24.05.2024 13:26:57 - dpa-AFX: ROUNDUP 2: EU-Staaten beschließen Lieferkettengesetz

(Aktualisierung)

BRÜSSEL (dpa-AFX) - Lange wurde gerungen - nun haben die EU-Staaten das
europäische Lieferkettengesetz endgültig beschlossen. Bei der finalen Abstimmung
in Brüssel gab es an diesem Freitag keine Gegenstimmen - Deutschland und neun
weitere Länder enthielten sich allerdings, wie aus offiziellen Angaben des
EU-Ministerrats hervorgeht. Der Gesetzestext muss nur noch im Amtsblatt der EU
veröffentlicht werden, damit er in Kraft treten kann. Danach haben die
EU-Staaten gut zwei Jahre Zeit, die neuen Regeln in nationales Recht umzusetzen.
Das Vorhaben und dessen Auswirkungen im Überblick:

Was ist das Ziel des EU-Lieferkettengesetzes?

Ziel des EU-Lieferkettengesetzes ist es, Menschenrechte weltweit zu stärken. Große Unternehmen sollen zur Rechenschaft gezogen werden können, wenn sie von
Menschenrechtsverletzungen wie Kinder- oder Zwangsarbeit profitieren. Sie sollen
zudem einen Plan erstellen, der darauf abzielt, sicherzustellen, dass ihr
Geschäftsmodell mit dem Ziel vereinbar ist, die Erderwärmung auf 1,5 Grad im
Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu begrenzen.

Betroffene Unternehmen müssen nach Angaben des EU-Parlaments etwa
vertragliche Zusicherungen ihrer Zulieferer einholen. Falls nötig, müssten sie
außerdem kleine und mittlere Unternehmen, mit denen sie Geschäfte machen,
unterstützen, damit diese den neuen Verpflichtungen nachkommen könnten.

Was bedeutet das Gesetz für Verbraucherinnen und Verbraucher?

Der Referent für nachhaltigen Konsum im Verbraucherzentrale Bundesverband
(vzbv), Jochen Geilenkirchen, sieht in dem EU-Lieferkettengesetz eine Entlastung
für Verbraucherinnen und Verbraucher. "Es nimmt diejenigen für nachhaltige
Produkte im Supermarkt in die Verantwortung, die wirklich dafür sorgen können:
die Unternehmen", betonte er. Verbraucherinnen und Verbraucher könnten durch
Kaufentscheidungen ohnehin nicht korrigieren, was in der Lieferkette
schieflaufe.

Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für
Ernährung und Landwirtschaft habe gezeigt, dass die zu erwartenden
Kostensteigerungen durch das EU-Lieferkettengesetz überschaubar seien. Außerdem
sei es dem Gutachten zufolge weniger wahrscheinlich, dass dadurch bestimmte
Produkte wegfielen als beim schon geltenden deutschen Lieferkettengesetz. Dem
Verband ist nicht bekannt, dass infolge der Einführung des deutschen Gesetzes
Produkte aus bestimmten Regionen weggefallen seien.

Wie reagieren Politik und Zivilgesellschaft auf den EU-Beschluss?

Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze betonte, die EU mache als erster großer Wirtschaftsraum verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln zum
Standard. "Das ist eine gute Nachricht für alle Menschen weltweit, die unter
miserablen Arbeitsbedingungen leiden", so die SPD-Politikerin. Sven Giegold,
Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, kündigte an: "Wir werden nun für
eine wirksame und bürokratiearme Umsetzung in Deutschland sorgen."

Der Sprecher der Initiative Lieferkettengesetz, Johannes Heeg, sprach von
einem "Paradigmenwechsel im Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen und
Umweltzerstörung durch Unternehmen", der ein Erfolg der Zivilgesellschaft sei.
In der Initiative haben sich Organisationen wie Amnesty International, der
Deutsche Gewerkschaftsbund und Greenpeace zusammengeschlossen.

Was sagen Wirtschaftsvertreter zu dem EU-Gesetz?

Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) und der Verband der
Automobilindustrie (VDA) richteten Forderungen an die Bundesregierung. "Damit
den deutschen Unternehmen im Binnenmarkt kein Wettbewerbsnachteil entsteht, muss
die Bundesregierung das deutsche Lieferkettengesetz bis zur Umsetzung der
EU-Regelung in nationales Recht umgehend aussetzen", sagte
DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben. Ähnlich äußerte sich VDA-Präsidentin
Hildegard Müller. Die DIHK betonte, solange es in vielen anderen EU-Ländern kein
Lieferkettengesetz gebe, schaffe das deutsche Gesetz Wettbewerbsnachteile für
die Wirtschaft hierzulande.

Wie unterscheiden sich das europäische und das deutsche Lieferkettengesetz?

Einer der größten Unterschiede ist die Haftbarkeit: Im deutschen Gesetz ist
ausgeschlossen, dass Unternehmen für Sorgfaltspflichtverletzungen haftbar sind -
das EU-Gesetz lässt das zu. Darüber hinaus gilt das deutsche Lieferkettengesetz
für Unternehmen mit 1000 oder mehr Mitarbeitenden. In den kommenden Jahren sind
von der deutschen Version damit in der Bundesrepublik mehr Unternehmen betroffen
als von der EU-Variante.

Wie wurde das EU-Gesetz im Verhandlungsprozess abgeschwächt?

Ursprünglich sah ein Kompromiss von Unterhändlern der EU-Staaten und des
Europaparlaments vor, dass Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und
mindestens 150 Millionen Euro Umsatz von den Vorgaben betroffen sind. Diese
Grenze wurde jedoch auf 1000 Beschäftigte und 450 Millionen Euro angehoben, nach
einer Übergangsfrist von fünf Jahren. Nach drei Jahren sollen die Vorgaben
zunächst für Firmen mit mehr als 5000 Beschäftigten und mehr als 1,5 Milliarden
Euro Umsatz weltweit gelten, nach vier Jahren sinken diese Grenzen dann auf 4000
Mitarbeitende und 900 Millionen Umsatz.

Was passiert bei Verstößen gegen das EU-Gesetz?

Die EU-Staaten sollen eine Aufsichtsbehörde benennen, die den Unternehmen
auf die Finger schaut. Diese soll auch Strafen gegen Unternehmen verhängen
können, wenn diese sich nicht an die Vorschriften halten. Es können Geldstrafen
von bis zu fünf Prozent des weltweiten Nettoumsatzes eines Unternehmens fällig
werden.

Welche Rolle hat Deutschland bei der Verhandlung des Gesetzes gespielt?

Der Grund für die deutsche Enthaltung ist Uneinigkeit innerhalb der
Bundesregierung. Wichtige EU-Gesetze werden in Brüssel immer wieder ohne
deutsche Zustimmung verabschiedet. In diesem Fall hatte die FDP darauf gedrängt,
dass Deutschland dem Gesetz nicht zustimmt, aus Sorge vor Bürokratie und
rechtlichen Risiken für Unternehmen. Politikerinnen und Politiker von SPD und
Grünen befürworten die Regelung dagegen./mjm/DP/stk

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