28.06.2024 07:20:02 - dpa-AFX: ROUNDUP: Der Iran wählt neuen Präsidenten - zwischen Hoffnung und Machtkampf

TEHERAN (dpa-AFX) - Der Iran wählt an diesem Freitag einen neuen
Präsidenten. Rund 61 Millionen Wählerinnen und Wähler sind aufgerufen, einen
Nachfolger des bei einem Hubschrauberunglück ums Leben gekommen Ebrahim Raisi zu
wählen.

Die Wahllokale sind von 8.00 bis 18.00 Uhr Ortszeit (6.30 bis 16.30 Uhr
MESZ) mit der Möglichkeit zur Verlängerung geöffnet. Mit ersten Ergebnissen wird
am Samstag gerechnet. Erlangt keiner der Bewerber eine absolute Mehrheit, geht
es am 5. Juli in die Stichwahl.

Anders als in vielen anderen Ländern ist der Präsident im Iran nicht das
Staatsoberhaupt. Die eigentliche Macht konzentriert sich auf den Religionsführer
Ajatollah Ali Chamenei.

Machtkampf schwächt Chancen der konservativen Kräfte

Der sogenannte Wächterrat, ein mächtiges islamisches Kontrollgremium, hat
nur sechs Kandidaten für die Wahl zugelassen. Zwei Bewerber zogen sich bereits
zurück. Die sogenannten Fundamentalisten - das sind loyale und erzkonservative
Anhänger des Systems - sind am stärksten vertreten. Unter ihnen brennt ein
Machtkampf zwischen dem amtierenden Parlamentspräsidenten Mohammed Bagher
Ghalibaf und dem Hardliner Said Dschalili.

Ghalibaf, früherer General der mächtigen Revolutionsgarden, gilt als
konservativer Machtpolitiker. Dschalili vertritt radikalere Positionen. Bis
zuletzt hatten Regierungsanhänger und Fundamentalisten gehofft, sich auf einen
Spitzenkandidaten einigen zu können.

Als gefährlichster Herausforderer gilt der moderate Politiker und frühere
Gesundheitsminister Massud Peseschkian. Führende Stimmen aus dem Reformlager
haben ihm die Unterstützung zugesagt. Bei einer hohen Wahlbeteiligung dürften
seine Chancen gar nicht schlecht sein. Insbesondere, wenn es in die Stichwahl
geht und sich das iranische Volk zwischen einem Konservativen und Reformer
entscheiden müsste.

Wenig Wahlstimmung, viel Frustration

Wie viele Menschen letztlich wählen gehen, wird sich zeigen. Den Glauben an
große innenpolitische Veränderungen haben die meisten, vor allem die jungen
Menschen, verloren. Der Tod der jungen Kurdin Jina Masa Amini im Herbst 2022
entfachte landesweite Proteste gegen das islamische Herrschaftssystem.

Die Wahlbeteiligung bei der diesjährigen Parlamentswahl erreichte ein
Rekordtief von rund 40 Prozent. Bei Präsidentschaftswahlen im Iran gehen
traditionell jedoch mehr Menschen wählen.

Im Wahlkampf debattierten die Kandidaten vor allem über Wege, die enorme
Wirtschaftskrise im Land zu bewältigen. Der Iran ist wegen seines umstrittenen
Atomprogramms mit internationalen Sanktionen belegt und vom weltweiten
Finanzsystem weitgehend abgeschnitten. Das Land benötigt Investitionen in
Milliardenhöhe. Daneben diskutierten die Bewerber über innenpolitische Themen,
Kulturpolitik und den Umgang mit dem Westen.

Irans politisches System vereint seit der Revolution von 1979
republikanische und auch theokratische Züge. Freie Wahlen gibt es jedoch nicht:
Das Kontrollgremium des Wächterrats prüft Kandidaten stets auf ihre Eignung.
Eine grundsätzliche Kritik am System wird nicht geduldet, wie die
Niederschlagung von Protesten in den vergangenen Jahren zeigte./arb/DP/zb

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