20.06.2024 11:35:31 - dpa-AFX: Niedersachsen fordert Hilfe vom Bund zur Rettung der Meyer Werft

HANNOVER (dpa-AFX) - Die um ihre Existenz kämpfende Meyer Werft kann auf
Unterstützung aus Niedersachsens Landespolitik hoffen. Parteiübergreifend sagten
Minister und Landtagsabgeordnete von SPD, CDU und Grünen am Mittwochabend bei
einem Krisentreffen mit der Gewerkschaft IG Metall, dem Betriebsrat und der
Geschäftsführung der Meyer Werft zu, sich um eine Rettung zu bemühen.

"Wir kämpfen jetzt zusammen um einen Neustart für die Werft", sagte
Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD). Allerdings werde Niedersachsen die Probleme
alleine nicht lösen könne, betonte Finanzminister Gerald Heere (Grüne). Er
appellierte an die Bundesregierung und das Unternehmen: "Für eine echte
Zukunftsperspektive der Meyer Werft brauchen wir dringend die Unterstützung des
Bundes und eine zukunftsfähige Konzernstruktur."

CDU-Fraktionsvize Ulf Thiele sagte, ohne eine zeitweise staatliche
Unterstützung werde es nicht möglich sein, der Werft eine dauerhafte und sichere
Zukunft zu geben. "Davon hängt die Zukunft des deutschen Schiffbaus ab. Davon
hängt die wirtschaftliche Entwicklung der gesamten Emsregion ab. Und davon hängt
die Existenz Tausender Familien ab", sagte Thiele.

Meyer Werft muss Lücke von 2,7 Milliarden Euro füllen

Die Meyer Werft ist einer der weltweit führenden Hersteller von
Kreuzfahrtschiffen und damit ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für Niedersachsen.
Die Auftragsbücher des Unternehmens sind voll - allerdings muss die Werft wegen
Nachwirkungen der Corona-Pandemie und Preissteigerungen infolge des russischen
Angriffs auf die Ukraine bis 2027 eine große Finanzierungslücke von 2,7
Milliarden Euro schließen.

Die Verträge für die Kreuzfahrtschiffe waren zum Teil vor der Pandemie
abgeschlossen worden und sehen keine Anpassung an die drastisch gestiegenen
Energie- und Rohstoffpreise vor. Die Werft bekommt rund 80 Prozent des
Kaufpreises zudem erst bei der Ablieferung und muss den Bau mit Krediten
zwischenfinanzieren.

Nach Informationen der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" soll für die
Rettung nur noch nur drei Monate Zeit bleiben, da Mitte September eine
Umfinanzierung von Krediten anstehe. Wirtschaftsminister Lies zufolge geht es in
der Diskussion um eine Erhöhung des Eigenkapitals sowie die Absicherung von
Krediten mit Bürgschaften.

Sanierungsexperte will 440 Stellen streichen

Der Betriebsratschef der Meyer Werft, Andreas Hensen, forderte nach dem
Krisentreffen mit der Landespolitik und der Geschäftsführung, es dürfe jetzt
keinen monatelangen Verhandlungspoker geben. "Die Beschäftigten erwarten
möglichst schnell positive Entscheidungen für eine sichere Zukunft", sagte er.
Für die Meyer Gruppe arbeiten insgesamt rund 7000 Menschen, davon sind etwa 3000
Stellen in Papenburg. Weitere Werften stehen in Rostock und im finnischen Turku.

Der Sanierungsexperte Ralf Schmitz, den die Werft im Frühjahr in die
Geschäftsführung geholt hatte, lobte laut Gewerkschaft ein konstruktives
Miteinander bei dem Treffen, "auch wenn wir wissen, dass noch ein Weg zu gehen
ist, bis mittel- und langfristige Lösungen gefunden sind". Anfang Juni hatte
Schmitz seine Absicht bekanntgegeben, 440 Stellen in Papenburg zu streichen. Das
stieß auf den Widerstand von Betriebsrat, IG Metall und Landesregierung.

Kritik am Unternehmenssitz in Luxemburg

In den Tagen vor dem Krisengipfel hatte die Landesregierung bereits
Erwartungen formuliert, was die Werft für eine Unterstützung zu tun habe. So
sagte Wirtschaftsminister Lies im Landtag, als international tätiger Konzern
müsse Meyer auch entsprechende Strukturen haben: "Es braucht einen
mitbestimmenden Aufsichtsrat, es braucht eine Konzernstruktur." Was nicht gehe,
sei eine pauschale Botschaft des Unternehmens, dass sich die Zukunft nur mit dem
Abbau von Stellen sichern lasse.

Für Diskussionen sorgte in dem Zusammenhang auch der Sitz der Meyer-Holding
in Luxemburg. Man erwarte, dass das Unternehmen seinen Sitz nach Deutschland
zurückverlege, hatte Lies gesagt. Die Entscheidung für Luxemburg hatte die Meyer
Werft 2015 getroffen, um keinen Aufsichtsrat einrichten zu müssen - denn mit
einem Aufsichtsrat könne er nicht so schnell und flexibel über neue Aufträge
verhandeln wie bisher, so die Argumentation des damaligen Firmenchefs Bernard
Meyer.

In Papenburg ist die Sorge um das wirtschaftliche Aushängeschild derweil
groß. Bürgermeisterin Vanessa Gattung von der SPD erklärte auf Anfrage der
"Neuen Osnabrücker Zeitung" schriftlich, wie groß die Bedeutung der Werft für
viele Menschen in der Region sei. "Insofern ist auch insgesamt eine
Verunsicherung wahrzunehmen", schrieb sie./cwe/DP/tih

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