21.06.2024 11:08:14 - dpa-AFX: HINTERGRUND: Debatte über Pflichtversicherung gegen Hochwasser dauert an

BERLIN (dpa-AFX) - Nur rund die Hälfte der privaten Gebäude in Deutschland
ist gegen Elementarschäden abgesichert. Die Länder dringen auf eine
Versicherungspflicht. Doch die dürfte so bald nicht kommen. Die Bundesregierung
gibt der Forderung der Länder nach einer bundesweit geltenden
Pflichtversicherung gegen Hochwasser- und andere Elementarschäden nicht nach.
Bei einem Treffen von Kanzler Olaf Scholz (SPD) mit den Ministerpräsidenten
wurde am Donnerstagabend aber vereinbart, im Gespräch zu bleiben.

Was ist eine Elementarschadenpolice und welche Schäden deckt sie ab?

Die Gebäudeversicherung zahlt für Sturm und Hagelschäden, nicht jedoch bei
Hochwasser. Elementarpolicen sind ein Zusatzbaustein zur Gebäudeversicherung für
weitere Naturgefahren inklusive Überschwemmungen. Aber Achtung: Auch eine
Elementarpolice deckt nicht alle denkbaren Wasserschäden ab. Strömt etwa
Grundwasser durch den Abfluss im Waschkeller nach oben ins Wohnhaus, zählt das
üblicherweise als Baumangel, ähnlich einem undichten Dach - und die Versicherung
zahlt nicht.

Warum wird über eine Pflichtversicherung diskutiert?

Nur etwa die Hälfte der in Deutschland stehenden privaten Gebäude ist
elementarversichert. So verursachte das verheerende Juli-Hochwasser 2021 nach
Zahlen des GDV knapp neun Milliarden Euro versicherter Schäden. Einschließlich
der nicht versicherten Schäden von Bürgern, Unternehmen und an der öffentlichen
Infrastruktur erreichten die Gesamtschäden nach Berechnungen des
Rückversicherers Munich Re die astronomische Summe von 33
Milliarden Euro, fast das Vierfache der versicherten Summe. Bisher übernahmen
nach Flutkatastrophen regelmäßig Bund und Länder die Rolle eines inoffiziellen
Versicherers und zahlten Milliardenhilfen. Da dies für den Staat extrem teuer
ist, fordern die Länder die Pflichtversicherung.

Was spricht pro und kontra?

Es gibt zwei Sichtweisen: Ohne finanzielle Hilfe würde etlichen bisher nicht versicherten privaten Hauseigentümern im Falle einer schweren Überschwemmung der
Ruin drohen. Im Falle eines Falles nicht zu helfen, wäre unsolidarisch. Das
Gegenargument läuft im Kern darauf hinaus, dass es der Allgemeinheit nicht
zuzumuten ist, wenn eine Vielzahl nicht versicherter Hauseigentümer ihr
persönliches Hochwasserrisiko auf die Mitmenschen abwälzt.

Außerdem haben viele Kommunen sehenden Auges Baugebiete in
hochwassergefährdeten Gebieten ausgewiesen, eines näheren oder ferneren Tages
sind Überschwemmungen dort quasi garantiert. Und nicht zuletzt fürchtet die
Versicherungsbranche, dass Staat und Bürger nach Einführung einer
Pflichtversicherung am Hochwasserschutz sparen würden, denn es müsste ja immer
die Versicherung zahlen.

Was würde das für Hausbesitzer und Mieter bedeuten?

Eine Pflichtversicherung für sämtliche privaten Hausbesitzer würde bedeuten, dass sich auch diejenigen an den Kosten beteiligen müssten, die gar nicht
gefährdet sind, weil ihre Häuser weit entfernt von jedem Gewässer stehen.
Eigentümer von Mietshäusern würden das mutmaßlich auf ihre Mieter umlegen
wollen, auch diejenigen im garantiert hochwassersicheren siebten Stock.

Wer ist gegen die Versicherungspflicht für Hausbesitzer, und wer dafür?

Gegen eine Pflicht sind in erster Linie die Versicherer,
Hauseigentümerverbände und Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP). "Die aus
dem Länderkreis geforderte Pflichtversicherung würde das Wohnen in Deutschland
teurer machen, eine große Bürokratie nach sich ziehen und den Staat nicht aus
der finanziellen Haftung nehmen", begründete Buschmann seine Haltung.

Nach einer repräsentativen Umfrage des Portals Verivox unter privaten
Hausbesitzerinnen und -besitzern ist deren große Mehrheit in dieser Hinsicht
jedoch anderer Meinung als die Spitze des Eigentümerverbands Haus + Grund: 71
Prozent der befragten gut tausend Hauseigentümerinnen und -eigentümer finden
demnach eine Versicherungspflicht gegen Elementarrisiken richtig. Eine noch
größere Mehrheit von 81 Prozent sprach sich bei der Befragung im Mai dafür aus,
den Versicherern die Pflicht aufzuerlegen, allen Hausbesitzern Elementarpolicen
anzubieten. Letzteres entspricht dem Vorschlag von Justizminister Buschmann. Die
Versicherer fordern vor allem bessere Prävention gegen Hochwasser.

Und was soll "bessere Prävention" bedeuten?

Bis ins 19. Jahrhundert hielten viele Gemeinden sicheren Abstand vom Wasser, Flüsse und Bäche konnten sich in breiten Betten natürlich ausbreiten. Heutzutage
sind sämtliche großen Flüsse in Deutschland begradigt, eingeengt und
kanalisiert, ebenso viele kleinere Gewässer. Überschwemmungsflächen wurden für
die Landwirtschaft nutzbar gemacht oder bebaut.

"Bessere Prävention" bedeutet eine Vielzahl möglicher Maßnahmen. Ein
naheliegender und kostengünstiger Schritt wären Bauverbote in Hochwasserzonen.
Doch das wäre in den Gemeinden unpopulär. So forderte Bayerns Ministerpräsident
Markus Söder (CSU) vor zwei Wochen einerseits eine Pflichtversicherung für
Hausbesitzer und lehnte gleichzeitig Bauverbote in hochwassergefährdeten
Gebieten ab. Neben einem Bauverbot in Überschwemmungsgebieten können vorbeugend
gegen Hochwasser helfen auch die Sanierung vernachlässigter Dämme,
Rückverlegungen von Deichen, die Renaturierung ehemaliger Auwälder und der Bau
großer Flutpolder.

Und wie geht es weiter?

Der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Hessens Regierungschef
Boris Rhein (CDU), betonte am Donnerstagabend, die Länder hielten eine
Pflichtversicherung weiter für richtig. Sie würden jetzt in einen Arbeitsmodus
gemeinsam mit der Bundesregierung einsteigen, um zu einer Lösung zu kommen.
Kanzler Scholz deutete jüngst im Bundestag eine umgekehrte Versicherungspflicht
an: "Eigentümer von Häusern und Wohnungen müssen sich gegen Elementarschäden
versichern können." Eine Pflicht für die Versicherer, nicht aber die
Hausbesitzer.

Justizminister Buschmann hat das näher ausgeführt: Jeder Hausbesitzer soll
ein Angebot bekommen. Bestehende Versicherungsverträge sollen demnach um den
Elementarschutz ergänzt werden können. In Angeboten für Neuverträge sollte eine
Elementarschadenversicherung enthalten sein, "die man aber abwählen kann". Der
Versicherungsverband GDV erklärte dieses Modell für "besser als eine alleinige
Pflichtversicherung oder das teilstaatliche französische Naturgefahren-System".
Allerdings ist der Vorschlag weit entfernt von der Länderforderung./cho/DP/mis

--- Von Carsten Hoefer und Anne-Beatrice Clasmann, dpa ---
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