22.05.2024 07:03:43 - dpa-AFX: POLITIK: Meloni statt Medici - Deutscher will ins Rathaus von Florenz

FLORENZ (dpa-AFX) - Das ist natürlich der Traum eines jeden Wahlkämpfers.
Kaum dass Eike Schmidt auf der Piazzale Michelangelo angekommen ist, dem
Aussichtspunkt hoch über Florenz, brandet Applaus auf. Ein freudiger Blick zu
den Leuten oben auf der Mauer. Bis der Kandidat fürs Bürgermeisteramt
feststellen muss, dass der spontane Beifall jemand anderem gilt: der Sonne, die
heute wieder einmal besonders spektakulär hinter den Dächern der toskanischen
Hauptstadt versinkt. Bei solch außerirdischer Konkurrenz nimmt von ihm niemand
Notiz.

Dabei kann sich Schmidt keineswegs über zu wenig Aufmerksamkeit beklagen. In Florenz kennt ihn praktisch jeder. Für seine acht Jahre als Direktor der
Uffizien - mit jährlich fünf Millionen Besuchern eines der wichtigsten Museen
der Welt - bekam er viel Lob. Die Bewerbung fürs Rathaus hat ihn nun auch
international prominent gemacht. Ein Deutscher als Bürgermeister von Italiens
vielleicht schönster Stadt, gewiss einer der meistbesuchten? Selbst die "New
York Times" berichtete groß. Die Entscheidung fällt im Juni.

Italienische Frau, italienischer Pass

Dass der Kunsthistoriker - geboren in Freiburg, Studium in Heidelberg,
Promotion über die Elfenbein-Skulpturen der Medici, einer der großen
Herrscherfamilien von Florenz, dann ein paar Jahre in den USA - überhaupt
kandidieren darf, verdankt er seiner Frau. Schmidt ist mit der Kunsthistorikerin
Roberta Bartoli verheiratet. Seit November besitzt er auch einen italienischen
Pass. Ein Parteibuch hat der 56-Jährige in keinem seiner beiden Länder. Bei der
Kommunalwahl in der 362 000-Einwohner-Stadt am 8./9. Juni - zeitgleich mit der
Europawahl - tritt er als "Mann der Mitte" an, mit einer Bürgerliste.

Getragen wird seine Bewerbung jedoch von der rechten Dreier-Koalition, die
in Rom seit anderthalb Jahren an der Regierung ist - für einen Mann aus der
Kulturszene alles andere als selbstverständlich. Die Leute, mit denen Schmidt in
den vergangenen Jahren viel zu tun hatte, kritisieren Ministerpräsidentin
Giorgia Meloni besonders hart. Deren Partei Fratelli d'Italia (Brüder Italiens)
hat ihre Ursprünge in der postfaschistischen Bewegung. Auch heute noch machen
hochrangige Meloni-Freunde aus ihrer Verehrung für Diktator Benito Mussolini
(1883-1945) keinen Hehl. Sie selbst vermeidet es, sich als "Antifaschistin" zu
bezeichnen.

Als Kandidat der Rechten in einer linken Stadt

Schmidt nicht. "Als Deutscher schäme ich mich für die Dinge, die die
Deutschen in Italien und in ganz Europa getan haben. Deshalb bin ich
Antifaschist." Dann fügt er hinzu, dass auch die Fratelli dem Faschismus "schon
lange ganz klar abgeschworen" hätten. Heute seien sie allenfalls eine
"postpostpostfaschistische Partei". Der Kandidat versucht den Spagat: Schmidt
will die rechten Wähler nicht verprellen, Florenz wählt traditionell aber eher
links. Den letzten christdemokratischen Bürgermeister im Palazzo Vecchio direkt
neben den Uffizien, wo einst auch die Medici regierten, gab es vor einem halben
Jahrhundert.

Dass er überhaupt eine Chance hat, liegt daran, dass die Linke - wie so oft
in Italien - auch in Florenz mit sich selbst im Streit liegt. Der
sozialdemokratische Amtsinhaber Dario Nardella darf nach zwei Amtszeiten nicht
mehr kandidieren, aus den Reihen seiner Partei Partito Democratico (PD) machen
sich zwei Frauen Konkurrenz. Insgesamt sind es zehn Bewerber. Schmidts erstes
Ziel ist nun, in die Stichwahl zu kommen. Das sollte gelingen. Aller
Wahrscheinlichkeit nach ginge es dann gegen die offizielle PD-Kandidatin Sara
Funaro (48).

Viel Lob für acht Jahre in den Uffizien

In Deutschland gibt es nach einer Zählung des Städte- und Gemeindebunds mehr als 80 Bürgermeister namens Schmidt. Aber in Italien wäre er tatsächlich der
Erste. Wobei: Auf den Wahlplakaten ist das Eike deutlich größer - auch, weil
viele Italiener mit der Aussprache seines Nachnamens Probleme haben. Von Chmied
bis Smitt hört man alles. Ansonsten, meint er, bringe der Erstpass weder Vor-
noch Nachteile. "Das ist eine Nullrechnung: Manche wählen mich nicht, weil ich
Deutscher bin. Andere geben mir die Stimme, weil ich von außen komme."

Umso mehr stellt er seine Bilanz als Uffizien-Direktor heraus. Die kann sich sehen lassen. Schmidt hat der früher arg verstaubten Heimstätte der
Michelangelos und Botticellis eine völlig neue Ordnung verpasst. Als er anfing,
hatte das Museum nicht einmal eine Internet-Seite. Mit den Besucherzahlen
stiegen auch die Einnahmen: auf 60 Millionen Euro bei 30 Millionen Fixkosten. Da
blieb einiges übrig. Trotzdem war, wie üblich, nach zwei Amtszeiten Schluss.
Seit Januar leitet Schmidt nun das zweitgrößte Nationalmuseum des Landes, das
Capodimonte in Neapel. Für die Zeit des Wahlkampfs ist er beurlaubt.

Absage an Billigtourismus

Das Versprechen ist nun, ebenso wie im Museum in der ganzen Stadt
aufzuräumen: bessere Straßen, weg mit dem Drogenhandel, bezahlbare
Sozialwohnungen, neue Ideen gegen den Massentourismus. Florenz gehört in Italien
zu den Städten, die besonders schwer unter den Besuchermassen leiden. "Hier
wurde jahrzehntelang der Billigtourismus gefördert", sagt er. "Das muss sich
ändern." Falls es mit dem Chefposten im Palazzo Vecchio doch nichts werden
sollte, kann er wieder als Museumsdirektor nach Neapel. Die Wohnung mit seiner
Frau in Florenz will er jedoch behalten. So oder so./cs/DP/zb

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