05.07.2024 05:39:36 - dpa-AFX: Handwerkspräsident warnt vor Erfolg extremistischer Parteien

BERLIN (dpa-AFX) - Handwerkspräsident Jörg Dittrich warnt vor Wahlerfolgen
extremistischer Parteien. "Das Spiel mit den Ängsten einer Gesellschaft ist aus
Sicht der Wirtschaft und der Betriebe äußerst gefährlich, denn bisher haben wir
unseren Wohlstand auf der Grundlage von Kompromissen erarbeitet", sagte Dittrich
der Deutschen Presse-Agentur. "Wenn jedoch Ressentiments geschürt und
rückwärtsgewandte Themen in den Vordergrund gestellt werden, sollten wir besorgt
sein. Als Exportnation leben wir von Weltoffenheit, und das betrifft nicht nur
die notwendige Zuwanderung in Ostdeutschland, sondern auch den Wert eines
starken Euro, der uns Wohlstand gebracht hat."

Der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks sagte weiter: "Die Sorge besteht darin, dass Menschen glauben, wir könnten Dinge rückgängig machen.
Stattdessen müssen wir voranschreiten und nicht in die Vergangenheit
zurückfallen. In diesem Kontext sehe ich die bevorstehenden Wahlen: Werden wir
es schaffen, die Menschen davon zu überzeugen, positive Veränderungen
mitzugestalten? Oder werden Populisten gewinnen, die einfache Antworten bieten,
die keine echten Probleme lösen, sondern nur weiter anheizen?"

Im September werden die Landtage in Sachsen, Thüringen und Brandenburg neu
gewählt. Umfragen zufolge könnte die rechtspopulistische AfD stärkste Partei
werden, es drohen schwierige Regierungsbildungen.

Handwerkspräsident sieht Abstiegsängste

Dittrich sagte, er nehme in der Gesellschaft eine starke Angst vor dem
Abstieg wahr. "Der eigene Wohlstand scheint bedroht. Gleichzeitig gibt es ein
großes Beharrungsvermögen, da jede Gesellschaftsgruppe sagt: "Bei uns darf sich
nichts verändern.' Diese beiden scheinbar widersprüchlichen Pole - Angst vor dem
Abstieg und Wunsch nach Besitzstandswahrung und Stabilität - müssen in den Blick
genommen und zusammengeführt werden."

Die Lösung sei ganz sicher nicht, Dinge zurückzudrehen - "sondern wir müssen sie weiterdrehen. Denn: Wenn wir das an Wohlstand behalten wollen, was wir
haben, wird das unter den veränderten Bedingungen nur klappen, wenn auch wir uns
bewegen und verändern. Zukunftswohlstand gibt es nur durch Veränderungen und
Transformationen. Dieses Narrativ und Verständnis sehe ich im politischen Raum
jedoch nicht ausreichend. Im Gegenteil: Die Politik scheut sich, die großen
Themen anzupacken, und versichert immer wieder, dass alles so wohlbehalten
bleibt, wie es war. Dabei sollte Politik die Speerspitze einer positiven
Vorwärtsbewegung sein." Als ein großes Thema hatte Dittrich eine grundlegende
Reform der Sozialversicherungssysteme genannt.

Osten wie Brennglas

Ostdeutschland sei wie ein "Brennglas", sagte Dittrich, der aus Dresden
kommt. "Die Leute dort haben eine riesige Veränderungsleistung erbracht, was für
die, die es durchlebt haben, eine sehr große Kraftanstrengung war. Das hat in
dieser Dimension im Westen nicht stattgefunden. Man sagt ja: "Es ist schwer, die
Schmerzen von anderen nachzuempfinden." Aber man sollte zumindest versuchen
nachzufühlen, was für eine tiefe Zäsur der Zusammenbruch eines ganzen
Gesellschaftssystems und einer Wirtschaft darstellt: Die allermeisten Menschen
im Osten mussten sich einen neuen Job suchen. Das ist unvorstellbar."

Hunderttausende seien weggezogen, weil es keine wirtschaftliche Perspektive
gab. "Und jetzt heißt es schon wieder: "Wir müssen ganz schnell die
Transformation in der Klimafrage hinbekommen." Das ist erneut ein Umbruch und
eine Anstrengung, die auf die dortige Gesellschaft prallt."

"Es nutzt nicht, zurückzuschauen"

Die Politik müsse Lösungen für die Sorgen der Menschen finden, betonte
Dittrich und nannte den demografischen Wandel und den Fachkräftemangel. Klar sei
aber auch: "Im Osten wie im Westen nutzt es nicht, zurückzuschauen, sondern wir
müssen darüber diskutieren, wie wir künftig leben wollen. Ich sehe deutlich,
dass die meisten Menschen ihre erarbeitete Lebenssituation gerne behalten
möchten." Wenn das so sei, müssten Veränderungen aktiv angegangen werden, damit
genau das erhalten werden könne.

"Dazu gehören Weltoffenheit und die Zuwanderung von Fach- und
Arbeitskräften, die bei uns mit anpacken. Die Produktivitätszuwächse allein sind
nicht groß genug, um die Lücke, die durch den demografischen Wandel entsteht, zu
schließen. Es reicht auch nicht, darauf zu setzen, dass wir das alles mit
Künstlicher Intelligenz lösen können."

Die Politik schaffe es nicht, die Sorgen der Menschen ausreichend ernst zu
nehmen, so Dittrich. "Das spiegelt sich in den Wahlergebnissen wider. Viele
Bürger fühlen sich nicht vertreten und sehen sich im Stich gelassen. Es mangelt
an der Fähigkeit, den Menschen einen klaren Plan zu präsentieren, der zeigt,
wohin die Reise gehen kann. Diese Orientierungslosigkeit führt zu Unsicherheit
und Enttäuschung, während die drängenden Fragen unserer Zeit unbeantwortet
bleiben."/hoe/DP/zb

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