26.05.2024 14:35:44 - dpa-AFX: POLITIK/'Politisches Theater' im Tschad: Stabilität siegt über Demokratie

N'DJAMENA (dpa-AFX) - Den Präsidentenpalast und die Franzosen kennt Mahamat
Déby bereits gut: Tschads neuer Präsident war sechs Jahre alt, als sein Vater
sich 1990 mit Einvernehmen aus Paris an die Macht putschte. 31 Jahre später
wurde Idriss Déby kurz nach seiner sechsten Wiederwahl im Kampf gegen Rebellen
getötet. Der Sohn, Chef der Präsidialgarde, setzte die Verfassung aus und zog
als Übergangspräsident in den Prachtbau ein. Während die Opposition sich über
Staatsstreich und Erbmonarchie empörte, reiste Frankreichs Präsident Emmanuel
Macron als einziger westlicher Staatschef in die ehemalige französische Kolonie
zum Begräbnis an.

Lücke im Putschgürtel

Mali, Tschad, Sudan, Guinea, Burkina Faso, der Niger, Gabun: Ein Land nach
dem anderen fiel in Westafrika und in der Sahelzone zwischen 2020 und 2023 in
die Hände von Soldaten und Generälen, die den Übergang zu einer neuen Demokratie
versprachen. Im Tschad ist dieser nun als erstem Land formell vollzogen. Déby
ist seit Donnerstag als gewählter Präsident im Amt - nach einem Sieg mit 61
Prozent unter drei Vierteln aller Wahlberechtigten, wie Wahlbehörde und
Verfassungsrat verkündeten. Beide Gremien werden allerdings von alten Vertrauten
der Débys geführt. Experten zweifelten an der Wahl, noch bevor Opposition und
Zivilgesellschaft der Koalition des 40-Jährigen Fälschung vorwarfen.

"Die Wahl war politisches Theater. Sie hatte nichts mit Demokratie zu tun,
aber das entspricht auch allen anderen Wahlen, die der Tschad je erlebt hat. Ich
glaube nicht, dass wir den Ergebnissen in irgendeiner Weise trauen können", sagt
Cameron Hudson, Afrika-Analyst beim US-Thinktank Center for Strategic and
International Studies.

Doppelstandards für den wichtigen Partnerstaat?

Glückwünsche gingen trotzdem ein - von Frankreichs Präsident Macron ebenso
wie Kremlchef Wladimir Putin, den Déby im Januar besucht hatte. Die USA lobten
die friedliche Wahl, wiesen aber auf "berechtigte Bedenken hinsichtlich der
Transparenz" hin. Die EU nahm das Wahlergebnis "zur Kenntnis" und bedauerte,
dass Wahlbeobachter nicht akkreditiert worden waren.

Im Gegensatz zu Mali, Burkina Faso und dem Niger, wo Paris die Umstürze
scharf verurteilte und die EU teils gar die Zusammenarbeit einstellte, blieb der
Tschad auch nach 2021 enger Verbündeter Frankreichs - selbst, als Déby die
Wahlen um zwei Jahre verschob und Sicherheitskräfte bei Protesten Dutzende
Menschen erschossen. "Die Franzosen setzen auf Realpolitik. Im Tschad gelten die
Forderungen nach Demokratie und Menschenrechten plötzlich nicht mehr. Die EU
setzt sich im Sahel dem Vorwurf von Doppelstandards aus", sagt Ulf Laessing,
Leiter des Sahel-Regionalbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung.

Das selbst kaum stabile zentralafrikanische Land gilt als Bollwerk und
Partner gegen die Ausbreitung islamistischer Terrorgruppen, deren Bekämpfung
sich vor allem Frankreich mit Unterstützung der USA in seinem Einflussgebiet zur
Aufgabe gemacht hat. Paris hat rund 1000 Soldaten auf seinem letzten großen
Stützpunkt im Sahel. Das Land mit mehr als 18 Millionen Einwohnern beherbergt
zudem mehr 1,7 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene, davon mehr als eine
Million aus dem schweren Konflikt im benachbarten Sudan. Über den benachbarten
Niger ziehen die Ersten bereits nach Norden Richtung Mittelmeer weiter.

"Macron und andere brauchten es, dass Déby gewinnt, dass seine Kontrolle
über das Land gefestigt wird und dass ihr Partner im Krieg gegen den Terrorismus
legitimiert wird, damit französische und amerikanische Truppen im Land bleiben
dürfen", sagt Hudson. "Sie haben entschieden, dass das Streben nach Stabilität
auf kurze Sicht größere Vorteile mit sich bringt als die Möglichkeit, einen
demokratischen Übergang im Lande einzuleiten. Tatsache ist, dass der Tschad für
einen Übergang zur Demokratie nicht wirklich gut aufgestellt ist."

Demokratie und Rechtsstaat mit Hindernissen

Aus Berlin, dessen Botschafter vor gut einem Jahr nach Streit aus dem Tschad ausgewiesen wurde, kamen gemischte Töne: "Wir begrüßen den geordneten und
überwiegend friedlichen Verlauf der Präsidentschaftswahlen in Tschad.
Gleichzeitig haben wir die Berichte über Intransparenz beim Transitionsprozess,
Unregelmäßigkeiten und Einschüchterungen sowie Maßnahmen, die die Pressefreiheit
einschränken, mit Besorgnis zur Kenntnis genommen", teilte das Auswärtige Amt in
Berlin auf Anfrage mit. "Wir rufen Präsident Déby und seine Regierung daher dazu
auf, demokratische und rechtsstaatliche Standards einzuhalten."

Die Aussichten darauf sind gering. Menschenrechtsberichte sehen neben
Festnahmen, Folter und Tötungen auch subtilere Methoden, die Anhänger Débys
systematisch bevorzugen. Vom Ölreichtum ist kaum etwas zu spüren - das Geld
fließt laut Experten ins Militär und an Lokalfürsten in dem Land mit mehr als
200 Volksgruppen, das auf dem UN-Entwicklungsindex den viertletzten Platz
belegt. Etwa die Hälfte der Landbevölkerung lebt in extremer Armut, selbst in
der Hauptstadt gibt es bei 45 Grad Celsius kaum Strom. "Ein Sieg von Déby
bedeutet, dass der Tschad etwa auf demselben Weg bleiben wird wie zuvor, mit
einer Zentralisierung der Macht bei einer immer kleiner werdenden Elite auf
Kosten von fast allen anderen", meint Andrew Smith von der Risikobewertungsfirma
Verisk Maplecroft.

Débys politischer Überlebenskampf könnte in den Abgrund führen

Ob die erhoffte Stabilität eintritt, ist dagegen offen. Der ältere Déby
brachte den Vielvölkerstaat zwar unter Kontrolle seiner kleinen
Zaghawa-Minderheit. Mehrfach musste Frankreich aber dabei helfen, den Vormarsch
von Rebellen auf die Hauptstadt zu stoppen. Die Konfliktdatenbeobachter Acled
zählten seit 2021 fast 2000 Tote im Zuge politischer Gewalt - im Konflikt mit
islamistischen Terrorgruppen am Tschadsee ebenso wie bei kleineren
Zusammenstößen zwischen ethnischen und kommunalen Milizen. Hudson warnt: Sollte
Déby das Land entgleiten, drohe ein blutiger Bürgerkrieg.

Débys Stellung ist aber auch unter den Eliten alles andere als sicher.
Schwere Differenzen gibt es etwa über seine Unterstützung der Paramilitärs in
Darfur. Frankreich ist in Teilen seiner Ex-Kolonien extrem unbeliebt - wegen
politischer Fehler, aber auch durch russische Desinformation. Déby sucht sich
deshalb neue Partner wie Russland oder die Vereinigten Arabischen Emirate.
"Frankreichs Hauptrolle im Tschad war es, die Rebellen mit Flugzeugen zu
stoppen, wenn sie kommen. Jetzt lösen Drohnen die Flugzeuge in Afrika ab, die
kann er auch von der Türkei und den Vereinigten Arabischen Emiraten bekommen",
sagt Laessing./cpe/DP/he

© 2000-2024 DZ BANK AG. Bitte beachten Sie die Nutzungsbedingungen | Impressum
2024 Infront Financial Technology GmbH