30.06.2024 17:07:50 - dpa-AFX: POLITIK/ROUNDUP: Orban will rechtes Parteienbündnis für Europa schmieden

WIEN (dpa-AFX) - Einen Tag vor Übernahme der Ratspräsidentschaft in der
Europäischen Union (EU) hat Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban die Gründung
einer neuen Rechtsaußen-Fraktion im Parlament angekündigt. Die Gruppierung
"Patrioten für Europa" umfasse neben der ungarischen Regierungspartei Fidesz die
rechte österreichische FPÖ und die liberal-populistische tschechische ANO, sagte
Fidesz-Chef Orban am Sonntag in Wien im Beisein von FPÖ-Chef Herbert Kickl und
dem ANO-Vorsitzenden Andrej Babis. Das Bündnis sei für weitere Parteien offen,
die sich zu dem am Sonntag von den drei Parteivorsitzenden unterzeichneten
"Patriotischen Manifest" bekennen.

Mit dem erhofften Zulauf zu den "Patrioten" würde die Gruppierung zur
"größten Fraktion der rechtsgerichteten Kräfte Europas" aufsteigen, so Orban.
"Ein neues Zeitalter beginnt", führte er weiter aus. Die neue Fraktion werde
Europa "auch gegen den Willen der Brüsseler Eliten verändern". Das "Patriotische
Manifest" enthält die bekannten Positionen rechter, rechts-populistischer und
rechtsextremer Parteien: Ablehnung von Migration und "Green Deal", keine
Unterstützung der von Russland angegriffenen Ukraine sowie Rückbau der
Integration in der EU zwecks Stärkung der Souveränität der Nationalstaaten.

"Diese Allianz soll eine Trägerrakete darstellen", sagte FPÖ-Chef Kickl. Der ANO-Vorsitzende und tschechische Ex-Premier Andrej Babis erklärte, dass die neue
Fraktion im Europäischen Parlament vor allem auf die Verteidigung der
nationalstaatlichen Souveränität gegenüber der EU, den Kampf gegen illegale
Migration und die Rücknahme der Klima-Maßnahmen des "Green Deal" setze.

Die Oppositionspartei FPÖ, die oppositionelle ANO und der
rechtspopulistische Fidesz bekamen bei der EU-Wahl in ihren jeweiligen Ländern
die meisten Stimmen. Fidesz stellt elf Abgeordnete im neuen Europaparlament, ANO
sieben und die FPÖ sechs. Insgesamt verfügen sie damit über 24 der 705 Vertreter
in dem EU-Gremium. Für die Bildung einer Fraktion sind insgesamt mindestens 23
Abgeordnete aus 7 Ländern erforderlich.

Weder Orban noch Kickl noch Babis deuteten am Sonntag an, welche Parteien
aus welchen Ländern mit Sitzen im Europaparlament sich der neuen Fraktion
anschließen könnten. Inhaltlich bestehen vor allem bei Fidesz und FPÖ viele
Berührungspunkte mit der AfD, die kurz vor der Europawahl am 9. Juni aus der
rechten ID-Fraktion ausgeschlossen worden war.

Wohlwollende Signale aus dem AfD-Hinterland

Am Rande des AfD-Bundesparteitags in Essen wollte sich AfD-Chef Tino
Chrupalla am Sonntag auf Anfrage nicht zu Orbans Plänen äußern. Beim
Eröffnungsspiel der Fußball-EM in München hatte er im Stadion ein Selfie mit
Orban verfertigt und dieses auf seinem Instagram-Kanal geteilt. Der
AfD-Europaparlamentarier Marc Jongen äußerte sich hingegen im Deutschlandfunk
wohlwollend. "Also wenn es nach mir ginge, dann würden wir dieser Fraktion auch
sehr gerne beitreten", sagte er. Das "Patriotische Manifest" könne seine Partei
"sofort unterschreiben". Inhaltlich sei man "Orban sehr nahe", man arbeite
daran, "eine formelle Zusammenarbeit in der Zukunft herzustellen".

Ungarn übernimmt am Montag turnusgemäß den halbjährigen Vorsitz in der EU.
Orban, der das Land seit 14 Jahren regiert, ist in der EU umstritten. Unter dem
Vorwand des "souveränen Regierungshandelns" hat er nach Ansicht von Kritikern
den Rechtsstaat und die Demokratie in Ungarn abgebaut und damit gegen Geist und
Buchstaben der Europäischen Verträge, der Grundlagendokumente der EU, verstoßen.
Dazu gehöre auch, dass er zentrale Segmente der Volkswirtschaft - darunter
Banken und den Telekom-Sektor - unter die Kontrolle ihm nahestehender Oligarchen
gebracht habe.

Gegen Ungarn läuft wegen verschiedener massiver Verstöße ein sogenanntes
Artikel-7-Verfahren, das mit dem Entzug der Stimmrechte in der EU enden könnte.
Weiterhin hält die EU mehrere Milliarden Euro an Fördergeldern zurück, die
Ungarn zustehen würden, deren Auszahlung aber aufgrund des
Rechtsstaatsmechanismus der EU ausgesetzt ist. Als Regierungschef des
Vorsitzlandes kann Orban allerdings in diese Vorgänge nicht eingreifen. Einen
gewissen Spielraum hat er beim Setzen von Themen und bei der Lenkung von
Debatten in den EU-Spitzengremien.

Die Abgeordnetengruppe der von Orban geführten Fidesz-Partei war wiederum im Europaparlament isoliert, nachdem sie 2021 aus der Fraktion der konservativen
Europäischen Volkspartei (EVP), der auch CDU und CSU angehören, nach jahrelangen
Streitigkeiten hinausgedrängt worden war. Der Versuch Orbans nach der
Europawahl, seine Fidesz-Abgeordneten in der rechten Fraktion Europäische
Konservative und Reformer (EKR) unterzubringen, scheiterte an der ablehnenden
Haltung der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Die bestimmenden
Kräfte in der EKR, Melonis Fratelli d'Italia und die polnische PiS, halten
Orbans Nähe zu Russland für unannehmbar.

Orban und der Fidesz vertreten offen Positionen des äußersten rechten Randes des europäischen Parteienspektrums, darunter die Verschwörungserzählung vom
"Bevölkerungsaustausch": "Globale Eliten", unter ihnen der ungarischstämmige
US-Milliardär und Philanthrop George Soros, würden die Einwanderung von Muslimen
nach Europa nach Kräften fördern, um die europäischen Völker ihrer "christlichen
und nationalen Identität" zu berauben, wird da behauptet. Belege dafür gibt es
keine./al/abc/gm/DP/nas

© 2000-2024 DZ BANK AG. Bitte beachten Sie die Nutzungsbedingungen | Impressum
2024 Infront Financial Technology GmbH