18.06.2024 06:10:57 - dpa-AFX: Preiskampf bei Solarmodulen befeuert Boom - Europas Hersteller in Not

MÜNCHEN (dpa-AFX) - Ungeachtet des anhaltenden Solarbooms sind die
Aussichten für ein Überleben der Solarmodulproduktion in Europa düster.
Notwendig für die von der EU gewünschte Wiederbelebung der heimischen Produktion
wären ein konkreter Plan und industriepolitische Unterstützung mit besseren
Rahmenbedingungen, argumentieren Industrievertreter und Fachleute. "Zum
aktuellen Zeitpunkt ist hier ein wirtschaftlicher Betrieb einer Modulproduktion
aufgrund der aktuellen Preissituation und der Überkapazitäten aus China nicht
möglich", heißt es beim Dresdner Unternehmen Solarwatt, das seine deutsche
Fertigung in diesem Sommer schließt. "Wenn nicht schnell etwas passiert, wird es
also schon sehr bald keine europäischen Modulproduktionen mehr geben."

Dabei erwartet der Bundesverband Solarwirtschaft (BSW) in diesem Jahr in
Deutschland kräftiges Wachstum der installierten Photovoltaik-Leistung "im
unteren zweistelligen Prozentbereich". Das sagt Hauptgeschäftsführer Carsten
Körnig. An diesem Mittwoch beginnt in München die diesjährige Messe Intersolar,
der bedeutendste Branchentreff in Europa.

Nachfrage rasant gestiegen

Gesunkene Kosten haben nach Körnigs Worten dazu beigetragen, dass sich die
Photovoltaiknachfrage bei privaten Immobilienbesitzern und
-besitzerinnen in den vergangenen fünf Jahren verzehnfacht hat, und
in den vergangenen Monaten Firmen verstärkt ihre Dächer mit Solaranlagen
bestücken. "Verbraucherinnen und Verbraucher profitieren von preiswerten
Solarmodulen, aber auch große Teile der heimischen Solarbranche."

2023 wurden in Deutschland laut Bundesnetzagentur neue Solaranlagen mit 14,1 Gigawatt Leistung installiert - fast doppelt so viel wie 2022. Doch von
europäischen Modulherstellern kamen in den vergangenen Wochen Krisenbotschaften:
Neben Solarwatt schließt auch der Schweizer Produzent Meyer Burger sein
deutsches Werk.

Kaum noch Module aus Europa

Die Ursache ist Verdrängungswettbewerb in China, wo mehrere große
Modulhersteller ihren Sitz haben. Die chinesische Konkurrenz fegte schon im
vergangenen Jahrzehnt etliche Europäer aus dem Markt. "Ungefähr 94 Prozent der
PV-Module kommen aus Asien-Pazifik. Weitere drei Prozent werden von
US-Unternehmen produziert, und dann kommt Europa", sagt Eva Poglitsch,
Energieexpertin bei der Unternehmensberatung Strategy&, einer Tochter der großen
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC. "Gesamteuropa hat circa 10 bis 12 Gigawatt
Produktionskapazität pro Jahr."

Nach Daten des chinesischen Solarindustrieverbands CPIA erhöhten die
dortigen Hersteller ihre Produktion im vergangenen Jahr um 69 Prozent und
fertigten Module mit einer Leistung von insgesamt 499 Gigawatt. In der
Volksrepublik wurden 2023 knapp 217 Gigawatt installiert, wie im aktuellen
Geschäftsbericht von Tongwei nachzulesen ist, einem der großen chinesischen
Hersteller.

Preise in zwölf Monaten halbiert

Der große Rest muss also auf dem Weltmarkt abgesetzt werden, doch die USA
haben den Import chinesischer Solarmodule eingeschränkt. Deswegen steigt der
Vertriebsdruck für die chinesischen Firmen, die Folge ist Preisverfall. Nach
Zahlen des deutschen Großhändlers Pvxchange haben sich die Preise für
Standardmodule seit Mai 2023 in etwa halbiert.

Der Verdrängungswettbewerb bringt auch chinesische Produzenten in
Schwierigkeiten, manche schreiben Verluste. Ein großer Projektentwickler für
Solaranlagen ist die Münchner Baywa r.e. Sie rechnet nicht mit
einer baldigen Trendwende. "Nach der volatilen Marktsituation in den letzten
Monaten hat sich der Preis aktuell auf einem niedrigeren Niveau als noch Anfang
2023 eingependelt und wird in absehbarer Zeit nicht stark steigen", sagt
Unternehmenschef Matthias Taft.

Überangebot hält sich

"Die Hersteller von Solarmodulen haben daher weiterhin mit niedrigen
Gewinnspannen zu kämpfen und wir rechnen damit, dass sich trotz weltweit
stärkerer Nachfrage das Überangebot an Modulen im Jahr 2024 nicht auflösen
wird." Positiv auswirken könnten sich nach Einschätzung des Managers günstigere
Finanzierungskosten: "Die Nachfrage nach Modulen könnte jedoch insbesondere
durch sinkende Zinsen an Fahrt aufnehmen", sagt Taft.

Wichtigster Rohstoff für Solarzellen ist Polysilizium, und Weltmarktführer
ist Tongwei. Das Unternehmen will die Kapazität seiner Polysiliziumproduktion in
naher Zukunft von 450 000 Tonnen auf 850 000 Tonnen im Jahr nahezu verdoppeln,
ebenfalls im Geschäftsbericht des in der Provinz Sichuan ansässigen Unternehmens
nachzulesen.

Deutsche Firma produziert in Asien

Auch der Dresdner Hersteller Solarwatt lässt ab diesem Sommer in Asien
fertigen. "Die Module seien weiterhin zu 100 Prozent Solarwatt-Module, betont
der Unternehmenssprecher. Forschung und Entwicklung bleiben in Dresden. Der
Heimatstandort soll auch vorerst nicht zurückgebaut werden. "Wenn sich die
Marktbedingungen bessern, könnte Solarwatt die deutsche Fertigung wieder
hochfahren."

Ob das gelingt, hängt von der europäischen Politik ab. Der "Net Zero
Industry Act" der EU soll gewährleisten, dass für den Klimaschutz bedeutende
Industrie nicht aus Europa verschwindet. Strategy&-Energiefachfrau Poglitsch
verweist darauf, dass Europas Abhängigkeit von asiatischen Solarmodulen noch
größer sei als ehedem bei russischem Gas. Beim Gas gab es die
Ausweichmöglichkeit auf LNG-Gas. "Eine solche Ausweichmöglichkeit gibt es beim
Markt für Solarmodule nicht."

EU-Gesetz birgt Chancen

Der Net Zero Industry Act ist nach Poglitschs Einschätzung eine Chance für
europäische Hersteller. "Trotz des schwierigen Markts spielen europäische
Hersteller bei Innovationen im Bereich Photovoltaik sehr weit vorne mit." Die
Politik müsse aber Anreizmechanismen und Regularien schaffen.

Auch Hersteller Solarwatt begrüßt den Beschluss zum Net-Zero Industry Act,
aber dieser allein werde nichts verändern. "Die Solarbranche in Europa braucht
endlich einen konkreten Plan, wie es gelingen soll, dass 40 Prozent des
Photovoltaik-Zubaus aus europäischen Fertigungen kommen sollen", heißt es bei
dem Unternehmen. "Erst wenn die Rahmenbedingungen klar sind, werden Hersteller
wieder bereit sein, in den Standort Deutschland bzw. Europa zu investieren."

Für europäische Hersteller wäre es mehr als bitter, wenn sich die heimische
Produktion trotz des Solarbooms nicht lohnte. Laut Bundesverband Solarwirtschaft
zeigen jüngste Repräsentativbefragungen bei Unternehmen und privaten
Immobilieneigentümern "eine sehr hohe Investitionsbereitschaft in Photovoltaik
und Batteriespeicher", wie Hauptgeschäftsführer Körnig sagt./cho/DP/zb
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BAYWA AG VINK.NA. O.N. 519406 Xetra 20,950 26.06.24 17:35:04 -0,050 -0,24% 0,000 0,000 21,100 21,000
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