10.07.2024 14:04:56 - dpa-AFX: ROUNDUP 2: Pflege im Heim noch teurer - Druck für Reform

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BERLIN (dpa-AFX) - Die Pflege im Heim wird teurer und teurer. Selbst zu
zahlende Anteile für Pflegebedürftige sind trotz gerade verstärkter
Kostenbremsen weiter gestiegen, wie eine Auswertung des Verbands der
Ersatzkassen ergab. Mit Stand vom 1. Juli waren im ersten Jahr im Heim im
bundesweiten Schnitt 2.871 Euro pro Monat aus eigener Tasche fällig - das waren
211 Euro mehr als Mitte 2023. Die Belastungen nehmen damit auch mit erhöhten
Entlastungszuschlägen zu, die sich nach der Dauer des Heimaufenthalts richten.
Forderungen nach weiteren Erleichterungen in einer Pflegereform noch vor der
Bundestagswahl 2025 werden deswegen lauter.

Auch mit dem höchsten Zuschlag ab dem vierten Jahr im Heim stieg die
Zuzahlung nun im Schnitt auf 1.865 Euro je Monat, das waren 91 Euro mehr als zum
1. Juli 2023. In den Summen ist zum einen der Eigenanteil für die reine Pflege
und Betreuung enthalten. Denn die Pflegeversicherung trägt - anders als die
Krankenversicherung - nur einen Teil der Kosten. Hinzu kommen für Bewohnerinnen
und Bewohner noch Kosten für Unterkunft, Verpflegung und Investitionen in den
Heimen. Enthalten sind in der Auswertung erstmals auch Ausbildungskosten, die
ebenfalls weitergegeben werden. Sie wurden auch in die Vergleichswerte zum 1.
Juli 2023 eingerechnet.

Zuschläge sollen Kosten dämpfen

Die neuen Zahlen befeuern die Debatte um eine nächste größere Pflegereform,
die Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) angekündigt hat. Denn erst vor
einem Jahr war schon eine Reform in Kraft getreten. Damit wurden
Entlastungszuschläge, die es seit 2022 neben den eigentlichen Zahlungen der
Pflegekasse gibt, zum 1. Januar 2024 erhöht. Der Eigenanteil für die reine
Pflege wird damit im ersten Jahr im Heim um 15 statt zuvor 5 Prozent gedrückt,
im zweiten um 30 statt 25 Prozent, im dritten um 50 statt 45 Prozent und ab dem
vierten Jahr um 75 statt 70 Prozent.

Den Anstieg der Zuzahlungen konnten die Zuschläge aber nicht voll auffangen, wie die neuen Daten zeigen. Zum 1. Juli waren für die reine Pflege im ersten
Jahr im Heim im bundesweiten Schnitt monatlich 1.426 Euro fällig - Mitte 2023
waren es mit dem damals noch niedrigeren Entlastungszuschlag 1.295 Euro gewesen.
Und teurer wurden der Auswertung zufolge nun auch Unterkunft und Verpflegung in
den Heimen. Zum 1. Juli mussten Bewohnerinnen und Bewohner im Schnitt 955 Euro
im Monat dafür bezahlen, nachdem es Mitte 2023 noch 888 Euro gewesen waren.

Unterschiede in den Bundesländern

Insgesamt gibt es weiter große regionale Unterschiede, bei den Kosten für
die rund 790 000 Pflegebedürftigen in Heimen. Im Schnitt am teuersten ist ein
Heimplatz im ersten Aufenthaltsjahr in Nordrhein-Westfalen mit nun 3.200 Euro
pro Monat - am niedrigsten ist die Eigenbeteiligung in Sachsen-Anhalt mit 2.373
Euro. Ausgewertet wurden Vergütungsvereinbarungen der Pflegekassen mit Heimen in
allen Bundesländern, wie der Ersatzkassenverband erläuterte. Zum Verband gehören
etwa die Techniker Krankenkasse, die Barmer und die DAK-Gesundheit.

Lauterbach will im Herbst ein Konzept für eine Reform vorlegen. Dabei soll
es um ein Gesamtpaket für mehr Kapazitäten beim Pflegepersonal, ein stärkeres
Vermeiden von Pflegebedürftigkeit und das Schließen einer Finanzlücke gehen -
denn die Pflegeversicherung erwartet für 2024 und 2025 rote Zahlen. Schon im
vergangenen Jahr schlugen die Entlastungszuschläge bei den Pflegekassen mit 4,5
Milliarden Euro zu Buche. Die Chefin des Ersatzkassenverbands, Ulrike Elsner,
mahnte bei den Ländern an, wie eigentlich vorgesehen die Kosten für
Investitionen zu übernehmen. Allein das würde Heimbewohner um durchschnittlich
490 Euro im Monat entlasten.

"Menschen werden in Sozialhilfe getrieben"

Der Sozialverband Deutschland forderte, die Politik dürfe bei dieser
dramatischen Entwicklung der Eigenanteile nicht weiter die Augen verschließen.
"Die Menschen werden so in ihren letzten Lebensjahren in die Sozialhilfe
getrieben. Das ist eine Schande", sagte die Vorstandsvorsitzende Michaela
Engelmeier der Deutschen Presse-Agentur. Nötig sei unter anderem ein
"angemessener Bundeszuschuss".

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz erklärte, davon galoppierende Löhne
und allgemeine Preissteigerungen führten zu explodierenden Eigenanteilen. "Das
ist selbst für Menschen unkalkulierbar, die Vorsorge treffen wollen und können",
sagte Vorstand Eugen Brysch. Der Eigenanteil für die reine Pflege müsse
gedeckelt und der Entlastungszuschuss parallel zur Kostenentwicklung angepasst
werden. Brysch betonte, dass die Kostenlawine auch die ambulante Pflege zu Hause
erfasse.

Forderung nach Obergrenze für Eigenanteile

Das Bündnis Sahra Wagenknecht kritisierte, die horrenden Eigenanteile könne
man nur noch als Enteignung bezeichnen. "Es ist schlicht Staatsversagen, wie mit
der Generation umgegangen wird, die dieses Land aufgebaut hat", sagte
Parteichefin Wagenknecht. Sie forderte: "Die Eigenanteile dürfen die
Durchschnittsrente nicht übersteigen und sollten bei 1.100 Euro gedeckelt
werden."

Der Arbeitgeberverband Pflege erklärte, die Kostensteigerungen überraschten
niemanden. "Steigende Sachkosten sowie höhere Pflegelöhne treiben die Preise",
sagte Präsident Thomas Greiner. Die vorherige Regierung habe Pflegebedürftigen
mit dem Versprechen Sand in die Augen gestreut, höhere Pflegelöhne gäbe es zum
Nulltarif. "Die jetzige Regierung ignoriert das Problem." Die Pflegekräfte
verdienten eine gute Bezahlung. Wenn sie sich aber mit unnötigem Papierkram
beschäftigen müssten, "verschwenden wir ihre wertvolle Kompetenz und verbrennen
Geld"./sam/DP/mis

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