07.07.2024 14:14:48 - dpa-AFX: Heftige Kritik an Bundeswehr-Ausgaben im Haushaltskompromiss

BERLIN (dpa-AFX) - Nach dem mühsam errungenen Haushaltskompromiss der
Ampel-Koalition gibt es massive Kritik an der voraussichtlich nur geringen
Erhöhung des Wehretats. Unter anderem der Bundeswehrverband fordert deutliche
Nachbesserungen. Er verweist auf die neue militärische Bedrohungslage in Europa
und auf Deutschlands Verantwortung in der Welt. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)
betont dagegen, die Bundeswehr erhalte mit dem Etatentwurf mehr Geld als in der
Vergangenheit.

Die Spitzen der Koalition hatten in der Nacht zum Freitag den seit Monaten
schwelenden Haushaltsstreit beigelegt und sich auf einen Entwurf für den
Bundeshaushalt 2025 geeinigt. Die Schuldenbremse wird eingehalten, eine
Haushaltsnotlage etwa wegen der Ausgaben für die militärische und humanitäre
Unterstützung der Ukraine nicht festgestellt. Dies war der FDP und ihrem
Finanzminister Christian Lindner wichtig.

Nicht durchsetzen konnte sich dagegen Verteidigungsminister Boris Pistorius. Der SPD-Mann wollte erreichen, dass der Verteidigungsetat von rund 52 Milliarden
Euro um mehr als sechs Milliarden Euro aufgestockt wird. Zugebilligt wurde ihm
jedoch nur eine Erhöhung um 1,2 Milliarden Euro.

Bundeswehrverband reagiert entsetzt

Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, André Wüstner, reagierte empört:
"Mit diesem Haushalt mag sich die Bundesregierung zwar durch diese
Legislaturperiode hangeln wollen, aber die Bundeswehr als wesentlicher Teil
unserer Sicherheitsarchitektur - und damit wir alle
- zahlt den Preis dafür", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Ein
Zuwachs von 1,2 Milliarden Euro werde "keinesfalls der aktuellen Bedrohungslage
und erst recht nicht Deutschlands Verantwortung in der Welt gerecht".

"Die Truppe ist verwundert, größtenteils schockiert. Gerade nach der Aussage des Bundeskanzlers während der Münchner Sicherheitskonferenz "Ohne Sicherheit
ist alles nichts" hätte niemand mit einer derartigen Unterdeckung des
Verteidigungsetats gerechnet", sagte Wüstner. "Trotz Ausrufung der Zeitenwende
ist leider keine Erkenntniswende eingetreten."

Nachbesserung im Parlament verlangt

Jeder wisse, dass das sogenannte Sondervermögen der Bundeswehr von 100
Milliarden Euro bereits in diesem Jahr vollständig in Verträgen gebunden sei.
"Wir brauchen den Aufwuchs des Verteidigungshaushaltes auch, um die dramatisch
steigenden Betriebsausgaben zu decken - vom Stromerzeugeraggregat über
Betriebsstoff und Sonderwerkzeugsätze bis hin zum Personal", betonte Wüstner.

Er forderte für die nach der Sommerpause im September beginnenden
Haushaltsberatungen im Bundestag: "Das Parlament muss massiv nachsteuern".
Geschehe dies nicht, "dann heißt es ZeitenWende - ZeitenEnde".

Scholz verteidigt den Haushaltskompromiss

Der Bundeskanzler verteidigte hingegen den Haushaltskompromiss, der - wie er bei einem Bürgerdialog in Weimar gestand - "mühevoll errungen" worden sei. Die
Koalition tue etwas für Kinder und Familien, indem das Kindergeld und der
Kinderzuschlag erhöht würden, sagte Scholz. Sie investiere in die Infrastruktur
des Landes wie Straßen und Schienen. Und auch in die modernste Infrastruktur für
die innere und äußere Sicherheit Deutschlands fließe Geld.

Der Kanzler betonte, "dass wir für die Sicherheit unseres Landes das
notwendige Geld bereitstellen und dass wir deshalb auch die Bundeswehr besser
ausstatten werden, als es in der Vergangenheit der Fall war".

Doch auch innerhalb der Ampel gibt es Kritik. Der SPD-Haushaltsexperte
Andreas Schwarz sprach im "Tagesspiegel" von einer "ernüchternden Zahl". "Das
Ergebnis der regierungsinternen Haushaltsgespräche entspricht nicht dem, was wir
im Verteidigungsbereich brauchen." Nun hätten die Abgeordneten im
parlamentarischen Verfahren die Aufgabe, "deutliche Nachbesserungen
vorzunehmen".

Auch Opposition schlägt Alarm

Nachbesserungen hält auch die Union für nötig. "Was wir jetzt brauchen, sind rasch echte Umpriorisierungen im Haushalt, die einen verstetigten und erhöhten
Verteidigungsetat ermöglichen", sagte der CDU-Sicherheitsexperte Roderich
Kiesewetter der "Augsburger Allgemeinen".

Der Präsident des Reservistenverbandes, Patrick Sensburg, kritisierte die
geringe Erhöhung des Wehretats mit den Worten: "Damit werden wir nicht
kriegstüchtig." Der frühere CDU-Bundestagsabgeordnete warnte beim
Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND): "Es werden vielmehr an allen Ecken und
Enden Lücken bleiben."

Lindner sieht "ganz normalen Haushaltsprozess"

Dass die Bundeswehr mit weniger Geld auskommen muss als erhofft, sieht
Finanzminister Lindner gelassen. "Der Verteidigungsminister bekommt mehr Geld
als im Haushalt davor, aber er bekommt weniger Geld, als er auch öffentlich
gefordert hat", sagte er der "Bild". "Das ist der ganz normale
Haushaltsprozess."

Ein Minister arbeite mit Leidenschaft für sein Ressort und fordere natürlich das Maximum, argumentierte Lindner. "Die Aufgabe des Finanzministers und der
Bundesregierung insgesamt ist dann, zu prüfen, was wünschenswert und was
wirklich notwendig ist."

Nach 2025 wird es "immer enger" bei Bundeswehr-Finanzierung

Die Finanzierung der Bundeswehr über 2025 hinaus dürfte ebenfalls noch zu
heftigen Debatten führen. Dann wird das Geld aus dem Sondervermögen ausgegeben
sein. Kanzler Scholz bekräftigte in Weimar, dass der reguläre Verteidigungsetat
von 2028 an 80 Milliarden Euro betragen soll.

Eine Finanzierung hierfür ist noch nicht gefunden. "Die ist deutlich höher
als unser Problem der letzten zwei, drei Tage oder der letzten Nacht", sagte
Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) in den ARD-"Tagesthemen" am Freitagabend. Und:
"2025 kommen wir gerade so durch. Danach wird es immer enger werden."/sk/DP/he

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