17.06.2024 20:07:52 - dpa-AFX: ROUNDUP: Scholz und Co wollen rasche Entscheidung über EU-Kommissionsspitze

BRÜSSEL (dpa-AFX) - Gut eine Woche nach der Europawahl zeichnet sich eine
Einigung auf eine zweite Amtszeit von Ursula von der Leyen als
EU-Kommissionspräsidentin ab. Am Rande eines informellen EU-Gipfels am Montag in
Brüssel sprachen sich etliche Regierungschefs für die Deutsche aus. Sie wollten
eine Verständigung über die zukünftige Besetzung von Spitzenposten erzielen. Bei
einem EU-Gipfel kommende Woche stehen dann die endgültigen Entscheidungen an.

Europäischer Rat will aufs Gas drücken

Bundeskanzler Olaf Scholz stellte sich vor dem Gipfel zwar nicht öffentlich
hinter von der Leyen, sagte aber: Die Europawahl habe eine "stabile Mehrheit"
für das Mitte-Rechts-Bündnis EVP, die Sozialdemokraten und die Liberalen
gebracht. Deshalb sei er sich ganz sicher, dass man in kürzester Zeit zwischen
den politischen Familien und Länder Verständigung erzielen könne. "Das wäre auch
wichtig, (...) weil wir leben in Zeiten, die schwierig sind. Und da ist es
wichtig zu wissen, wie es weitergeht mit Europa", ergänzte der SPD-Politiker.

Auch andere Staats- und Regierungschefs betonten, dass es jetzt schnell
gehen müsse. Er glaube nicht, dass die europäischen Bürger "dankbar sein werden,
wenn die Politiker hier in Brüssel wochenlang darüber reden, wer welche Rolle
übernehmen wird, wenn es so viele dringende Probleme auf europäischer und
globaler Ebene gibt", sagte der irische Regierungschef Simon Harris.

Wahlsieger EVP kann Ansprüche stellen

Der luxemburgische Regierungschef Luc Frieden wies auf das klare
Wahlergebnis hin und sagte, die EVP habe Anspruch auf das Amt der
Kommissionspräsidentin. Bei der Europawahl vom 6. bis 9. Juni hatte das
Mitte-Rechts-Bündnis EVP mit der CDU-Politikerin von der Leyen als
Spitzenkandidatin das mit Abstand beste Ergebnis erzielt. Auf Platz zwei landete
die europäische Parteienfamilie der Sozialdemokraten (S&D) und auf Platz drei
die der Liberalen (Renew).

Mit Dänemarks Ministerpräsidentin Mette Frederiksen lobte auch eine
Sozialdemokratin von der Leyen: "Ich möchte sagen, dass Ursula von der Leyen in
den letzten Jahren wirklich gute Arbeit geleistet hat, als Chefin der
EU-Kommission und damit in vielerlei Hinsicht auch als Chefin der EU", sagte
sie.

Von der Leyen braucht Mehrheit

Notwendig für die Entscheidung im Gremium der Staats- und Regierungschefs
der EU-Staaten ist eine sogenannte verstärkte qualifizierte Mehrheit. Das heißt:
Es müssen neben den 13 Staats- und Regierungschefs, die wie von der Leyen der
EVP-Parteienfamilie angehören, noch mindestens sieben weitere Chefs von
Mitgliedstaaten für sie stimmen. Zusätzlich muss der Vorschlag von
Mitgliedstaaten unterstützt werden, die zusammen mindestens 65 Prozent der
Gesamtbevölkerung der EU ausmachen.

Verhandelt wird ein ganzes Paket

Neben der Präsidentschaft der EU-Kommission müssen auch die Posten des
Präsidenten des Europäischen Rates und des EU-Außenbeauftragten neu besetzt
werden. Als möglicher Kandidat für den Ratschef-Posten gilt derzeit der frühere
portugiesische Regierungschef António Costa. In dieser Position wäre der
Sozialdemokrat dann dafür zuständig, die EU-Gipfel vorzubereiten und die
Arbeitssitzungen zu leiten.

Als neue EU-Außenbeauftragte ist die liberale estnische Regierungschefin
Kaja Kallas im Gespräch. Costa gehört wie Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) der
Parteienfamilie der Sozialisten und Sozialdemokraten an, Kallas ist wie der
französische Präsident Emmanuel Macron bei den Liberalen.

Weitere Hürde steht noch bevor

Nach einer Einigung im Kreis der Staats- und Regierungschefs muss von der
Leyen noch von einer Mehrheit im Europäischen Parlament gewählt werden. Dafür
wird die Deutsche in den kommenden Wochen bei Abgeordneten für Unterstützung
werben müssen. Die Abstimmung wird frühestens in der dritten Juli-Woche
angesetzt und gilt als höchste Hürde auf dem Weg zu einer zweiten Amtszeit.
Grund ist, dass in geheimer Abstimmung gewählt wird und von der Leyen im
Parlament vergleichsweise viele Kritiker hat. So bekam sie bei ihrer Wahl 2019
nur neun Stimmen mehr als notwendig.

Von der Leyen hatte direkt nach der Europawahl angekündigt, eine Fortsetzung der bisherigen informellen Zusammenarbeit mit Sozialdemokraten und Liberalen
anstreben zu wollen. Dieses Dreier-Bündnis hätte im Parlament eine komfortable
Mehrheit von etwa 400 der 720 Stimmen.

Um die Mehrheit für eine Wiederwahl abzusichern, hat von der Leyen aber auch Gespräche mit den Grünen und bestimmten rechten Parteien nicht ausgeschlossen.
Letztere müssen ihren Angaben zufolge aber klar pro-europäisch, rechtsstaatlich
und pro-Ukraine sei. Als ein mögliches Beispiel dafür gilt die Partei Fratelli
d'Italia (Brüder Italiens) von Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni.
Offensichtlich unter anderem in Anspielung auf die Grünen sagte Scholz, dass
neben den drei großen Parteienfamilien auch noch andere "politisch ein wenig
dazu passen" würden. Im Kern seien EVP, Sozialdemokraten und Liberale aber die
"Grundlage für die Unterstützung der Kommissionspräsidentschaft"./rew/DP/ngu

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