26.06.2024 12:21:36 - dpa-AFX: POLITIK/ROUNDUP 2: Nato-Staaten küren Rutte zum Nachfolger von Stoltenberg

(Aktualisierung: Reaktionen Kanzler Scholz, Rutte, Sunak und Kristersson)

BRÜSSEL (dpa-AFX) - Der scheidende niederländische Regierungschef Mark Rutte ist offiziell zum nächsten Generalsekretär der Nato ernannt worden. Der
57-Jährige soll Anfang Oktober die Nachfolge des Norwegers Jens Stoltenberg
antreten, wie das Verteidigungsbündnis am Mittwoch nach einer Sitzung der
ständigen Vertreter der 32 Nato-Staaten im Brüsseler Hauptquartier mitteilte.
Stoltenberg (65) wird den Spitzenposten dann zehn Jahre ausgeübt haben.

Stoltenberg sagte zu der Personalentscheidung: "Ich begrüße es sehr, dass
die Nato-Verbündeten Mark Rutte als meinen Nachfolger ausgewählt haben. Mark ist
ein wahrer Transatlantiker, eine starke Führungspersönlichkeit und jemand, der
Konsens bildet." Er wünsche ihm viel Erfolg und wisse, dass er die Nato in gute
Hände übergebe.

Rutte erklärte, es sei eine enorme Ehre, zum Generalsekretär ernannt zu
werden, und dankte den Bündnispartnern für ihr Vertrauen. "Die Führung dieser
Organisation ist eine Verantwortung, die ich sehr ernst nehme", versprach er. Er
werde das im Amt im Oktober mit großem Elan antreten.

Staats- und Regierungschefs anderer Nato-Staaten gratulierten dem
Niederländer. Bundeskanzler Olaf Scholz schrieb etwa auf der Plattform X:
"Lieber Mark Rutte, Glückwunsch! Und gutes Gelingen als Nato-Generalsekretär.
Selten war unser Bündnis so wichtig wie heute. Deine Erfahrung,
sicherheitspolitische Expertise und dein diplomatisches Geschick kommen an die
richtige Stelle. Eine gute Wahl für Freiheit und Sicherheit."

Der britische Premierminister Rishi Sunak erklärte, er sei zuversichtlich,
dass Rutte die herausragende Arbeit von Stoltenberg fortsetzen werde, um die
Nato stark und vereint zu halten. Ulf Kristersson, Regierungschef von
Neu-Nato-Mitglied Schweden, bezeichnete Rutte als "hervorragenden Anführer".

Vertrag über zunächst vier Jahre

Der Vertrag von Rutte läuft zunächst über vier Jahre. Der Niederländer gilt
als äußerst erfahrener Außenpolitiker. Er war zuletzt knapp 14 Jahre
Regierungschef seines Heimatlandes, so lange wie noch keiner vor ihm und war
damit auch einer der dienstältesten der EU.

Hauptaufgabe des Generalsekretärs der Nato ist es, die politischen
Abstimmungsprozesse zwischen den Alliierten zu koordinieren und dafür zu sorgen,
dass auch bei schwierigen Themen ein Konsens erzielt werden kann. Weil er auch
Handlungsvorschläge machen kann, spielt er damit gerade in Zeiten von Krisen
oder Konflikten eine entscheidende Rolle. Zudem repräsentiert der
Generalsekretär das Verteidigungsbündnis auf internationaler Ebene und leitet
als oberster Verwaltungsbeamter das Nato-Hauptquartier.

Der Krieg und das Szenario Trump

Eine besonders große Herausforderung dürfte der neue Job für Rutte werden,
wenn es nach der US-Präsidentenwahl im November zu einer Rückkehr von Donald
Trump ins Weiße Haus kommen sollte. Äußerungen des Republikaners hatten in der
Vergangenheit Zweifel daran geweckt, ob die USA unter seiner Führung
uneingeschränkt zur Beistandsverpflichtung stehen würden. Bereits in seiner
Amtszeit von 2017 bis 2021 hatte Trump immer wieder über die seiner Ansicht nach
zu niedrigen Verteidigungsausgaben von europäischen Alliierten gewettert und
zeitweise sogar mit einem Austritt der USA aus dem Bündnis gedroht.

Selbst wenn es nicht zu einer Wiederwahl Trumps kommt, wird Rutte allerdings stark gefordert sein. Das liegt vor allem daran, dass der Krieg Russlands gegen
die Ukraine das sicherheitspolitische Umfeld völlig verändert, sich die
Alliierten aber zum Beispiel nicht einig darüber sind, ob der Ukraine in diesen
Zeiten eine klare Perspektive für eine Aufnahme in die Nato gegeben werden
sollte oder nicht. Länder wie Deutschland und die USA sind dagegen, weil sie
befürchten, dass ein solcher Schritt dazu führen könnte, dass Russland seinen
Krieg noch aggressiver fortführt. Länder wie Polen oder die baltischen Staaten
sehen das Risiko hingegen nicht.

Lange Blockade durch Ungarn und Rumänien

Vorausgegangen war der Ernennung Ruttes eine monatelange Blockade der
Personalie durch Mitgliedstaaten wie Ungarn und Rumänien. Erst in der
vergangenen Woche hatten sie ihren Widerstand gegen den Niederländer aufgegeben
und so den Weg für den notwendigen Konsens im Nordatlantikrat freigemacht.

Ungarn lenkte ein, nachdem Rutte auf ungarische Forderungen eingegangen war. Dabei ging es unter anderem darum, dass Ungarn sich sicher sein will, nicht zu
einer Beteiligung an einem geplanten Nato-Einsatz zur Koordinierung von
Waffenlieferungen für die Ukraine gedrängt zu werden. Die Regierung von
Ministerpräsident Viktor Orban befürchtet, dass das Bündnis durch das Projekt in
eine direkte Konfrontation mit Russland getrieben werden könnte. Aus Rumänien
war Staatspräsident Klaus Iohannis selbst Kandidat für den Posten gewesen. Nach
der Entscheidung Orbans zog er seine Bewerbung aber offiziell zurück.
Bundeskanzler Scholz hatte sich bereits im Februar öffentlich hinter den
rechts-liberalen Politiker Rutte gestellt. Weitere Unterstützung kam damals auch
aus den USA und Großbritannien.

Als Hintergrund der von Anfang an aussichtslosen Kandidatur des Rumänen
Iohannis galt in Bündniskreisen dessen ungewisse berufliche Zukunft. So wurde
vermutet, dass es Iohannis vor allem darum ging, als Alternative irgendeinen
anderen internationalen Spitzenposten angeboten zu bekommen. Die zweite Amtszeit
des Rumänen als Staatspräsident endet im Herbst und er kann dann in Rumänien
kein weiteres Mal mehr antreten.

Stoltenberg-Vertrag läuft bis zum 1. Oktober

Der derzeitige Vertrag des amtierenden Nato-Generalsekretärs Stoltenberg
läuft noch bis 1. Oktober. Der 65-Jährige hatte in der Vergangenheit schon
mehrfach angekündigt, den Posten aufgeben zu wollen. Im vergangenen Sommer
scheiterten allerdings erneut Versuche der Mitgliedstaaten, sich auf einen
Nachfolger zu einigen. Damals hatten als mögliche Anwärter für die Nachfolge
Stoltenbergs unter anderem die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen
und der damalige britische Verteidigungsminister Ben Wallace gegolten. In der
Geschichte des Bündnisses ist Stoltenberg mittlerweile der am zweitlängsten
amtierende Generalsekretär. Am längsten war bislang der Niederländer Joseph Luns
der höchste internationale Beamte der Allianz. Er amtierte von 1971 bis
1984./aha/DP/tih

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