22.05.2024 19:55:16 - dpa-AFX: POLITIK/ROUNDUP: Berlin, Paris und Warschau wollen Sicherheitspolitik bündeln

WEIMAR (dpa-AFX) - Deutschland, Frankreich und Polen wollen angesichts
hybrider Bedrohungen durch Russland verstärkt Motor für eine gemeinsame
europäische Sicherheitspolitik sein und vor der Europawahl intensiver gegen
Desinformation vorgehen. "Wir können uns keine Außenpolitik auf Autopilot mehr
leisten", sagte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) am
Mittwoch nach Beratungen mit ihren Kollegen aus Frankreich und Polen im Format
des sogenannten Weimarer Dreiecks. "Deshalb wollen wir als Weimarer Dreieck
Triebfeder sein dafür, dass wir uns als Europäische Union richtig aufstellen und
geopolitisch handlungsfähiger werden", ergänzte sie.

Wenige Wochen vor der Europawahl am 9. Juni riefen die drei Außenminister
die Menschen in Europa auf, mit ihrer Wahl die Demokratie in der Europäischen
Union zu verteidigen. "Die Weimarer Republik erinnert uns daran, wie schnell
demokratische Regeln mit Hass und gezielten Kampagnen ausgehebelt werden
können", warnte Baerbock mit Blick auf den historischen Tagungsort. Es sei ein
großes Glück und das Verdienst vorheriger Generationen, dass die Demokratie
heute stark und wehrhaft sei und sie besser geschützt werden könne. "Zugleich
wissen wir aus unserer Geschichte, dass Demokratie nicht vom Himmel fällt,
sondern jeden Tag gelebt und im Zweifel verteidigt werden muss."

Séjourné an Erstwähler: Wahlrecht nutzen

Frankreichs Außenminister Stéphane Séjourné rief insbesondere junge Leute in den drei Ländern auf, sich nicht von der Europawahl zu enthalten, diese sei für
viele Zukunftsthemen von Bedeutung. "Es ist wichtig, das Wahlrecht zu nutzen,
während die Demokratie weltweit unter Druck gerät." Dies geschehe verstärkt auch
über von Russland eingefädelte Destabilisierungsversuche, wie etwa die
Farbattacke auf die Holocaust-Gedenkstätte in Paris. Das Ziel solcher Angriffe
sei es, Zwietracht in der Bevölkerung zu säen.

Gemeinsam gegen Desinformation

Deutschland, Frankreich und Polen wollten als Weimarer Dreieck ihre Kräfte
im Kampf gegen Fake News und Desinformation bündeln, kündigte Baerbock an. "Denn
wir sehen alle drei, dass die Europäische Union, unsere Freiheitsunion, im
Fadenkreuz steht. Europa wird von innen und von außen angegriffen, unter anderem
mit Spionage." Desinformationskampagnen gerade vor der Europawahl zielten "auf
die Herzkammer der europäischen Demokratie".

"Weimarer Agenda" als Arbeitsplan für mehr Sicherheit

Baerbock, Séjourné und Sikorski stellten in einer "Weimarer Agenda" einen
konkreten Arbeitsplan für ein stärkeres geopolitisches Europa auf. "Nur ein
Europa, das seine Interessen klar erkennt und auch danach handelt, wird in einer
immer unübersichtlichen Welt bestehen können", sagte die deutsche
Außenministerin. Neben der Sicherheits- und Verteidigungspolitik umfasse die
Agenda das Ziel einer Reform der EU mit schnelleren Entscheidungen sowie ein
"grünes Weimarer Dreieck". Die globale Energiewende sei für viele internationale
Partner wirtschaftliche Chance und größte Sicherheitsfrage zugleich.

In der Verteidigungspolitik werde angestrebt, das Ziel von Ausgaben in Höhe
von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts dauerhaft einzuhalten, sagte
Baerbock. Vor allem solle im Verteidigungsbereich zusammen geplant, gebündelt
und dann auch agiert werden. Die Bundesaußenministerin fügte hinzu: "Damit aus
einer militärischen Fähigkeitslücke kein Einfallstor wird, müssen wir sie
konsequent schließen, etwa bei der Luftverteidigung." Konkret bedeute das auch
mehr gemeinsame Beschaffung sowie eine Stärkung der europäischen
Rüstungskapazitäten durch langfristige Verträge und Planungssicherheit

Sikorski warnt vor Krieg jeder gegen jeden

Polens Außenminister Radoslaw Sikorski sprach von einem "dramatischen
Moment" angesichts des Kriegs in der Ukraine, der Europawahlen und dem
unsicheren Ausgang der US-Präsidentenwahl. "Dies sind keine Herausforderungen,
die wir allein bewältigen können", sagte er. Nach zwei blutigen Kriegen in
Europa habe man ein Tabu etabliert. "Und zwar, dass man die Grenzen nicht
verschieben darf. Alle Grenzen in Europa sind künstlich. Wenn wir wieder
anfangen zu finden, dass man wegen bestimmter nationaler Minderheiten mit Gewalt
Grenzen verschieben darf, ist das ein Rezept für Krieg von jedem gegen jeden."
Dies dürfe dem russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht gelingen. "Das
wichtigste ist, dass die Ukraine diesen Krieg nicht verliert und Russland ihn
nicht gewinnt."

Das Weimarer Dreieck war 1991 als Gesprächsformat von den damaligen
Außenministern der drei Länder in Weimar begründet worden. Baerbock kam direkt
von einem Solidaritätsbesuch in der Ukraine nach Weimar. In der Hauptstadt Kiew
hatte sie am Dienstag eindringlich mehr internationale Unterstützung für die
Ukraine bei der Luftverteidigung verlangt./bk/evs/dhe/DP/he

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