07.07.2024 14:35:52 - dpa-AFX: EM 2024/Trinkflasche gegen Elfmeter-Trauma: England feiert Pickford

DÜSSELDORF (dpa-AFX) - Den Elfmeter-Fluch besiegt, die Kritiker besänftigt -
für Englands Nationalmannschaft geht die historische EM-Mission trotz anhaltend
dürftiger Leistungen weiter. Ein Spickzettel auf der Trinkflasche von Torhüter
Jordan Pickford und ungewohnte Nervenstärke verhalfen beim 5:3 (1:1, 1:1, 0:0)
im Penalty-Krimi gegen die Schweiz in das EM-Halbfinale. Die Aussicht auf den
ersten Finaleinzug bei einem großen Turnier außerhalb Englands versetzte
Matchwinner Bukayo Saka in Euphorie: "Diese beiden Spiele können unser Leben
verändern. Wir können Geschichte schreiben."

Saka rehabilitiert sich

Anders als beim EM-Showdown vor drei Jahren gegen Italien behielten diesmal
alle fünf Schützen im Duell vom Punkt die Nerven. Vor allem bei Saka war das
Trauma von 2021 mit einem Schlag vergessen. Sein verschossener Elfmeter vor
heimischer Kulisse in Wembley und die anschließende mitunter rassistische Kritik
vieler enttäuschter englischer Fans hielten ihn nicht davon ab, erneut
Verantwortung zu übernehmen - und eiskalt zu verwandeln.

"Man kann einen Fehlschlag haben, aber man muss wieder aufstehen",
kommentierte der Torschütze zum 1:1 (80. Minute), mit dem er seine erneut
wankende Mannschaft vor dem Aus bewahrte und nach dem 0:1 fünf Minuten zuvor
durch Breel Embolo in die Verlängerung rettete. Cheftrainer Gareth Southgate
schloss den Matchwinner innig in die Arme: "Es ist ein Traum, mit ihm zu
arbeiten. Wir freuen uns für alle, aber ganz besonders für ihn."

Hilfreiche Trinkflasche

Dass die Weltmeister von 1966 weiter vom ersten großen Titel seit 58 Jahren
träumen dürfen, war auch Pickford zu verdanken. Die auf seiner Trinkflasche
verewigten Vorlieben der Schweizer Elfmeterschützen halfen dem englischen
Torhüter, gleich den ersten Schuss von Manuel Akanji zu parieren. Der "Dive
left"-Hinweis hinter dem Namen des ehemaligen Dortmunder Abwehrspielers erwies
sich dabei als besonders hilfreich.

Dass der Schlussmann laut der Zeitung "The Sun" bei anderen Schützen seine
eigenen Hinweise ignorierte und in die falsche Ecke flog, tat der märchenhaften
Geschichte um die siegbringende Trinkflasche keinen Abbruch. "Ich habe an meine
Mentalität und an mich geglaubt. Ich habe daran geglaubt, dass ich mindestens
einen halten werde", sagte der 30 Jahre alte Keeper. So kam es.

Pickfords großartige Bilanz

Mit Pickfords Hilfe können die Engländer plötzlich wieder Elfmeterschießen
gewinnen. In drei Duellen vom Punkt parierte er vier von 14 Strafstößen und
übertraf damit seine Vorgänger deutlich. Am Samstag gegen Akanji, 2021 gegen
Italien gegen Jorginho und Andrea Belotti sowie bei der WM 2018 gegen Kolumbien
gegen Carlos Bacca.

Das EM-Finale gegen Italien wurde vor drei Jahren nur verloren, weil gleich
drei englische Schützen vergaben. "Wenn man Turniere gewinnen will, geht es
nicht nur darum, gut zu spielen. Du musst einige dieser anderen Attribute
zeigen", sagte Southgate.

Nicht ohne Stolz verwies der Chefcoach, der als Fehlschütze im EM-Halbfinale von 1996 gegen Deutschland selbst zum Protagonisten der traumatischen
Erfahrungen Englands in dieser Disziplin wurde, auf die jüngste Arbeit mit
seinen Profis an dieser Schwäche: "Wir haben bei den vergangenen Turnieren drei
von vier Elfmeterschießen gewonnen. Aber für das letzte verschossene
Elfmeterschießen im Finale gegen Italien wurden wir ans Kreuz genagelt."

Southgate kontert Kritiker

Der Einzug ins Halbfinale am Mittwoch (21.00 Uhr) in Dortmund gegen die
Niederlande ist für den 53-Jährigen eine besondere Genugtuung. Die Kritik in der
Heimat am bisherigen Rumpelfußball seines Teams dürfte in den kommenden Tagen
abebben. Zwar blieb das über eine Milliarde Euro teure englische Starensemble
auch gegen die Schweiz weit unter seinen Möglichkeiten, zeigte aber laut
Southgate "Charakter und Widerstandskraft".

Der ehemalige Nationalspieler warb um Verständnis für die schmucklosen, aber erfolgreichen Auftritte seiner Mannschaft auf der großen Bühne: "Das sind keine
normalen Fußballspiele, sondern nationale Ereignisse mit enormem Druck." Seinen
Kritikern begegnete Southgate mit dem Hinweis auf die beachtliche WM- und
EM-Bilanz in seiner nunmehr knapp acht Jahre und 100 Länderspiele andauernden
Amtszeit: "Wir stehen jetzt im dritten Halbfinale von vier Turnieren. Das ist
eine gute Leistung. Jetzt wollen wir den großen Wurf machen."/bue/DP/he

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