12.07.2024 07:00:29 - dpa-AFX: Aufrüstung: Regierung erwartet keinen starken Widerstand

WASHINGTON/MOSKAU/PEKING (dpa-AFX) - Die Regierung von Bundeskanzler Olaf
Scholz (SPD) erwartet Verständnis der Menschen bei der Aufrüstung mit
weitreichenden US-Waffen in Deutschland. Auch Verteidigungsminister Boris
Pistorius (SPD) und Vize-Kanzler Robert Habeck (Grüne) vertrauen auf die
Einsicht, dass von Russland eine ernste Bedrohung ausgehe und darauf reagiert
werden müsse.

Am Rande des Nato-Gipfels in Washington war bekannt geworden, dass die USA
von 2026 an in Deutschland wieder Waffensysteme stationieren wollen, die weit
bis nach Russland reichen.

Darunter sollen Marschflugkörper vom Typ Tomahawk mit einer Reichweite von
bis zu 2500 Kilometern sein, die technisch gesehen auch nuklear bestückt sein
können, sowie Luftabwehrraketen vom Typ SM-6 und neu entwickelte
Hyperschallwaffen. Russland und China reagierten erbost auf die Ankündigung.

Scholz: Unglaubliche Aufrüstung in Russland

"Wir wissen, dass es eine unglaubliche Aufrüstung in Russland gegeben hat,
mit Waffen, die europäisches Territorium bedrohen", sagte Scholz am Rande des
Gipfels in Washington.

Zur Frage, ob er mit größerem Widerstand gegen die Rückkehr solcher
weitreichenden Waffen auch aus seiner eigenen Partei rechne, sagte Scholz:
"Diese Entscheidung ist lange vorbereitet und für alle, die sich mit
Sicherheits- und Friedenspolitik beschäftigen, keine wirkliche Überraschung."

Die Entscheidung lässt Erinnerungen an den Kalten Krieg wach werden. Scholz
hatte Anfang der 80er Jahre selbst als junger Sozialdemokrat gegen den
Nato-Doppelbeschluss protestiert, der unter anderem die Stationierung von
Mittelstrecken-Raketen vom Typ Pershing II vorsah, die nach dem Ende des Kalten
Krieges bis 1991 wieder abgezogen wurden.

Habeck: Naivität verbietet sich

Habeck betonte: "Wir müssen die Wehrhaftigkeit steigern, weil wir in einer
sehr bedrohlichen Zeit leben, die anders ist als in den 80er Jahren. Deshalb
verbietet sich Naivität." Bei den Demonstrationen gegen die
Nato-Doppelbeschlüsse 1981 habe Kalter Krieg geherrscht. "Jetzt erleben wir in
der Ukraine einen heißen Krieg, weil dort geschossen und gestorben wird", sagte
der Vizekanzler der "Neue Westfälischen".

Pistorius: Kein neues Wettrüsten

In den ARD-"Tagesthemen" sagte Pistorius, von einem neuen Wettrüsten könne
keine Rede sein. "Russland hat diese Waffensysteme schon seit längerem unter
anderem - wie wir vermuten - in Kaliningrad stationiert, das heißt in absoluter
Reichweite zu Deutschland und anderen europäischen Nationen, so Pistorius. Er
würde bei den kritischen Stimmen nicht von einer Mehrheit der Bevölkerung
sprechen.

Heusgen: Viele in der Regierung unterschätzen Gefahr

Der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, kritisiert
den Großteil der Bundesregierung von Kanzler Scholz für ihre Kommunikation zum
Ukraine-Krieg. "In Deutschland redet der Verteidigungsminister Tacheles und
spricht davon, dass wir kriegstüchtig werden müssen", sagte der frühere
außenpolitische Berater von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) der Deutschen
Presse-Agentur in Washington. Dessen Kabinettskollegen unterschätzten aber immer
noch den Ernst der Lage.

Moskau: Nato-Pläne "Kettenglied im Eskalationskurs"

Zu der geplanten Stationierung fand man in Moskau deutliche Worte. Die
russische Sicherheit werde durch die US-Waffen beeinträchtigt, sagte
Vizeaußenminister Sergej Rjabkow der staatlichen Nachrichtenagentur Tass
zufolge. Es handle sich um "ein Kettenglied im Eskalationskurs" der Nato und der
USA gegenüber Russland.

"Wir sind auf dem besten Weg zu einem Kalten Krieg. Das alles gab es schon
einmal", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow dem russischen Staatsfernsehen. Er
warf Deutschland, den USA, Frankreich und Großbritannien vor, direkt in den
Konflikt um die Ukraine verwickelt zu sein. "Und alle Merkmale des Kalten
Krieges kehren zurück - mit Konfrontation, mit direkter Auseinandersetzung
zwischen Gegnern."

Russland überarbeitet Atomdoktrin

Die Nato-Beschlüsse zur Ukraine nannte der Kreml eine Bedrohung der eigenen
Sicherheit. Die Entscheidung, die Ukraine früher oder später in die Allianz
aufzunehmen, verdeutliche das Hauptziel des Bündnisses, Russland kleinzuhalten,
sagte Peskow. Er bestätigte, dass an Veränderungen der Atomdoktrin gearbeitet
werde. Das bisherige Leitprinzip lautet, dass Russland Atomwaffen nur als
Reaktion auf einen Atomangriff oder eine existenzielle Gefahr für das Land bei
einem konventionellen Angriff einsetzen darf./aha/trö/mfi/cnrom/DP/stk

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