09.07.2024 11:50:16 - dpa-AFX: POLITIK: Lindner und Buschmann gegen Wehrdienstmodell von Pistorius

BERLIN (dpa-AFX) - Das von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD)
vorgelegte Modell für eine neue Art von Wehrdienst wird vom Koalitionspartner
FDP strikt abgelehnt. Finanzminister Christian Lindner und Justizminister Marco
Buschmann begrüßen in einem Schreiben an den Verteidigungsminister zwar die von
ihm angestoßene Debatte zur Steigerung der Wehrfähigkeit. Eine allgemeine Wehr-
oder Dienstpflicht halten sie aber aus finanziellen, volkswirtschaftlichen und
rechtlichen Gründen für nicht realistisch. Stattdessen setzen die beiden
FDP-Politiker auf eine Attraktivitätssteigerung des Soldatenberufes und eine
stärkere Rolle der Reserve.

Über das Schreiben von Lindner und Buschmann an Pistorius hatte zuerst
"Welt" berichtet. Es liegt auch der Deutschen Presse-Agentur in Berlin vor.

FDP sieht keine gesellschaftliche Akzeptanz

"Uns eint das Ziel, die Bundeswehr zu einer der modernsten und
schlagkräftigsten Armeen zu machen", heißt es in dem Brief. "Dieses Ziel können
und werden wir nur mit der entsprechenden gesellschaftlichen Akzeptanz
erreichen. Dies schließt die Wiedereinführung einer allgemeinen Wehrpflicht bzw.
Dienstpflicht nach unserer Auffassung aus."

Hohe Kosten für neuen Wehrdienst befürchtet

Die beiden FDP-Minister weisen darauf hin, dass für eine neue allgemeine
Wehr- oder Dienstpflicht Strukturen aufgebaut werden müssten, was ein
"langwieriger und extrem kostenintensiver Prozess" wäre.

Auch könnte eine neue Wehr- oder Dienstpflicht zu erheblichen
volkswirtschaftlichen Verlusten führen, wie das Ifo-Institut in einer
Kurzexpertise für das Bundesfinanzministerium ermittelt habe. "Allein die
jährliche Verpflichtung eines Viertels einer Alterskohorte im Rahmen einer Wehr-
oder Dienstpflicht, also von ca. 195.000 Personen würde nach den Berechnungen
des Ifo-Instituts zu einem Rückgang des Bruttonationaleinkommens um 17,1
Milliarden Euro führen."

Auch rechtliche Bedenken

Lindner und Buschmann halten es zwar für eine "Maßnahme vorausschauender
Klugheit", eine Bestandsaufnahme der Menschen in Deutschland vorzunehmen, die im
Verteidigungsfall eingezogen werden könnten. "Eine darüber hinausgehende
Verpflichtung von kleinen Teilen eines Jahrgangs, sich mustern zu lassen oder
gar einen Wehrdienst abzuleisten, würde aber unvermeidliche Fragen der
Wehrgerechtigkeit aufwerfen", schreiben sie. Zudem stelle dies für die
Betroffenen einen tiefen Einschnitt in ihre Freiheit und persönliche
Lebensplanung dar.

Um die Personalprobleme der Bundeswehr zu beheben, setzen die beiden
FDP-Politiker stattdessen darauf, die Streitkräfte zu einem "noch attraktiveren
Arbeitgeber zu machen". Außerdem solle die Rolle von Reservistinnen und
Reservisten gestärkt werden. Diese müssten stärker in die Strukturen der
Bundeswehr eingebunden werden, weil es sich bei ihnen um die Praktiker und
Profis handele, die die Truppe dringend benötige.

Vorschlag von Pistorius

Das neue Modell von Pistorius sieht einen Grundwehrdienst von sechs Monaten
mit einer Option für einen zusätzlichen freiwilligen Wehrdienst von bis zu
zusätzlichen 17 Monaten vor. Dazu wird eine verpflichtende Erfassung eingeführt,
in der junge Männer ihre Bereitschaft und Fähigkeit zu einem Wehrdienst benennen
müssen - junge Frauen können dies freiwillig tun. Aus dem Pool von 400.000
Kandidaten eines Jahrgangs sollen von 2025 an jährlich zunächst 5.000
zusätzliche Wehrpflichtige, später auch mehr gewonnen werden./sk/DP/mis

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