07.07.2024 16:24:50 - dpa-AFX: WDH/POLITIK: Die Linke bahnt einen Führungswechsel an

(Singular statt Plural im 3. Satz: Aufstellung)

BERLIN (dpa-AFX) - Bei der Linken bahnt sich ein Führungswechsel im Herbst
an. Die Parteivorsitzenden Martin Schirdewan und Janine Wissler hätten sehr
deutlich gemacht, dass sie nicht an ihren Stühlen klebten, hieß es am Sonntag
nach einer Krisensitzung des Bundesvorstands mit den Landesvorsitzenden der
Partei. Eine Arbeitsgruppe solle einen Fahrplan für eine inhaltliche,
strategische und personelle Aufstellung mit Blick auf den Bundesparteitag im
Oktober in Halle erarbeiten. Wichtig sei ein geordneter Prozess, hieß es aus
Parteikreisen.

Die Linke hatte bei der Europawahl Anfang Juni nur noch 2,7 Prozent der
Stimmen erhalten - etwa halb so viele wie fünf Jahre zuvor. "Das Ergebnis der
Europawahl war für die Linke ein schwerer Schlag", heißt es in einem Beschluss
nach der Sitzung zur Aufarbeitung der Wahlschlappe am Wochenende.
"Zusammenfassend müssen wir feststellen: Unsere Wahlstrategie ist nicht
aufgegangen."

Schon bei der Bundestagswahl 2021 und den folgenden Landtagswahlen hatte die Linke sehr schwach abgeschnitten. Seit langem gibt es Kritik am Bundesvorstand,
auch aus der Bundestagsfraktion. In den vergangenen Tagen forderten die früheren
Fraktionschefs Gregor Gysi und Dietmar Bartsch eine "strukturelle, politische
und personelle Erneuerung". Sachsen-Anhalts Fraktionschefin Eva von Angern
drängte Wissler und Schirdewan, beim Parteitag nicht mehr anzutreten.

Positionen drangen nicht durch

Die beiden führen die Partei seit 2022 gemeinsam. Zuvor amtierte Wissler ein gutes Jahr mit Susanne Hennig-Wellsow, die im April 2022 zurücktrat. Schirdewan
hatte zuletzt schon angedeutet, dass er über einen Rückzug im Herbst nachdenke.
Bei der Sitzung am Wochenende habe es selbstkritische Töne der
Parteivorsitzenden und der Landesvorstände gegeben, dass programmatische
Klärungsprozesse liegengeblieben seien, hieß es.

Das Beschlusspapier schlüsselt die Schwachpunkte auf: Die Linke habe sich
bemüht, soziale Gerechtigkeit "zentral zu stellen" sowie Klimagerechtigkeit,
Frieden, Flucht und Kritik an der Aufrüstungspolitik zu thematisieren. Doch
hätten Außenpolitik und Migration die mediale Debatte bestimmt. Vertreterinnen
und Vertreter der Linken seien nicht durchgedrungen.

BSW als "Teil einer Rechtsentwicklung"

Die Linke hatte nach jahrelangem Richtungsstreit im Oktober 2023 mit Sahra
Wagenknecht eine ihrer bekanntesten Politikerinnen verloren. Sie gründete ihre
eigene Partei, das Bündnis Sahra Wagenknecht, und erreichte bei der Europawahl
aus dem Stand 6,2 Prozent.

Rund 430.000 BSW-Stimmen kamen von der Linken, wie diese in ihrem Beschluss
festhält. 86 Prozent der BSW-Wähler fänden es gut, dass die neue Partei
gleichzeitig für mehr Soziales und weniger Zuwanderung einsetze. Das BSW habe
"rechte Stimmungen in der Bevölkerung aufgreifen" können und sei somit "Teil der
generellen gesellschaftlichen Rechtsentwicklung".

In Zukunft solle die Linke "deutlicher formulieren, wie eine humane
Migrationspolitik als Alternative zur Abschottungspolitik" aussehe. Auch in der
Friedenspolitik müsse die Partei wahrnehmbarer werden. Die Linke müsse soziale
Gerechtigkeit als Kernthema weiter stärken und ihre Forderungen zuspitzen. Als
erste Schritte nimmt sich die Partei vor, die Veränderungen ihrer Wählerschaft
genauer zu untersuchen, von erfolgreicheren linken Parteien in Europa zu lernen
und sich besser mit linken Bewegungen und Verbänden in Deutschland zu vernetzen.
Über den Sommer soll eine "Gesprächsoffensive" starten.

Kritik an den Kritikern

Die Kritik von Bartsch und Gysi spielten die Teilnehmer des Krisentreffens
an diese zurück. Es sei nicht gut angekommen, dass Bartsch und seine Anhänger in
der Öffentlichkeit eine Personaldebatte angefeuert hätten, hieß es aus
Parteikreisen.

Bartsch hatte lange versucht, die Abspaltung von Wagenknecht zu verhindern
und so den Fraktionsstatus der Linken im Bundestag zu sichern. Im Beschluss vom
Sonntag heißt es, deshalb seien viele Fragen nicht entschieden worden. "Im
Ergebnis erschienen wir vielen potenziellen Wähler*innen als profillos oder mit
unklarem Profil."/vsr/DP/he

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