20.06.2024 07:30:03 - dpa-AFX: HINTERGRUND: Europa ringt beim Tourismus um Klimaschutz

WIEN (dpa-AFX) - Sommer, Sonne, Strand - Urlaub kann so schön sein. In
Zeiten von Massentourismus und Klimakrise geraten viele Menschen aber ins
Nachdenken. Wie schaffe ich es, mit möglichst geringem ökologischen Fußabdruck
zu reisen? Wichtige europäische Urlaubsländer der Deutschen versuchen, mit
gezielten Maßnahmen und Angeboten das Gewissen zu beruhigen und als Ziel
attraktiv zu bleiben. Ein Überblick:

ITALIEN:

Das Sehnsuchtsland vieler deutscher Urlauber leidet besonders unter
Übertourismus. 2023 wurden fast eine halbe Milliarde Übernachtungen gezählt. In
Städten wie Rom oder Florenz ist der Besucherstrom manchmal unerträglich - aber
auch durch kleinere Städte wie Bozen, Capri oder San Gimignano schieben sich die
Massen. In Venedig werden zu bestimmten Terminen jetzt fünf Euro Eintritt
verlangt, um Tagesbesucher abzuhalten.

In der Hauptstadt Rom kommt es immer wieder vor, dass Urlauber wegen der
Hitze umkippen. Zwar gibt es seit jeher an Straßenecken Brunnen mit Trinkwasser
- aber allen ist klar, dass das in Zeiten des Klimawandels nicht mehr ausreicht.
Jetzt wird versucht, die Stadt wieder zu begrünen. Derzeit werden 100 000 Bäume
hochgepäppelt, die Schatten spenden sollen. Auch in vielen anderen Kommunen ist
man dabei, den steigenden Temperaturen Rechnung zu tragen: mit neuen
Architekturprojekten, mit strikten Verbotszonen für Autos und auch mit
staatlichen Zuschüssen für Hausbesitzer, die der Umwelt zuliebe umrüsten.

SPANIEN:

Spanien als Europas beliebtestes Urlaubsland steuert auf einen neuen Rekord
bei den Besucherzahlen zu: Schon im ersten Quartal wurden 24 Millionen Touristen
gezählt; ein zweistelliges Plus zum Vorjahreszeitraum. Der Massentourismus führt
an Brennpunkten wie Barcelona, den Kanaren oder vor allem den Balearen nicht nur
zu sozialen Problemen wie etwa der Verdrängung von Einheimischen, sondern auch
zu erheblichen Umweltproblemen.

Auf Mallorca und den anderen Baleareninseln versucht die Regierung
gegenzusteuern. Seit 2022 gilt dort ein Gesetz zur Nachhaltigkeit und
Kreislaufwirtschaft im Tourismusbereich. So sollen Hotels, Restaurants und
andere Teile der Tourismusindustrie gezwungen werden, umweltfreundlicher zu
wirtschaften. Sie müssen darlegen, wie viel Energie und Wasser sie bisher
verbrauchen, welchen Müll sie produzieren und woher sie ihre Lebensmittel
beziehen. Dann müssen sie sparen: Bei der Energie, beim Wasser, beim Müll. Es
geht auch um Photovoltaikanlagen, eine Isolierung der Häuser und die Nutzung von
Abluftwärme.

KROATIEN:

Das beliebte Urlaubsland an der Adria mit seinen malerischen Buchten und
Inseln zieht immer mehr Urlauber an. 2023 verzeichnete das
Fremdenverkehrsministerium 20,6 Millionen Reisende mit 108 Millionen
Nächtigungen - darunter viele Deutsche. Die Urlauberströme konzentrieren sich
auf die Sommermonate. Das Architektur-Juwel Dubrovnik mit seiner pittoresken
Seefestung kämpft mit Überfüllung - die Stadt an der südlichen Adria schränkt
inzwischen die Zufahrt von Kreuzfahrtschiffen und Autobussen mit
Tagesausflüglern ein.

Eine Strategie für die Entwicklung eines nachhaltigen Tourismus bis 2030
soll helfen. Für diese soll eine Milliarde Euro locker gemacht werden. Nun
sollen touristische Destinationen abseits der Adriaküste entwickelt werden. Dazu
gehört der Ausbau des Wellness- und Gesundheitstourismus. Leicht verfallene
Sanatorien könnten sich durch Renovierung zu einem zeitgemäßen Angebot mausern.

GRIECHENLAND:

Tourismus und Klimawandel sind für das Land ein Dilemma: Einerseits muss es
auf Klimaschutz setzen, weil es zunehmend von Trockenheit, Überschwemmungen und
katastrophalen Waldbränden heimgesucht wird. Andererseits sind die Griechen auf
den Tourismus angewiesen, einem der wichtigsten Faktoren der griechischen
Volkswirtschaft.

Jetzt will die Regierung zwei Milliarden Euro in den Zivil- und den
Klimaschutz stecken. Man wolle zum Vorreiter für neue Lösungen und nachhaltigen
Tourismus werden, heißt es. Dazu zählen kleine örtliche Maßnahmen, etwa auf der
Insel Tilos, deren Einwohner den Müll mittlerweile zu 90 Prozent recyceln, oder
auf der Insel Astypalea, die vollständig auf E-Mobilität und grüne Energie
umgestellt werden soll. Positiv fällt die Bilanz beim Ökostrom aus: Wind- und
Sonnenkraft machen mittlerweile gut die Hälfte der griechischen Energie aus.

ÖSTERREICH:

Das Land baut seit Jahren seine Angebote zum nachhaltigen, möglichst
klimaschonenden Tourismus aus. Busse und Bahnen sollen attraktiver werden. Im
Bundesland Salzburg können dort nächtigende Touristen ab Juli 2025 in allen
öffentlichen Verkehrsmitteln gegen einen geringen Betrag mitfahren. Andere
Regionen bieten Ähnliches. Viel getan hat sich im Wintertourismus: Mit
Sonnenkraft betriebene Lifte, Pistenfahrzeuge, die mit Biokraftstoffen unterwegs
sind, Beschneiungsanlagen, die zu 90 Prozent mit erneuerbarer Energie laufen.
Insgesamt ist nach Angaben der Österreich Werbung der Energieverbrauch pro
Nächtigung in den vergangenen Jahren deutlich gesunken.

Angesichts schneeärmerer Winter sollen in den niedriger gelegenen Gebieten
Alternativen zum Skifahren entwickelt werden. Eine nationale
Mountainbikestrategie ist das aktuelle Vorhaben. Die Hauptstadt Wien setzt auf
das Begrünen von Straßenzügen und weist Urlauber via App auf Hunderte
Trinkbrunnen sowie auf die mehr als 100 Nebelduschen hin.

SCHWEIZ:

In Genf und anderen Schweizer Städten können Gäste ab einer
Hotelübernachtung gratis Bus und Straßenbahn fahren, um den Verkehr zu
reduzieren. Im Kanton Tessin gibt es dafür sogar das Ticino-Ticket, das im
ganzen Kanton von den Bergen im Norden bis zum Lago Maggiore und dem Luganersee
gilt. Die Gemeinde Lauterbrunnen im Berner Oberland überlegt, die Blechlawine in
das Bergdorf mit teils kilometerlangen Staus durch eine Eintrittsgebühr ähnlich
wie Venedig zu reduzieren. Das zielt lediglich auf die Tagestouristen, die nur
fürs Selfie vor imposanter Bergkulisse kommen und in der Region gar nicht
übernachten.

MECKLENBURG-VORPOMMERN:

Das Urlaubsland im Nordosten gilt mit seinen Ostsee-Stränden, Seen, den
Inseln Rügen und Usedom sowie 7,6 Millionen Gästen mit 32 Millionen
Übernachtungen (2023) als eine Top-Destination. Es gibt ein Angebot an grünen
Hotels, Bio-Hotels und Hotels, die klimaneutrale Übernachtungen anbieten. Am
Kreuzfahrtstandort Warnemünde sind zwei Landstromanlagen installiert, mit denen
entsprechend ausgerüstete Schiffe bei Liegezeiten die Stromversorgung ohne
laufende Dieselmotoren und damit emissionsarm sichern.

2023 wurde in MV erstmals der Klima-Fußabdruck der Urlauber gemessen. Der
Großteil der Emissionen entfiel mit 46 Prozent auf die Mobilität. Zur
Hauptsaison leiden vor allem die Inseln und die Region Fischland-Darß-Zingst
unter hohem Urlauberverkehr. Einige Kommunen versuchen mit kostenlosen
Bus-Angeboten gegenzusteuern. "Die dezidierte Beschäftigung mit Klimaschutz und
Anpassungsstrategien ist ein Langstreckenlauf, von dem erst wenige Etappen
bewältigt sind", sagte Verbandschef Tobias Woitendorf.

ALLGÄU:

Das Allgäu will auch angesichts des Klimawandels ein beliebtes Reiseziel
bleiben. Dabei steht die bayerische Alpendestination vor der Herausforderung,
den Skitourismus trotz der Erderwärmung zu ermöglichen. Der Rückgang der Tage
mit natürlichem Schnee dürfte sich laut Tourismusverband fortsetzen: Im
Touri-Hotspot Oberstdorf geht eine Studie für das Jahr 2050 von 105 statt
derzeit 118 Tagen mit Naturschnee aus.

Die Kunstschneekanonen sind umstritten. Die Allgäuer Tourismuswirtschaft
rechtfertigt die technische Beschneiung damit, dass dadurch kein zusätzliches
Wasser verbraucht werde. Drei von vier Bergbahnen betrieben zudem die
Schneekanonen per Öko-Strom. Umweltschützer halten von der Technik trotzdem
nichts. "Der Bund Naturschutz lehnt den Einsatz von Kunstschnee ab, weil er
zahlreiche negative Auswirkungen auf die Natur hat und den notwendigen
Strukturwandel auf Kosten der Allgemeinheit unnötig hinauszögert", betont der
Umweltverband./axa/cs/DP/stk

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