20.06.2024 07:45:04 - dpa-AFX: HINTERGRUND/Pflichtversicherung gegen Hochwasser? Länderchefs, Kanzler beraten

BERLIN (dpa-AFX) - Zwei Wochen nach dem Hochwasser mit Milliardenschäden in
Süddeutschland beraten die Ministerpräsidenten der 16 Länder und Bundeskanzler
Olaf Scholz (SPD) an diesem Donnerstag über eine Versicherungspflicht gegen
Überschwemmungen. Die Bundesländer fordern seit einem Jahr die Einführung einer
Pflichtversicherung für Hausbesitzer, doch sowohl die deutschen Versicherer als
auch Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) lehnen das ab.

Nun kommt vom Bund der Vorschlag einer umgekehrten Versicherungspflicht -
nicht für Hausbesitzer, sondern für die Versicherer: Demnach sollen die
Unternehmen jedem Hauseigentümer, der sich gegen Elementarschäden versichern
will, auch einen Vertrag anbieten müssen. Bisher finden Hausbesitzer für Gebäude
in stark hochwassergefährdeten Gebieten häufig keine Versicherung, die das hohe
Risiko übernehmen will.

Doch was wäre eine solche Pflichtversicherung überhaupt - und warum wird
darum gestritten?

Was ist eine Elementarschadenpolice und welche Schäden deckt sie ab?

Die Gebäudeversicherung zahlt für Sturm und Hagelschäden, nicht jedoch bei
Hochwasser. Elementarpolicen sind ein Zusatzbaustein zur Gebäudeversicherung für
weitere Naturgefahren inklusive Überschwemmungen. Aber Achtung: Auch eine
Elementarpolice deckt nicht alle denkbaren Wasserschäden ab. Strömt etwa
Grundwasser durch den Abfluss im Waschkeller nach oben ins Wohnhaus, zählt das
üblicherweise als Baumangel, ähnlich einem undichten Dach - und die Versicherung
zahlt nicht.

Warum wird über eine Pflichtversicherung diskutiert?

Nur etwa die Hälfte der in Deutschland stehenden privaten Gebäude ist
elementarversichert. So verursachte das verheerende Juli-Hochwasser 2021 nach
Zahlen des GDV knapp neun Milliarden Euro versicherter Schäden. Einschließlich
der nicht versicherten Schäden von Bürgern, Unternehmen und an der öffentlichen
Infrastruktur erreichten die Gesamtschäden nach Berechnungen des
Rückversicherers Munich Re die astronomische Summe von 33
Milliarden Euro, fast das Vierfache der versicherten Summe. Bisher übernahmen
nach Flutkatastrophen regelmäßig Bund und Länder die Rolle eines inoffiziellen
Versicherers und zahlten Milliardenhilfen. Da dies für den Staat extrem teuer
ist, fordern die Länder die Pflichtversicherung.

Was spricht pro und kontra?

Es gibt zwei Sichtweisen: Ohne finanzielle Hilfe würde etlichen bisher nicht versicherten privaten Hauseigentümern im Falle einer schweren Überschwemmung der
Ruin drohen. Im Falle eines Falles nicht zu helfen, wäre unsolidarisch. Das
Gegenargument läuft im Kern darauf hinaus, dass es der Allgemeinheit nicht
zuzumuten ist, wenn eine Vielzahl nicht versicherter Hauseigentümer ihr
persönliches Hochwasserrisiko auf die Mitmenschheit abwälzt.

Außerdem haben viele Kommunen sehenden Auges Baugebiete in
hochwassergefährdeten Gebieten ausgewiesen, eines näheren oder ferneren Tages
sind Überschwemmungen dort quasi garantiert. Und nicht zuletzt fürchtet die
Versicherungsbranche, dass Staat und Bürger nach Einführung einer
Pflichtversicherung am Hochwasserschutz sparen würden, denn es müsste ja immer
die Versicherung zahlen.

Was würde das für Hausbesitzer und Mieter bedeuten?

Eine Pflichtversicherung für sämtliche privaten Hausbesitzer würde bedeuten, dass sich auch diejenigen an den Kosten beteiligen müssten, die gar nicht
gefährdet sind, weil ihre Häuser weit entfernt von jedem Gewässer stehen.
Eigentümer von Mietshäusern würden das mutmaßlich auf ihre Mieter umlegen
wollen, auch diejenigen im garantiert hochwassersicheren siebten Stock.

Wer ist gegen die Versicherungspflicht für Hausbesitzer, und wer dafür?

Gegen eine Pflicht sind in erster Linie die Versicherer,
Hauseigentümerverbände und Justizminister Buschmann. Nach einer repräsentativen
Umfrage des Portals Verivox unter privaten Hausbesitzerinnen und -besitzern ist
deren große Mehrheit in dieser Hinsicht jedoch anderer Meinung als die Spitze
des Eigentümerverbands Haus + Grund: 71 Prozent der befragten gut tausend
Hauseigentümerinnen und -eigentümer finden demnach eine Versicherungspflicht
gegen Elementarrisiken richtig. Eine noch größere Mehrheit von 81 Prozent sprach
sich bei der Befragung im Mai dafür aus, den Versicherern die Pflicht
aufzuerlegen, allen Hausbesitzern Elementarpolicen anzubieten. Letzteres
entspricht dem Vorschlag von Justizminister Buschmann. Die Versicherer fordern
vor allem bessere Prävention gegen Hochwasser.

Und was soll "bessere Prävention" bedeuten?

Bis ins 19. Jahrhundert hielten viele Gemeinden sicheren Abstand vom Wasser, Flüsse und Bäche konnten sich in breiten Betten natürlich ausbreiten. Heutzutage
sind sämtliche großen Flüsse in Deutschland begradigt, eingeengt und
kanalisiert, ebenso viele kleinere Gewässer. Überschwemmungsflächen wurden für
die Landwirtschaft nutzbar gemacht oder bebaut.

"Bessere Prävention" bedeutet eine Vielzahl möglicher Maßnahmen. Ein
naheliegender und kostengünstiger Schritt wären Bauverbote in Hochwasserzonen.
Doch das wäre in den Gemeinden unpopulär. So forderte Bayerns Ministerpräsident
Markus Söder (CSU) vor zwei Wochen einerseits eine Pflichtversicherung für
Hausbesitzer und lehnte gleichzeitig Bauverbote in hochwassergefährdeten
Gebieten ab. Neben einem Bauverbot in Überschwemmungsgebieten können vorbeugend
gegen Hochwasser helfen auch die Sanierung vernachlässigter Dämme,
Rückverlegungen von Deichen, die Renaturierung ehemaliger Auwälder und der Bau
großer Flutpolder.

Und wie geht es weiter?

Kanzler Scholz deutete jüngst im Bundestag eine umgekehrte
Versicherungspflicht an: "Eigentümer von Häusern und Wohnungen müssen sich gegen
Elementarschäden versichern können." Eine Pflicht für die Versicherer, nicht
aber die Hausbesitzer. Justizminister Buschmann hat das näher ausgeführt: Jeder
Hausbesitzer soll ein Angebot bekommen. Bestehende Versicherungsverträge sollen
demnach um den Elementarschutz ergänzt werden können. In Angeboten für
Neuverträge sollte eine Elementarschadenversicherung enthalten sein, "die man
aber abwählen kann", wie Buschmann am Mittwoch sagte. Der Versicherungsverband
GDV erklärte dieses Modell für "besser als eine alleinige Pflichtversicherung
oder das teilstaatliche französische Naturgefahren-System". Allerdings ist der
Vorschlag weit entfernt von der Länderforderung einer Pflichtversicherung für
Hausbesitzer./cho/DP/stk
Name WKN Börse Kurs Datum/Zeit Diff. Diff. % Geld Brief Erster Schluss
ALLIANZ SE NA O.N. 840400 Frankfurt 258,700 26.06.24 21:15:12 -1,300 -0,50% 0,000 0,000 261,500 258,700
HANNOVER RUECK SE NA O.N. 840221 Frankfurt 234,600 26.06.24 15:24:28 -2,100 -0,89% 235,100 238,800 236,200 234,600
MUENCH.RUECKVERS.VNA O.N. 843002 Frankfurt 465,300 26.06.24 17:37:26 -0,900 -0,19% 465,100 466,200 466,300 465,300
TALANX AG NA O.N. TLX100 Frankfurt 74,000 26.06.24 09:16:30 -0,550 -0,74% 74,550 74,950 74,000 74,000

© 2000-2024 DZ BANK AG. Bitte beachten Sie die Nutzungsbedingungen | Impressum
2024 Infront Financial Technology GmbH