14.07.2024 08:31:13 - dpa-AFX: ROUNDUP: Hamas stellt nach tödlichem Luftangriff Geisel-Deal infrage

TEL AVIV/GAZA (dpa-AFX) - Nach einem israelischen Luftangriff im Süden des
Gazastreifens mit Dutzenden Toten sind die Aussichten auf eine Waffenruhe und
die Freilassung von Geiseln der Hamas ungewiss. Alle Optionen seien offen,
einschließlich des Abbruchs der indirekten Verhandlungen, sagte der
Vize-Vorsitzende der Islamistenorganisation, Chalil al-Hajja, dem arabischen
Fernsehsender Al Dschasira. Ihr militärischer Anführer im Gazastreifen, Mohammed
Deif, sei bei dem israelischen Angriff nicht getötet worden, erklärte die Hamas.

"Mohammed Deif geht es gut, und er befiehlt weiterhin den Widerstand gegen
den israelischen Feind", sagte der Hamas-Funktionär Ali Barakeh der Deutschen
Presse-Agentur in Beirut. Israels Armee zielte mit dem Angriff westlich der
Stadt Chan Junis nach eigenen Angaben auf den Anführer des militärischen
Hamas-Arms. Keine der Angaben ließ sich zunächst unabhängig verifizieren. "Ich
sage (Israels Regierungschef Benjamin) Netanjahu, dass Muhammad Al-Deif dich
jetzt hört und deine Lügen verhöhnt", wurde al-Hajja zitiert.

Netanjahu: Noch keine Gewissheit

Man prüfe noch, ob Deif sowie Rafa Salama, der Kommandeur der
Chan-Junis-Brigade der Hamas, bei dem Luftschlag ums Leben gekommen sind,
erklärte Israels Armee. "Es besteht noch keine absolute Gewissheit", sagte
Netanjahu vor der Presse in Tel Aviv. Die Hamas-Männer sollen "Drahtzieher des
Massakers vom 7. Oktober" in Israel gewesen sein. Das Massaker vor mehr als neun
Monaten war der Auslöser des Gaza-Krieges. Palästinensischen Angaben zufolge
wurden bei Israels jüngstem Luftangriff mindestens 90 Menschen getötet.

Mindestens 300 weitere Menschen seien zudem in der humanitären Zone
Al-Mawasi verletzt worden, teilte die von der Hamas kontrollierte
Gesundheitsbehörde mit. "Der Angriff wurde in einem eingezäunten Gebiet
durchgeführt, das von der Hamas kontrolliert wird und in dem sich nach unseren
Informationen nur Hamas-Terroristen und keine Zivilisten aufhielten", hieß es
von Israels Armee. "Es war ein präziser Angriff." Es werde vermutet, dass die
meisten Opfer ebenfalls Terroristen gewesen seien. Keine der Angaben ließ sich
unabhängig prüfen.

Netanjahu: Haben die gesamte Hamas-Führung im Visier

Ein Vertreter des Militärs räumte in einem Online-Briefing ein, dass das
getroffene Objekt in der von Israel so deklarierten humanitären Zone westlich
der Stadt Chan Junis im Süden Gazas gelegen habe. "Es war aber eine abgezäunte,
bewachte Hamas-Basis, besetzt mit Terroristen", fügte der Armeevertreter hinzu.
Das Militär sei sich auch sehr sicher, dass sich zum Zeitpunkt des Angriffs
keine israelischen Geiseln dort befunden hätten. Israel werde die gesamte
Hamas-Führung ausschalten, sagte Netanjahu auf einer Pressekonferenz.

Damit bezog sich Israels Regierungschef auch auf Jihija al-Sinwar, den
Führer der Hamas in Gaza. Deif gilt als seine Nummer Zwei. Der Auslandschef der
Hamas, Ismail Hanija, warf Netanjahu vor, mit "abscheulichen Massakern" einen
Waffenstillstand in dem Krieg zu blockieren. Er forderte die Vermittlerstaaten
bei den indirekten Verhandlungen - Ägypten, Katar und die USA - auf, Israels
militärisches Vorgehen im Gazastreifen zu stoppen.

Alle Optionen seien offen, aber die Hamas werde "Netanjahu weder das geben,
was er will, noch ihm die Möglichkeit geben, sie für das Scheitern der
Verhandlungen verantwortlich zu machen", wurde al-Hajja vom arabischen
Fernsehsender Al Dschasira weiter zitiert.

Was wird aus den Geiseln?

Der Chef des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad, Daniel Barnea,
wolle in den nächsten Tagen zu einer weiteren Gesprächsrunde in die katarische
Hauptstadt Doha reisen, meldete der israelische Rundfunksender Kan. Die
Planungen für die indirekten Verhandlungen scheinen durch den jüngsten Versuch
Israels, den Hamas-Militärchef zu töten, vorerst nicht gekippt worden zu sein,
schreibt die israelische Zeitung "Haaretz".

In Israel demonstrierten derweil erneut Tausende Menschen für ein Abkommen,
um die noch rund 120 Geiseln in der Gewalt der Hamas nach Hause zu bringen. Die
Teilnehmer der Kundgebungen in Tel Aviv und Jerusalem warfen Regierungschef
Netanjahu vor, die indirekten Verhandlungen zur Erzielung einer solchen
Vereinbarung zu sabotieren. "Wir fordern, dass Sie aufhören, das Abkommen zu
sabotieren, wir fordern, dass Sie das Abkommen unterzeichnen", wurde die Mutter
einer Geisel von israelischen Medien zitiert.

"Netanjahu macht die Geiseln fertig", stand auf einem riesigen Transparent,
das Demonstranten in Tel Aviv vor sich hertrugen. Ein ehemaliger Entführter
sagte: "Ich mag nach außen okay wirken, aber der Schmerz belastet mich mehr, als
irgendjemand sich vorstellen kann." Er sei noch einer der Glücklichen gewesen,
der in einem Haus und nicht in einem Tunnel gefangen gehalten worden war. "Wenn
also ich an brutalen Bedingungen und Misshandlungen gelitten habe, was ist dann
mit den anderen 120 Geiseln?", sagte der Mann.

Israel reagiert auf Beschuss durch Hisbollah

Die israelische Luftwaffe attackierte unterdessen nach Beschuss durch die
proiranische Hisbollah Stellungen der Miliz in Südlibanon. Wie die israelische
Armee am Abend mitteilte, sei die Anlage bombardiert worden, von der aus zuvor
Geschosse auf den Norden Israels abgefeuert worden seien. Zudem seien eine Reihe
weiterer "terroristischer Infrastrukturen" der Hisbollah angegriffen worden,
hieß es in einer kurzen Mitteilung. Nähere Details wurden darin nicht genannt.
Die Angaben konnten unabhängig zunächst nicht überprüft werden.

Israel und die libanesische Schiitenmiliz liefern sich seit dem Beginn des
Gaza-Kriegs nahezu täglich Gefechte. Zuletzt nahm deren Intensität deutlich zu.
Auf beiden Seiten gab es Tote. Die Hisbollah-Miliz handelt nach eigenen Aussagen
aus Solidarität mit der islamistischen Hamas in Gaza. Seit langem wird
befürchtet, dass sich der Konflikt ausweiten könnte.

Angriff auch in Syrien

Wie Israels Armee am Abend weiter mitteilte, hätten sich zwei Drohnen von
syrischem Gebiet aus Israel genähert. Sie seien abgefangen worden. Daraufhin
habe die Luftwaffe in der Nacht eine Kommandozentrale sowie Terroranlagen, die
von der Luftabwehreinheit des syrischen Militärs genutzt würden, angegriffen.
Die Angaben ließen sich zunächst nicht überprüfen.

Nach Angaben der syrischen Armee wurde bei den israelischen Luftangriffen
auf militärische Einrichtungen und ein Wohnhaus in Damaskus ein syrischer Soldat
getötet und drei weitere verletzt, wie die syrische Nachrichtenseite Asharq
Al-Awsat am Morgen berichtete. Auch diese Angaben konnten zunächst nicht
unabhängig verifiziert werden.

Nach unbestätigten arabischen Berichten wurde der Anführer des
Palästinensischen Islamischen Dschihad (PIJ) in Syrien bei dem Angriff getötet.
Israels Luftwaffe bombardiert immer wieder Ziele in dem Nachbarland. Der
jüdische Staat will mit den Angriffen in Syrien verhindern, dass sein Erzfeind
Iran und mit ihm verbündete Milizen ihren militärischen Einfluss in dem Land
ausweiten. Der Iran ist einer der wichtigsten Verbündeten Syriens./ln/DP/nas

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