24.06.2024 16:01:06 - dpa-AFX: VERMISCHTES/130 Jahre Tower Bridge: Londons unterschätztes Wahrzeichen

LONDON (dpa-AFX) - Will man im Osten Londons die Themse mit dem Auto
überqueren, gibt es nicht viele Möglichkeiten. Ist der Blackwall-Tunnel
gesperrt, führt der nächste Weg über eines der bekanntesten Wahrzeichen der
Stadt: Die Tower Bridge.

Die am 30. Juni 1894 - vor 130 Jahren - eröffnete Brücke wird noch immer
jeden Tag von Zehntausenden Fahrzeugen und Fußgängern genutzt. Damals wurde sie
dringend gebraucht, denn die bestehenden Brücken waren hoffnungslos überlastet.

Flussüberquerung dauerte mehrere Stunden

Die Bevölkerung Londons wuchs im Laufe des 19. Jahrhunderts um mehrere
Millionen Menschen an. Täglich drängten sich Tausende auf den Brücken, um vom
Norden in den Süden und vom Süden in den Norden zu kommen. Hinzu kamen
Viehhändler, die ihre Tiere auf den Markt trieben.

"Es gibt Zeitzeugenberichte, wonach die Leute dann stundenlang auf der
London Bridge standen", sagt Dirk Bennett. Der aus Deutschland stammende
Historiker und Archäologe ist seit 2015 für die Kulturvermittlung und
historische Recherche an der Tower Bridge zuständig.

Doch eine weitere Brücke flussabwärts zu bauen, kam lange nicht infrage. Das Ufer der Themse in der Innenstadt, im sogenannten Pool of London, war im 19.
Jahrhundert ein wichtiger Umschlagplatz für Waren: Baumwolle, Kakao, Tee und
Zucker wurden per Schiff aus allen Teilen des Empires in die britische
Hauptstadt gebracht.

Die Tower Bridge vereint mehrere Brückentypen

Als schließlich eine Ausschreibung gemacht wurde, waren die Anforderungen
hoch. Die damals oft noch mit Masten versehenen Handelsschiffe mussten darunter
durchfahren können. Zudem sollte sich die Brücke ins Stadtbild mit dem nahen
Tower of London einfügen.

Etwa 50 Entwürfe wurden eingereicht. Darunter waren einige kreative
Vorschläge, wie etwa den kompletten Verkehr über gigantische Aufzüge auf eine
hoch gelegene Brücke zu transportieren und auf der anderen Seite wieder
hinunterzulassen.

Der Vorschlag, der sich schließlich durchsetze, stammt vom Architekten
Horace Jones und vereint gleich mehrere Brückentypen. Zwischen zwei knapp 64
Meter über dem Straßenniveau hohen Türmen wurde eine Klappbrücke über eine Länge
von 66 Metern konstruiert. Zwischen den Türmen sind zum Ufer hin jeweils
Hängebrücken gespannt.

"Nonplusultra viktorianischer Ingenieurskunst"

Populär bei Touristen ist die Brücke vor allem wegen ihres burgähnlichen
Aussehens, das an den Tower erinnert. Doch hinter der neogotischen Stein-Fassade
verbirgt sich ein Kern aus 10 000 Tonnen Stahl, der mit dem "Nonplusultra
viktorianischer Ingenieurskunst und Technologie" ausgestattet ist, wie es
Bennett ausdrückt. Nach acht Jahren Bauzeit war sie fertig.

Die Brückensegmente wurden früher mit einem dampfbetriebenen hydraulischen
Mechanismus bis zu einer beinahe senkrechten Lage aufgeklappt. Seit Anfang der
70er-Jahre wird der Mechanismus elektrisch betrieben und die hydraulischen
Elemente sind mit Öl statt mit Wasser befüllt.

Der pompösen Einweihung am 30. Juni 1894 im Beisein des Thronfolgerpaars
folgte erst am 9. Juli die Übergabe an die Öffentlichkeit. Fotos, die das
Ereignis sowie die letzten Tage vor der Fertigstellung zeigen, wurden erst vor
wenigen Monaten wiederentdeckt und sind nun in einer Freiluft-Ausstellung auf
der Brücke zu sehen. Etwa 140 000 Londoner strömten damals auf ihr neues
Wahrzeichen - auch im Rückblick noch ein Gänsehautmoment, findet Bennett.

Doppeldeckerbus "hüpfte" über die sich öffnende Brücke

Damit sogar in aufgeklapptem Zustand Fußgänger die Brücke nutzen können,
wurden die beiden Türme weit oben mit Fußgängerbrücken verbunden. Sie konnten
über Aufzüge oder Treppen erreicht werden, wurden aber bald wieder geschlossen,
weil sich der Umweg für Fußgänger kaum lohnte.

Es dauerte nur 60 Sekunden, bis die Brücke vollständig aufgeklappt war.
Offenbar zu schnell für einen Doppeldeckerbus, der die Tower Bridge im Jahr 1952
überquerte und von den sich öffnenden Segmenten überrascht wurde. Der Busfahrer
entschied, aufs Gas zu drücken und der Bus "hüpfte" über den sich auftuenden
Abgrund auf die andere Seite.

Legendär gewordenes Video mit Queen und James Bond im Hubschrauber

Noch immer wird die Tower Bridge für etwa 800 Schiffe im Jahr geöffnet. Die
Passage selbst wie auch die Fahrt im Auto über die Brücke sind kostenlos.
Betrieben wird das Bauwerk von der City Bridge Foundation, einer der ältesten
Stiftungen des Landes.

Die größte Aufmerksamkeit in jüngerer Zeit erhielt die Tower Bridge während
der Olympischen Spiele im Jahr 2012, als an den Fußgängerbrücken die olympischen
Ringe angebracht waren. In einem legendär gewordenen Video für die
Eröffnungsfeier war zu sehen, wie Queen Elizabeth II. und James-Bond-Darsteller
Daniel Craig mit dem Helikopter scheinbar darunter hindurchflogen, um danach mit
dem Gleitschirm über dem Olympiastadion abzuspringen./cmy/DP/he

© 2000-2024 DZ BANK AG. Bitte beachten Sie die Nutzungsbedingungen | Impressum
2024 Infront Financial Technology GmbH