel", rund 3000 Beamte dürften im Einsatz sein.

Bei einem Sieg werden die Fans des von Vincenzo Montella trainierten Teams
wieder zu Tausenden den Breitscheidplatz, den Ku'damm sowie große Straßen in
Kreuzberg und Neukölln stürmen und den ersten EM-Halbfinaleinzug seit 2008 mit
Hupkonzerten und Feuerwerk feiern. In Berlin sei die Unterstützung "noch eine
Nummer größer", sagte Kapitän Calhanoglu. Er könne die vielen Deutschtürken im
EM-Gastgeberland sehr gut verstehen, "weil ich selbst hier geboren und
aufgewachsen bin".

Türkisches Heimspiel oder Oranje-Party?

Schon beim Länderspiel im vergangenen November gegen Deutschland (3:2)
hatten türkische Fans im Olympiastadion eine Heimspiel-Atmosphäre verbreitet.
"Hoffentlich gewinnen wir wieder und machen unsere Leute und unser Land
glücklich. Das ist unser größter Traum", sagte Calhanoglu, der nach abgesessener
Gelbsperre ins Team zurückkehrt.

Auch die Niederlande werden mit tausenden feierfreudigen Fans in Berlin
erwartet. Nach dem dominanten Auftritt im Achtelfinale gegen Rumänien (3:0)
wollen Cody Gakpo, Xavi Simons und Co. dafür sorgen, dass sich die Oranje-Party
in Deutschland fortsetzt. "Solche Leistungen brauchen wir, um eine Chance zu
haben, weiterzukommen", sagte Trainer Ronald Koeman, der beim EM-Titel 1988 in
Deutschland als Spieler dabei war./jso/DP/mis

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