04.07.2024 13:24:22 - dpa-AFX: EM 2024/ROUNDUP: Mit pinken Haaren in die Reifeprüfung gegen die Furia Roja

HERZOGENAURACH/STUTTGART (dpa-AFX) - Die Spanier halten sich schon für die
Größten und Besten, aber Angstschweiß bricht bei den deutschen EM-Fußballern um
Chefstratege Toni Kroos und Zauberer Jamal Musiala nicht aus. Beim
Abschlusstraining vor der ultimativen Reifeprüfung beim Heimturnier präsentierte
sich der stets furchtlose Vorkämpfer Robert Andrich nicht mehr platinblond,
sondern mit pink gefärbten Haaren. War es eine kleine Botschaft an die Furia
Roja, die rote Furie, wie die spanische Nationalmannschaft genannt wird?

Stärke zeigen, Zeichen setzen, Brust raus: schon vor dem Anpfiff der bislang besten Mannschaften besonders prominent besetzten Viertelfinalpartie am Freitag
(18.00 Uhr/ARD und MagentaTV) in Stuttgart waren die verbalen und auch
nonverbalen Muskelspiele eröffnet. Die deutsche EM-Party soll auf der
drittletzten Station nicht abrupt enden, sondern noch lauter und noch
euphorischer in die letzte Turnierwoche gehen.

Musiala: Wir werden alles tun für das Land

Jungstar Jamal Musiala ging überraschend verbal voran. "Wir werden alles
tun, für das Land, für das Trainerteam, für alle, dass wir den Titel holen
können. Das ist unsere Motivation", kündige der schon dreifache Torschütze
voller Entschlossenheit bei Sky an.

Jamal gegen Yamal, der 21-jährige Musiala gegen das noch 16 Jahre alte
spanische Megatalent Lamine Yamal, das ist nur ein Hingucker bei dieser
Kraftprobe mit vielen spannenden Duellen. Passmaschine Kroos gegen Spaniens
Mittelfeldhirn Rodri. Joshua Kimmich gegen den brillanten Linksaußen Nico
Williams mit der auffälligen Haartracht. Oder auch das Duell der Torhüter,
Deutschlands Viertelfinal-Spezialist Manuel Neuer gegen Unai Simon von Athletic
Bilbao. Es geht jetzt um Feinheiten, Nuancen, um Schlüsselmomente.

Haben sechs Wochen seit dem Vorbereitungsstart im thüringischen Blankenhain
ausgereicht, um wieder eine deutsche Turniermannschaft zu formen, die mit den
Fans im Rücken so sehr gewachsen ist, um allen Widerständen zu trotzen und
unaufhaltsam zur finalen Krönung nach Berlin zieht? Julian Nagelsmann hat seit
seinem radikalen Kaderumbruch nach dem Augen öffnenden 0:2 im Testspiel gegen
Österreich im November 2023 in mittlerweile acht ungeschlagenen Länderspielen
einen neuen Glauben nicht nur gepredigt, sondern geweckt.

"Jetzt bleiben die Köpfe oben"

"Langsam verstehen sie, wie gut sie sind", sagte der 36-Jährige zufrieden
nach dem Blitz-und-Donner-Sieg gegen Dänemark über seine Spieler, die den
schweren Rucksack der Murks-Turniere 2018, 2021 und 2022 endlich abschütteln
konnten. "Jetzt bleiben die Köpfe oben", sagte Abwehrchef Antonio Rüdiger dem
"Kicker" zum Haltungsunterschied, wenn es mal schwierige Spielphasen auf dem
Platz gemeinsam zu überstehen gilt. Joshua Kimmich glaubt nicht, "dass die
Spanier sich sehr gefreut haben, uns zu kriegen im Viertelfinale".

Nagelsmann redete sein Team schon im Frühjahr stark, als die Zweifel im Land noch groß waren. "In allererster Linie will ich, dass sich die Mannschaft
belohnt für das, was sie kann. Das ist mein Hauptantrieb", sagte der
Bundestrainer noch bevor der erste Ball in den EM-Stadien über den Rasen rollte.
Jetzt ist es an der Zeit für Nagelsmann, dass nach 36 Jahren mal wieder ein
Turnierspiel gegen die stolzen Spanier gewonnen wird; egal ob nach 90 Minuten,
nach Verlängerung oder auch erst in einem dramatischen Elfmeterschießen.

Kroos, Gündogan, Rüdiger im Spanien-Fokus

Der königliche Kroos, der nach seinem triumphalen Abschluss im Trikot von
Real Madrid als nationaler Meister und Champions-League-Sieger nicht
ausgerechnet von den Spaniern in den Fußball-Ruhestand geschickt werden möchte,
sprach von "einem anderen Glauben" in der DFB-Elf, die er bei seiner Rückkehr im
März voller Verunsicherung vorgefunden hatte. "Ungarn, Schweiz, Dänemark - man
sieht unsere Schritte", sagte der 34-Jährige vor seinem letzten, vorletzten oder
drittletzten Spiel seiner Karriere: "Ich sehe uns vorbereitet!"

Kroos (34), Gündogan (33), Rüdiger (31), die drei Ü30-Routiniers von Real
und Barcelona müssen als Achsenspieler vorangehen gegen die bisherigen
Allesgewinner aus ihrer Wahlheimat. Kroatien (3:0), Italien (1:0), Albanien
(1:0) mit einer B-Elf und Georgien (4:1) - kein bisheriger EM-Gegner war der
Wucht des spanischen Ballbesitzfußballs gewachsen.

Sané oder Wirtz, das ist die große Frage

Um Ballbesitz, um Dominanz, um die Spielregie wird es entscheidend gehen.
"Es gibt viele Positionen, auf denen dieses Spiel entschieden wird", sagte
Kroos. Für den Fixpunkt im deutschen Spiel ist aber klar: "Solche Spiele werden
in der Mitte entschieden." Ruhe, Kontrolle, Stabilität, das sind die Faktoren,
die gerade Kroos wie kein anderer einbringen könne, bemerkte Leroy Sané: "Die
Schwäche hat er uns komplett genommen."

Sané oder Florian Wirtz? Das ist die größte Personalfrage, die sich auch
nach dem Abschlusstraining mit allen 26 Akteuren weiter stellte und Nagelsmann
womöglich erst spät auflösen wird. Sané steht für Tempo, Wirtz für mehr
Ballbesitzstärke und mehr Lösungen aus der Mitte des Spiels im offensiven
Verbund mit Gündogan, Musiala und Kai Havertz. Neben Abwehrchef Rüdiger wird
wieder Jonathan Tah erwartet nach verbüßter Gelb-Sperre. Und der kräftige David
Raum dürfte den Auftrag erhalten, Teenie-Star Yamal zu bekämpfen.

"Mit 16 schon auf diesem Level zu sein, ist echt Wahnsinn", sagte
Deutschlands Jamal über Spaniens Yamal. "Mit 16 hatte ich noch nicht die
körperlichen Voraussetzungen, um mit den Profis zu trainieren", gestand Musiala
beeindruckt. "Das ist echt cool zu sehen." Freilich: In Stuttgart soll mehr
Jamal als Yamal und noch mehr Deutschland als Spanien erstrahlen./kbe/DP/jha

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