10.07.2024 13:57:18 - dpa-AFX: Wirecard: EY entdeckte Fragwürdiges - und segnete Bilanz ab

MÜNCHEN (dpa-AFX) - Im Wirecard-Prozess kommen weitere Indizien ans
Tageslicht, dass krumme Geschäfte des Unternehmens schon lang vor dem Kollaps
hätten aufgedeckt werden können. Sonderermittler der
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY stießen schon 2016 auf Fragwürdiges - unter
anderem vergab die Wirecard-Bank Millionenkredite ohne Sicherheiten.

"Wir haben einen Krankenwagenfahrer in Dubai gefunden, der sechs Millionen
Dollar unbesichert bekommen hat", sagte ein EY-Mitarbeiter heute im Zeugenstand.
Darüber hinaus entdeckten der heute 44-Jährige und seine Kollegen 2016 und 2017
demnach im Rahmen einer nie abgeschlossenen Sonderuntersuchung Indizien für
Manipulationen bei der Übernahme des indischen Zahlungsdienstleisters Hermes
durch Wirecard.

Der Zeuge arbeitet bei EY als Forensiker - das sind Fachleute, die bei
Verdacht auf Unregelmäßigkeiten tätig werden. EY prüfte und testierte
alljährlich die Wirecard-Bilanzen, 2016 meldete sich ein Whistleblower
schriftlich beim Leiter des für Wirecard zuständigen Bilanzprüfungsteams. Der
Whistleblower gab Hinweise, dass das Wirecard-"Senior Management" bei der
Hermes-Übernahme Scheinumsätze ausgewiesen hatte.

Sonderuntersuchung verlief im Sand

Daraufhin wurden die EY-Forensiker aktiv, im Auftrag des Wirecard-Vorstands
starteten sie eine Sonderuntersuchung namens "Projekt Ring". "Unserer Sichtweise
nach haben wir Indikatoren gefunden, die geeignet waren, die Vorwürfe zu
stützen", berichtete der Zeuge.

Auf Anweisung des Wirecard-Vertriebsvorstands Jan Marsalek beendeten die
EY-Forensiker ihre Arbeit dann Monate später, bevor sie ihre Untersuchung
abgeschlossen hatten. "Aus unserer Sicht war es nicht beendet", sagte der Zeuge
am 137. Prozesstag des seit Dezember 2022 laufenden Mammutverfahrens.

Die separat von den Forensikern arbeitenden EY-Bilanzprüfer erteilten
Wirecard schließlich dennoch ein uneingeschränktes Testat für die Bilanz. Warum
die Kollegen sich schlussendlich dafür entschieden, wusste der Zeuge nicht zu
sagen: "Am Ende ist das die Entscheidung der Abschlussprüfer."

Auch Commerzbank hatte Verdacht geschöpft

Heute ist EY mit zahlreichen Klagen von Wirecard-Aktionären konfrontiert,
die Schadenersatz verlangen, weil die Prüfer die Wirecard-Bilanzen bis 2018
absegneten. Im Wirecard-Prozess hatte zuletzt auch ein früherer Vorstand der
Commerzbank berichtet, dass die Bank 2019 wegen Verdachts von Manipulationen die
Geschäftsbeziehungen zu Wirecard beenden wollte.

Die Anklage wirft dem früheren Wirecard-Chef Markus Braun, dem ehedem in
Dubai tätigen Manager Oliver Bellenhaus und dem früheren Chefbuchhalter des
Konzerns vor, über Jahre Scheinumsätze erdichtet zu haben, um das Unternehmen
über Wasser zu halten.

Braun bestreitet sämtliche Vorwürfe, der als Kronzeuge auftretende
Bellenhaus hingegen hat die Anklage weitgehend eingeräumt. Der frühere
Chefbuchhalter schwieg bislang und will sich kommende Woche erstmals
äußern./cho/DP/men
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