16.05.2024 14:42:12 - dpa-AFX: POLITIK: Änderung bei Statistik zu antisemitischen Straftaten

BERLIN/WIESBADEN (dpa-AFX) - Antisemitische Straftaten werden in der
bundesweiten Polizeistatistik für 2024 nur noch dann als rechts eingeordnet,
wenn dafür konkrete Anhaltspunkte vorliegen. Wie ein Sprecher des
Bundeskriminalamts (BKA) am Donnerstag auf Anfrage mitteilte, galt bis Ende 2023
die Regelung, dass der Phänomenbereich rechts zu wählen sei, sofern keine
Anhaltspunkte für einen anderen Phänomenbereich - links, ausländische Ideologie
oder religiöse Ideologie - vorlagen.

"Gemäß aktuellen bundesweiten Abstimmungen wurde diese Regelung ausgesetzt", sagte der Sprecher der Deutschen Presse-Agentur. Für antisemitische Straftaten
mit Tatzeit ab dem 1. Januar 2024 gelten seinen Angaben zufolge nun dieselbe
Erfassungsregelung wie für andere politisch motivierte Straftaten. Das heißt:
Lässt sich ein antisemitischer Sachverhalt anhand von Tätermerkmalen,
verwendeten Symbole oder anderer Anhaltspunkte nicht einem Phänomenbereich
zuordnen, ist demnach nunmehr die Kategorie "sonstige Zuordnung" zu wählen. Die
Statistik für das Jahr 2023 will Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am
kommenden Dienstag gemeinsam mit BKA-Präsident Holger Münch vorstellen.

Die Methoden zur Erfassung politisch motivierter Straftaten durch die
Polizei sollten aus Sicht von Innenexperten der Grünen insgesamt überarbeitet
werden. Kernpunkt ihrer Forderungen, die sie am Donnerstag in Berlin vortrugen,
ist die Berücksichtigung der Perspektive der Betroffenen und damit auch eine
andere Systematik der Erfassung von Tatmotiven. Die Polizei sollte ihrer Meinung
nach verpflichtet werden, die Einschätzung von Opferzeugen zum Tatmotiv und zur
gesellschaftlichen Wirkung der Tat in die Ermittlungen einzubeziehen.
Wünschenswert wäre zudem ein stärkerer Austausch zwischen Polizei und Justiz, um
in Zukunft eine Verfahrensverlaufsstatistik zu ermöglichen.

Die Statistik des Bundeskriminalamts zur Politisch motivierten Kriminalität
(PMK) wird mit Daten der Länder erstellt und jährlich veröffentlicht. Die
Straftaten werden mit Aufnahme der polizeilichen Ermittlungen und damit bereits
beim ersten Anfangsverdacht erfasst. Ob ein Vorfall vor Gericht landet und wie
das Verfahren ausgeht, lässt sich daraus nicht ablesen.

Unbefriedigend ist für die Parlamentarische Geschäftsführerin der
Grünen-Bundestagsfraktion, Irene Mihalic, die hohe Zahl von politisch
motivierten Straftaten, die keinem Phänomenbereich zugeordnet werden. Unschärfen
habe es zuletzt auch bei der Einordnung antisemitischer Straftaten gegeben,
sagte Mihalic.

Madeleine Henfling, innenpolitische Sprecherin der Grünen im Thüringer
Landtag, kritisierte, Opfer politisch motivierter Kriminalität würden immer
wieder auf den Privatklageweg verwiesen, ohne dabei Unterstützung zu erfahren.
Sie müssten mit ihren Erfahrungen ernst genommen werden. Statt "wirrer
Kategorien" wie "Männerfeindlichkeit" bräuchte es beispielsweise auch
"Sozialdarwinismus" als Vorurteilsmotivation.

Bei der Vorurteilskriminalität sei das Dunkelfeld groß, sagte Britta
Schellenberg von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Zu wenig beachtet
werde zudem die Wirkung solcher Taten über die direkt Betroffenen hinaus. Ein
Angriff auf eine Muslimin mit Kopftuch könne auch bei anderen Frauen mit
Kopftuch Sorgen auslösen oder eine Änderung ihres Verhaltens bewirken. Bei der
Würdigung der Umstände von Straftaten der Hasskriminalität sei neben anderen
Aspekten auch die Sicht von Betroffenen einzubeziehen, sagte der BKA-Sprecher.

Die Statistik zur politisch motivierten Kriminalität zeigt für 2023 eine
deutliche Zunahme rechtsextremistischer Straftaten. Laut vorläufigen Zahlen des
Bundesinnenministeriums zählte die Polizei im vergangenen Jahr bundesweit 28 945
solcher Delikte, nach 23 493 rechtsextremistischen Straftaten im Jahr
2022./abc/DP/men

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