28.06.2024 12:45:52 - dpa-AFX: POLITIK/ROUNDUP:/Linken-Chef erwägt offenbar Rückzug: Werde informieren

BERLIN (dpa-AFX) - Nach der krachenden Niederlage bei der Europawahl erwägt
Linken-Chef Martin Schirdewan offenbar einen Rückzug von der Parteispitze. "Ich
werde rechtzeitig darüber informieren, ob ich noch einmal antrete", sagte
Schirdewan dem "Tagesspiegel" (Freitag). Auf Nachfrage der Zeitung sagte er, er
habe noch etwas vor. "Ich stürze mich mit aller Kraft in die Aufgaben, die bis
zum Parteitag vor uns liegen."

Bei dem Parteitag im Oktober wird der Bundesvorstand der Linken regulär neu
gewählt. Schirdewan führt die Partei seit zwei Jahren gemeinsam mit Janine
Wissler. Bei der Europawahl hatte die Linke nur noch 2,7 Prozent der Stimmen
bekommen, etwa halb so viel wie vor fünf Jahren. Schirdewan war selbst
Spitzenkandidat.

Nun sagte er der Zeitung: "Keine Frage: Es ist scheiße gelaufen. Da kann man nicht drumrum reden."

Kritik von Lötzsch und Trabert

Vor einigen Tagen hatte die langjährige Abgeordnete Gesine Lötzsch ihren
Rückzug nach der nächsten Bundestagswahl angekündigt und dabei scharfe Kritik an
der Parteispitze geübt. Die kam auch vom Sozialmediziner Gerhard Trabert, der
für die Linke ins Europaparlament wollte. Wegen des geringen Stimmenanteils der
Partei erhielt er kein Mandat.

Schirdewan sagte, die Linke wolle zunächst intern eine Auswertung des
Wahlkampfs vornehmen. "Aber klar ist, dass Konsequenzen gezogen werden müssen.
Es kann kein Weiter-so geben." Der Parteichef hatte schon am Wahlabend am 9.
Juni gesagt, die Partei werde vor der Bundestagswahl 2025 strukturell und
programmatisch nacharbeiten und sich "auch personell für die Zukunft
aufstellen".

Wissler will selbstkritische Debatte

Auch seine Co-Chefin Wissler ließ zuletzt auf Nachfrage offen, ob sie
persönliche Konsequenzen aus der Wahlniederlage ziehen und auf eine erneute
Kandidatur verzichten will. "Natürlich hören wir die Kritik", sagte Wissler
Anfang der Woche. "Und natürlich nehmen wir das ernst."

Wenn man ein solches Wahlergebnis habe, müsse man selbstkritisch fragen, was im Wahlkampf schief gelaufen sei. "Eine solche Debatte brauchen wir in der
Partei. Aber ich sage auch, wir brauchen die innerhalb der Partei." Vorher wolle
sie sich zur "inhaltlichen, strategischen und personellen Aufstellung" nicht
äußern. Der Parteivorstand tagt am Wochenende vom 6. und 7. Juli.

Einige Genossinnen und Genossen äußern die klare Erwartung, dass die
Parteispitze abtritt - allerdings nicht in der Öffentlichkeit. Prominente
Nachfolgerinnen oder Nachfolger sind nicht in Sicht. Genannt werden Namen aus
der zweiten Reihe, die bundesweit kaum bekannt sind.

BSW läuft der Linken den Rang ab

Die Linke hatte im Oktober mit Sahra Wagenknecht eine ihrer bekanntesten
Politikerinnen verloren. Sie gründete das Bündnis Sahra Wagenknecht und erzielte
bei der Europawahl aus dem Stand 6,2 Prozent.

Noch günstiger sehen die Umfragen für das BSW vor den Landtagswahlen in
Thüringen, Sachsen und Brandenburg im September aus. Nach jetzigem Stand kann
die Wagenknecht-Partei dort auf zweistellige Ergebnisse und eine mögliche
Regierungsbeteiligung hoffen.

Die Linke muss hingegen weitere Rückschläge fürchten. In Thüringen erreichte sie 2019 noch 31 Prozent und stellt den Ministerpräsidenten Bodo Ramelow. Dort
haben sich ihre Werte in Umfragen mehr als halbiert. In Sachsen rangiert die
Linke in Umfragen knapp unter der Fünf-Prozent-Hürde, in Brandenburg knapp
darüber. 2025 will die Linke wieder in Fraktionsstärke in den Bundestag, doch
liegt sie auch bundesweit unter fünf Prozent./vsr/DP/mis

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