22.05.2024 07:03:45 - dpa-AFX: POLITIK: Erobert die AfD die Rathäuser? - Thüringer Kommunalwahl als Testfall

ERFURT (dpa-AFX) - Kommunalwahlen waren bisher in Thüringen eine Domäne der
CDU: Doch vor der Entscheidung über 13 Landräte, 94 Oberbürgermeister und
Bürgermeister sowie etliche Kommunalparlamente an diesem Sonntag ist es anders.
Die CDU, die bei der Landtagswahl im September die Staatskanzlei von Bodo
Ramelow (Linke) zurückerobern will, sieht sich von einer in Umfragen starken AfD
mit ihrem Frontmann Björn Höcke attackiert.

Kann die als erwiesen rechtsextrem vom Landesverfassungsschutz eingestufte
Höcke-Partei bei den Kommunalwahlen die Weichen für die Landtagswahl stellen?
Diese Frage treibt die Wahlkämpfer aller anderen Parteien seit Wochen um.

Der Erfurter Politikwissenschaftler André Brodocz sieht in den
Kommunalwahlen, zu denen mehr als 1,7 Millionen Thüringerinnen und Thüringer
aufgerufen sind, zunächst einen Stimmungstest. "Ihr Ausgang kann mobilisierend
oder demobilisierend für die einzelnen Parteien wirken. Das ist mit Blick auf
die Landtagswahl etwa drei Monate später nicht zu unterschätzen." Und:
"Gewinnerparteien sind für viele Wähler attraktiver als Verliererparteien."

Zudem könnte die AfD, wenn sie im Vergleich zu den Kommunalwahlen 2018 und
2019 in Thüringen deutlich zulegt, erzählen, die Menschen vertrauten ihr - "bis
in den letzten Winkel Thüringens".

Eine Prognose wagt allerdings niemand - zu unterschiedlich sind die
regionalen Bedingungen und Themen sowie die Persönlichkeiten der Bewerber, bei
denen auch SPD, Linke, FDP und Parteilose Chancen auf Oberbürgermeisterämter und
Landräte haben. Immerhin hatte die AfD 2023 im thüringischen Sonneberg ihr
erstes Landratsamt in Deutschland erobert - danach folgten allerdings
Niederlagen in den Kreisen Nordhausen und Saale-Orla, wo ein Parteiloser und ein
CDU-Mann gewannen.

Dass die Verurteilung von AfD-Rechtsaußen Höcke wegen Nutzung einer
Nazi-Parole in einer Rede Einfluss auf Wahlentscheidungen für oder gegen die AfD
haben könnte, glaubt Brodocz nicht. Der AfD sei es offenbar gelungen, bei einem
Teil ihrer Wähler in den vergangenen Jahren eine Parteibindung aufzubauen. "Ein
Teil der AfD-Wähler ist offenbar immunisiert gegen solche Vorfälle." Bei
Umfragen zur Landtagswahl hat die AfD in den vergangenen Monaten nur leicht
verloren und liegt derzeit bei 30 Prozent, die CDU bei 20 und die Linke bei 16
Prozent.

Für die Thüringer CDU gehe es bereits bei den Kommunalwahlen um viel, glaubt Brodocz. 2018 bei der Wahl von Landräten und Oberbürgermeistern der kreisfreien
Städte war sie wie schon sechs Jahre zuvor stärkste Partei mit etwa der Hälfte
aller Landräte und einem Stimmenanteil von 37,9 Prozent. Einige ihrer
langjährigen Amtsträger wie im Thüringer Eichsfeld - einer katholisch geprägten
Region - treten aus Altersgründen nun nicht mehr an. "Die CDU braucht mit Blick
auf die Landtagswahl ein gutes kommunales Ergebnis", betont der
Politikwissenschaftler.

CDU-Mann Christian Herrgott habe im Saale-Orla-Kreis zu Jahresbeginn
gezeigt, "dass wir die sogenannte Alternative schlagen können", spornt CDU-Chef
Mario Voigt Mitglieder und Anhänger der Christdemokraten immer wieder an - und
setzt auf das Heimatgefühl der Thüringer. "Wir sind die einzige Partei, die bei
den Kommunalwahlen flächendeckend Kandidaten aufgestellt hat", erklärt Voigt.

Nicht überall tritt die AfD überhaupt mit eigenen Kandidaten an: In drei
Landkreisen stehen bei der Landratswahl keine AfD-Leute auf dem Wahlzettel, in
Weimar stellt die Partei keinen Oberbürgermeisterkandidaten. Bei den
Kreistagswahlen ist die CDU mit doppelt so vielen Bewerbern am Start, auch die
Linke, die SPD und die Grünen haben mehr Kandidaten als die AfD.

Die Aufstellung einer AfD-Kandidatenliste im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt
endete in einer Spaltung: Dort gibt es nach parteiinternem Streit nun zwei
Listen, die miteinander konkurrieren. Die örtliche CDU und die AfD selbst haben
bereits eine mögliche Anfechtung der Wahl ins Spiel gebracht. Der Vorgang sorgte
bundesweit für Aufsehen, wobei lokale AfD-Politiker Höckes Rücktritt forderten.

Für Kopfschütteln sorgt die Kandidatur eines Rechtsextremisten für das
Landratsamt in Hildburghausen in Südthüringen. Der dortige Wahlausschuss hatte
den Bewerber zugelassen, obwohl dieser als eine zentrale Figur in der
rechtsextremen Szene Thüringens gilt.

Erwartet wird, dass eine ganze Reihe von Personenwahlen am Sonntag noch
nicht entschieden werden. Dann geht es in Stichwahlen - zusammen mit der
Europawahl am 9. Juni./rot/DP/zb

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