23.06.2024 14:15:50 - dpa-AFX: Bauern warten auf Sonne für die Ernte - und Entlastungen

BERLIN (dpa-AFX) - Auf den Äckern naht die Getreideernte, und viele
Landwirte hoffen dafür noch auf mehr Sonne. Auf dem politischen Feld pocht die
Branche jetzt aber auf Entlastungen, die ihr die Bundesregierung nach den großen
Traktorprotesten zu Jahresbeginn zugesichert hat - und zwar bis zum Sommer. "Der
Unmut ist nicht verflogen", sagte Bauernpräsident Joachim Rukwied der Deutschen
Presse-Agentur vor dem Deutschen Bauerntag in Cottbus. "Wir brauchen eine
Neuausrichtung der Agrarpolitik, und wenn die nicht kommt, wird die
Unzufriedenheit zunehmen." Die Marktlage mit gesunkenen Preisen bleibt aus
Branchensicht weiter angespannt.

"Im Moment sind die Lebensmittelpreise eher inflationsdämpfend", sagte
Rukwied. "Das kann sich aber auch schnell wieder ändern. Wir haben den Krieg in
der Ukraine. Wir haben gesehen, wie fragil Lieferketten sind." Die Situation der
Betriebe sei nach wie vor schwierig. "In wichtigen Bereichen ist das Preisniveau
viel niedriger als vor eineinhalb Jahren." Zugleich seien Kosten für Dünger,
Pflanzenschutz und Energie weiter hoch, wenn auch nicht mehr mit so extremen
Spitzen.

Warnung vor "Wortbruch"

Beim Bauerntag an diesem Mittwoch und Donnerstag in Cottbus stehen vor allem die politischen Rahmenbedingungen im Fokus. Dabei geht es um Entlastungen, die
die Ampel-Koalition der aufgebrachten Branche als Ausgleich für den Abbau lange
bestehender Agrardiesel-Vergünstigungen zugesichert hat. "Wir haben die
Bedeutung der Ernährungssicherung und der Wettbewerbsfähigkeit für eine
zukunftsfähige Landwirtschaft in den Fokus der Gesellschaft stellen können",
sagte Rukwied über den Effekt der wochenlangen Bauernproteste vor einigen
Monaten.

Erwartet werden nun etwa weniger Bürokratieauflagen. Und Erleichterungen,
dass Höfe Ergebnisse aus guten und schlechten Jahren bei der Steuer verrechnen
können. "Wenn die Gewinnglättung nicht auf den Weg gebracht wird, dann werden
die Landwirtinnen und Landwirte sagen: Das ist Wortbruch. Dann verliert die
Politik das eh nicht mehr stark ausgeprägte Vertrauen", mahnte Rukwied. "Das
müssen die Koalitionäre wissen." Die Erwartungen dürften also hoch sein, wenn
Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) am Donnerstag nach Cottbus kommt. Er wünsche
sich von Özdemir mehr, als zuletzt zu hören gewesen sei - "eigentlich immer nur
das, was in dieser Koalition nicht geht", sagte Brandenburgs Bauernpräsident
Henrik Wendorff.

Offene Finanzierung für Umbau der Tierhaltung

Darüber hinaus fordert der Verband auch Kurskorrekturen - von den
Düngeregeln bis zur Reform des Tierschutzgesetzes. "Wenn die Bundesregierung das
so umsetzt, knipst sie den Schweinehaltern das Licht aus", warnte Rukwied.
Geplante Vorgaben entbehrten einer praktikablen Grundlage, etwa beim Kürzen der
Ringelschwänze von Ferkeln oder dem Enthornen von Kälbern, und gingen weit über
EU-Recht hinaus. Rukwied stellt sich in Cottbus zur Wiederwahl als Präsident für
weitere vier Jahre. Der 62-Jährige steht seit 2012 an der Spitze des
Bauernverbands.

Weiter im Blick steht auch eine dauerhafte Finanzierung für einen Umbau der
Tierhaltung hin zu höheren Standards, damit Höfe nicht allein auf Mehrkosten
sitzen bleiben. Özdemir nahm das Thema direkt auf, als inmitten der Proteste
Bewegung in die Debatte kam - doch Beschlüsse folgten nicht. "Die Tierhalter,
insbesondere die Schweinehalter, sind total enttäuscht", sagte Rukwied. "Der
Ball lag auf dem Elfmeterpunkt, und der Torwart lehnte am Pfosten. Aber bis
jetzt ist nicht wirklich etwas geschehen. Schon die Vorgängerregierung hätte den
Ball versenken können."

Als Anschub hat die Ampel-Koalition vorerst eine Milliarde Euro für
Schweinehalter reserviert, die aber nicht für einen Umbau der gesamten
Tierhaltung reichen. "Wir können uns vorstellen, zur Finanzierung die
Mehrwertsteuer auf tierische Produkte um zwei bis drei Punkte anzuheben", sagte
Rukwied mit Blick auf den bestehenden ermäßigten Satz von 7 Prozent. "Aber nicht
auf den vollen Satz von 19 Prozent. Das wäre ein No-Go, denn das würde es
finanziell schlechter gestellten Familien im Prinzip nicht mehr ermöglichen,
Fleisch und Wurstwaren zu kaufen."

Hoffnung auf Sonne

Zum baldigen Start der diesjährigen Ernte sagte Rukwied: "Wir setzen jetzt
auf beständiges Wetter und sonnige Tage, damit sich die Körner bei Getreide und
Raps gut ausbilden können. Das bringt dann auch gute Qualitäten." In Summe
gesehen, habe es bisher genügend Niederschläge gegeben. "Bei Betrieben in
Bayern, Baden-Württemberg und im Saarland gibt es teils massive
Hochwasserschäden." Eine Prognose für die Ernte 2024 will der Verband beim
Auftakt am 1. Juli vorstellen.

Zum traditionellen Ende der Spargelsaison an diesem Montag fallen
Einschätzungen der Branche halbwegs zufriedenstellend aus. Kälte und Nässe
drückten zwar auf die Produktion, das sorgte aber für relativ stabile Preise,
wie es aus Anbaugebieten hieß. Bewertungen bewegten sich von "zufriedenstellend"
in Schleswig-Holstein über "okay" in Thüringen bis verhalten zufrieden in
Niedersachsen. Nach dem 24. Juni, dem Johannistag, werden Triebe in der Regel
nicht mehr gestochen.

Mit Blick auf die Verbraucherpreise sagte Rukwied: "Wenn vereinzelt mal eine Preisaktion gefahren wird, gehört das in Supermärkten halt auch dazu." Insgesamt
brauche es eine stärkere "Verbundpartnerschaft" über die ganze Kette bis zum
Handel, der die Produkte dann auch zu einem höheren Preis bewerbe und nicht nur
im Regal in eine Ecke stelle. "Am Ende muss natürlich auch deutlich mehr beim
Landwirt ankommen." Für das noch bis Ende Juni laufende Wirtschaftsjahr 2023/24
sei in vielen Produktionszweigen von starken Gewinnrückgängen auszugehen. "Das
ist leider keine reine Befürchtung mehr." Im Jahr zuvor waren die Ergebnisse,
von denen aber noch Investitionen zu bezahlen sind, auf ein Rekordniveau
gestiegen./sam/vr/ruc/DP/he

© 2000-2024 DZ BANK AG. Bitte beachten Sie die Nutzungsbedingungen | Impressum
2024 Infront Financial Technology GmbH