16.07.2024 12:59:27 - dpa-AFX: SPORT/ROUNDUP: Zäsur für Hannover 96 und DFL? Martin Kind ist abgesetzt

KARLSRUHE (dpa-AFX) - Martin Kind ist nicht mehr Geschäftsführer des
Fußball-Zweitligisten Hannover 96. Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied in
Karlsruhe, dass die Absetzung eines der streitbarsten Funktionäre des deutschen
Profifußballs vor zwei Jahren rechtens war und nun wirksam ist.

Abgesetzt hatte den 80 Jahre alten Hörakustik-Unternehmer die Führung des
eigenen Muttervereins Hannover 96 e.V. Die Vereinsseite und Kind an der Spitze
des ausgegliederten Profifußball-Bereichs liefern sich seit Jahren eine heftige
Auseinandersetzung. Vor dem Landgericht Hannover und dem Oberlandesgericht Celle
hatte sich Kind noch erfolgreich gegen seine Abberufung gewehrt. Die
Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist dagegen nach Aussage eines BGH-Sprechers
"nicht mehr mit Rechtsmitteln anfechtbar".

Kind wechselt in den Aufsichtsrat

Kind selbst äußerte sich nicht persönlich zu dem Urteil. In einer
Stellungnahme der Profifußball-Gesellschaft heißt es aber, dass er nun in deren
Aufsichtsrat wechseln wird. Dort werde er mit dem neuen Geschäftsführer
"konstruktiv für eine erfolgreiche Weiterentwicklung von Hannover 96
zusammenarbeiten".

Der Streit zwischen der Vereins- und der Kapitalseite in Hannover hat
mehrere Ebenen. Indirekt betrifft er auch die Deutsche Fußball Liga, auch wenn
die 50+1-Regel in keinem der Gerichtsverfahren verhandelt oder bewertet wurde.

Aber die e.V.-Führung ist in Hannover immer mit dem Ziel angetreten, die
50+1-Regel vor Kind zu schützen. Und mit Kind selbst wurde nun ein langjähriger
Clubboss abgesetzt, der immer als Gegner und Gefahr für diese Regel angesehen
wurde, die nur im deutschen Profifußball den Einfluss von externen Geldgebern
begrenzen soll. Dass Kind bei dem gescheiterten Investoren-Einstieg der DFL
mutmaßlich anders abgestimmt hat, als sein eigener Verein das vorgab, war einer
der Auslöser für die massiven Fanproteste gegen diesen Deal.

"Kind gebührt Dank und Respekt"

Noch größer ist der Einschnitt aber für Hannover 96. Kind wurde im September 1997 zum Präsidenten des damaligen Drittligisten gewählt. Im Dezember 1999
gliederte er den Profifußballbereich aus. Mit einer kurzen Unterbrechung von
2005 bis 2006 war Kind stets Geschäftsführer und Mehrheitsgesellschafter dieses
Bereichs. Seinen mehr als 50-prozentigen Anteil an der Profifußball-Gesellschaft
hatte er aber schon vor dem BGH-Verfahren an seinen Sohn Matthias übertragen.

Selbst Kinds größter Gegenspieler Ralf Nestler sagte als Aufsichtsratschef
des Hannover 96 e.V. jetzt: "Herrn Kind gebührt Dank und Respekt für die viele
Arbeit und die vielen, vielen Jahre, die er für Hannover 96 geleistet hat. Wir
fühlen uns bestätigt. Wir wären aber gerne einen anderen Weg gegangen. Nicht
über zwei Jahre. Und ohne Prozess wäre uns am liebsten gewesen."

Kern des Konflikts ist der sogenannte Hannover-96-Vertrag, der die
Zusammenarbeit zwischen Vereins- und Kapitalseite regeln soll. Die 50+1-Regel
schreibt zwar vor, dass die Muttervereine im Fall einer Ausgliederung des
Profibereichs die Stimmenmehrheit in der Kapitalgesellschaft behalten müssen und
ein Weisungsrecht gegenüber deren Geschäftsführern besitzen. Im 96-Vertrag steht
aber, dass diese Geschäftsführer nur dann ernannt oder abberufen werden können,
wenn beide gleichstarken Lager im vierköpfigen Aufsichtsrat dem zustimmen.

Konflikt um Hannover-96-Vertrag

Kind berief sich vor Gericht immer auf diese Satzung. Die e.V.-Führung
setzte Kind dagegen unter dem Vorwurf ab, in mehr als 100 Fällen ihr
Weisungsrecht missachtetet zu haben.

Das Urteil des Bundesgerichtshofs in diesem komplizierten Sachverhalt
erklärte der BGH-Sprecher Kai Hamdorf so: "Es ist zwar so, dass der
Abberufungsbeschluss von der Alleingesellschafterin der GmbH gefasst wurde,
obwohl laut der Satzung der Aufsichtsrat für solche Personalmaßnahmen zuständig
ist. Ein solcher Satzungsverstoß macht den Beschluss aber nicht nichtig, er ist
nur anfechtbar. Und anfechten konnte Herr Kind den Beschluss nicht, weil er
nicht Gesellschafter der GmbH ist."

Das Nebeneinander mehrerer Gesellschaften wurde in Hannover eingeführt, um
der 50+1-Regel gerecht zu werden. Kind leitete und besaß mehrheitlich immer den
Profibereich. Aber um den zu kontrollieren, wurde die Hannover 96 Management
GmbH gegründet. In deren Aufsichtsrat gibt es den Patt zwischen Kapital- und
Vereinsseite, Geschäftsführer war bis Dienstag Martin Kind. Aber sie gehört zu
100 Prozent dem Hannover 96 e.V.

Auf den ersten Blick ist die 50+1-Regel durch dieses BGH-Urteil in Hannover
nun wieder gestärkt worden. Die Vereinsführung konnte sich von einem
Kapitalgeber trennen, weil der ihre Weisungen nicht befolgt hat. Der
Hannover-96-Vertrag bleibt aber bestehen. Und deshalb müssen zwei wichtige
Fragen auch weiter geklärt werden:

Wie verhält sich die DFL in Zukunft zu den Strukturen bei Hannover 96, die
im Kern ja weiter gegen den Geist von 50+1 verstoßen? Und wer wird dort
Nachfolger von Kind als Geschäftsführer? Denn darauf haben sich Vereins- und
Kapitalseite in den zwei Monaten zwischen BGH-Verhandlung und BGH-Urteil noch
nicht einigen können./jml/sti/DP/nas

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