10.07.2024 23:28:33 - dpa-AFX: 'Unglaubliches Gefühl': Watkins schießt England ins EM-Finale

DORTMUND (dpa-AFX) - Jubelnd sprang Englands Kapitän Harry Kane dem
Matchwinner Ollie Watkins in die Arme. Völlig gelöst führte auch Trainer Gareth
Southgate vor seiner Bank einen Freudentanz auf. Durch ein spätes Tor von
Watkins in der Nachspielzeit haben die Engländer am Mittwochabend die große
Oranje-Party bei der Fußball-EM beendet und sind jetzt nur noch einen Schritt
vom ersten großen Titel seit 58 Jahren entfernt.

Das Starensemble um Bayern-Stürmer Kane und Champions-League-Sieger Jude
Bellingham besiegte die Niederlande im Halbfinale mit 2:1 (1:1) und trifft im
Endspiel am Sonntag (21.00 Uhr/ARD und MagentaTV) auf den Favoriten und
Deutschland-Bezwinger Spanien. Zu den Klängen von Sweet Caroline ließen sich die
Engländer von ihren völlig euphorischen Fans feiern. Torwart Jordan Pickford
nahm direkt im englischen Block ein Bad in der Menge.

"Wir haben Geschichte geschrieben. Ich bin so stolz auf alle Spieler und
Mitarbeiter", sagte England-Kapitän Kane. "Es ist ein so schwieriges Turnier für
uns gewesen. Es war so hart, in dieses Finale zu kommen. Aber wir sind bereit!"

"Schwöre beim Leben meiner Kinder"

Vor 60 926 Zuschauern in Dortmund drehten Kane (18. Minute/Foulelfmeter) und der für Kane eingewechselte Ollie Watkins (90.+1) mit ihren Toren die Partie
nach einem frühen Rückstand durch ein Traumtor von Xavi Simons (7.). Anders als
in den Spielen zuvor zeigten die Three Lions diesmal zumindest eine Halbzeit
lang ihre fußballerische Klasse und boten ihre beste Turnierleistung.

Und auch der viel kritisierte Trainer Southgate hatte bei seinen Wechseln in der Schlussphase eine glückliche Hand. "Ich schwöre beim Leben meiner Kinder:
Ich habe zu Cole Palmer gesagt: Wir kommen rein, ich schieße das Tor und du
spielst den Pass", sagte Watkins. "Das ist ein unglaubliches Gefühl."

Erstmals steht England nun in einem großen Endspiel, das nicht in der Heimat stattfindet. 1966 war das selbst ernannte Mutterland des Fußballs im
Wembley-Stadion gegen Deutschland Weltmeister geworden. Vor drei Jahren
scheiterte man an gleicher Stelle im Elfmeterschießen des EM-Finales an Italien.
Nun soll der langersehnte zweite große Titel her.

Eviva España beim Fanmarsch

Das große Fußballfest von Dortmund beschränkte sich nicht auf das Spiel am
Abend, sondern begann bereits um die Mittagszeit. Rund 100.000 niederländische
Fans verwandelten die Stadt in eine riesige Partyzone. Oranje dominierte
komplett. Vom inzwischen zum Kult gewordenen Fanbus delegierte unter anderem
Ex-Profi Wesley Sneijder die feierwütige Menge nach links und nach rechts.

Beim laut Polizei größten Fanmarsch der Stadtgeschichte stimmte sich Oranje
ein. Fröhlich trällerten die Anhänger "Eviva España". Die Engländer, mit 25.000
Fans ebenfalls mehr als ordentlich vertreten, waren erstmals bei dieser EM
deutlich in Unterzahl.

Direkt viel Tempo im Spiel

Auf dem Platz legten die Niederländer einen Traumstart hin. Simons eroberte
den Ball von Declan Rice in der englischen Hälfte, lief noch ein paar Meter und
knallte das Spielgerät mit voller Wucht sehr sehenswert ins Kreuzeck.

Die englische Taktik mit dem Fokus auf Kontrolle und defensive Stabilität
der vergangenen Spiele war nun hinfällig. Die Three Lions mussten kommen - und
sie kamen. Angeführt von Kapitän Kane drängte England auf den schnellen
Ausgleich.

Zunächst scheiterte der Bundesliga-Torschützenkönig mit einem Distanzschuss
noch am niederländischen Torwart Bart Verbruggen, dann wurde er bei einem
Versuch im Strafraum von Denzel Dumfries hart am Fuß getroffen.

Kane fiel, der deutsche Schiedsrichter Felix Zwayer schaute sich die Szene
noch einmal im Video an und entschied dann auf Strafstoß. Der Gefoulte selbst
verwandelte mit einem gezielten Flachschuss und wurde damit zum alleinigen
EM-Rekordtorjäger in K.-o.-Spielen.

England offensiv stark wie lange nicht

Die Ansetzung Zwayers war in England schon vor dem Spiel sehr skeptisch
bewertet worden. Zu seiner Zeit bei Borussia Dortmund hatte Bellingham den heute
43-Jährigen nach einer Niederlage gegen den FC Bayern heftig kritisiert und
verbal angegriffen. Diesmal dürfte der Superstar zumindest mit der
Elfmeter-Entscheidung zufrieden gewesen sein.

Vor den Augen der britischen Musikgrößen Adele und Ed Sheeran drückte
England weiter. Das Southgate-Team war kaum wiederzuerkennen, zeigte in puncto
Kreativität und Offensivdrang die bisher beste Turnierleistung.

Vor allem der sehr agile Phil Foden sorgte für Alarm vor dem
niederländischen Tor. Erst verhinderte Dumfries auf der Linie nach einem
Abschluss des 24-Jährigen die englische Führung (23.), dann klatschte ein
Fernschuss Fodens an den Außenpfosten (32.). Für Oranje hatte Dumfries mit einem
Kopfball nach einer Ecke an die Latte Pech (30.).

Zweite Hälfte mit weniger Action

Der Halbzeitpfiff brachte nicht nur eine Verschnaufpause, sondern auch einen kleinen Bruch ins Spiel. Die sangesfreudigen Zuschauer bekamen nun keine große
Angriffs-Action mehr geboten. Stattdessen prägten lange Ballstafetten das
Geschehen. Einen Abschluss des niederländischen Kapitäns Virgil Van Dijk nach
einem Freistoß, lenkte Pickford zur Ecke (65.).

Insgesamt hatten die Niederländer nun deutlich mehr Kontrolle. Bis zur
Schlussphase: Zunächst traf Bukayo Saka zum vermeintlichen 2:1 für England (79.)
- da hatte das Koeman-Team aber noch Glück, dass Vorbereiter Kyle Walker
vermeintlich im Abseits stand. In der Nachspielzeit ließ Joker Watkins die
englischen Fans dann vor Freude ausrasten./the/DP/he

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