12.05.2024 15:32:10 - dpa-AFX: US-Regierung: Israel hat in Gaza möglicherweise Völkerrecht verletzt

WASHINGTON (dpa-AFX) - Die US-Regierung hält es für möglich, dass Israel mit
von den USA bereitgestellten Waffen im Gazastreifen gegen humanitäres
Völkerrecht verstoßen haben könnte. Aufgrund der Situation in dem Kriegsgebiet
sei es schwierig, einzelne Vorfälle zu bewerten oder abschließende
Feststellungen zu treffen, heißt es in einem Bericht des US-Außenministeriums,
der am Freitagnachmittag (Ortszeit) mit Verzögerung an den US-Kongress
übermittelt wurde. "Es gibt jedoch genügend gemeldete Vorfälle, die Anlass zu
ernsthaften Bedenken geben."

Das Außenministerium habe von mehreren glaubwürdigen UN- und
Nichtregierungsquellen Berichte über mögliche Menschenrechtsverletzungen durch
israelische Streitkräfte erhalten. Da Israel in erheblichem Maße auf
US-Verteidigungsgüter angewiesen sei, sei es eine plausible Einschätzung, dass
das israelische Militär diese seit dem 7. Oktober in Fällen eingesetzt habe, die
"mit den Verpflichtungen des humanitären Völkerrechts oder den bewährten
Praktiken zur Minderung ziviler Schäden unvereinbar" seien.

Bericht kommt mit Verzögerung

Präsident Joe Biden hatte Anfang Februar schriftliche Zusicherungen
ausländischer Regierungen darüber gefordert, dass mit Militärhilfe aus den USA
nicht das Völkerrecht gebrochen wird. Das US-Außenministerium sollte innerhalb
von 45 Tagen "glaubwürdige" Zusicherungen von betreffenden Staaten einholen.
Betroffen sind Länder, deren US-Hilfe vom Kongress genehmigt wurde und die sich
aktuell in einem bewaffneten Konflikt befinden, also auch Israel.

Über den Vorgang musste das US-Außenministerium den Kongress in einem
Bericht informieren. Der Stichtag dafür war ursprünglich am Mittwoch, das
US-Außenministerium hatte jedoch eine Verzögerung um wenige Tage angekündigt,
ohne genauere Gründe dafür zu nennen. Der Bericht wurde erst jetzt
veröffentlicht.

In Bidens Maßgabe hieß es damals, wenn die Zusicherungen der betroffenen
Länder zur Einhaltung des Völkerrechts nicht innerhalb dieses Zeitraums
übermittelt würden, werde die militärische Unterstützung gestoppt. Aufgeführt
war darin auch der Umgang mit humanitärer Hilfe: So hieß es, betroffene Länder
dürften den Transport oder die Lieferung humanitärer Hilfe der USA oder solche,
die von der US-Regierung unterstützt werde, "nicht willkürlich ablehnen,
einschränken oder anderweitig behindern".

Kritik aus Biden-Lager: US-Regierung drückt sich

In dem Bericht heißt es nun, israelische Beamte hätten erklärt, dass Israel
das humanitäre Völkerrecht einhalte und sich weiterhin verstärkt darum bemühe,
den Schaden für die Zivilbevölkerung so gering wie möglich zu halten. Das
Ministerium betonte, das allgemeine Engagement eines Landes für das humanitäre
Völkerrecht werde nicht zwangsläufig durch einzelne Verstöße widerlegt, solange
das Land geeignete Schritte unternehme, um diese zu untersuchen.

Der Sender CNN hatte zuvor unter Berufung auf einen US-Regierungsvertreter
berichtet, im US-Außenministerium herrsche Uneinigkeit darüber, ob Israels
Zusagen als "glaubwürdig und zuverlässig" akzeptiert werden sollten.

Kritik kam auch aus Bidens eigener Partei. Der Bericht habe mit Blick auf
den konkreten Einsatz von US-Waffen "eine große Lücke", zitierten mehrere Medien
den demokratischen Senator Chris Van Hollen. Zwar sei das Ministerium zu einer
allgemeinen Schlussfolgerung gekommen. Man habe es aber "versäumt, die harte
Arbeit einer Bewertung vorzunehmen" und sich letztlich davor "gedrückt", die
eigentlichen Kernfragen zur Einhaltung des humanitären Völkerrechts zu
beantworten.

Terroristen der Hamas und anderer islamistischer Gruppen hatten am 7.
Oktober in Israel ein verheerendes Massaker vor allem an Zivilisten angerichtet.
Seitdem führt Israel Krieg gegen die Hamas im Gazastreifen. Die hohe Zahl
ziviler Opfer im Gaza-Krieg und die humanitäre Katastrophe für die
palästinensische Zivilbevölkerung haben international scharfe Kritik am Vorgehen
Israels ausgelöst. Die USA als wichtigster Verbündeter Israels drängen die
Regierung in Jerusalem schon länger dazu, den Schutz der Zivilbevölkerung zu
verstärken und mehr humanitäre Hilfe in den Gazastreifen zu lassen./trö/DP/he

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