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23.05.2024 21:16:49 - dpa-AFX: POLITIK/ROUNDUP 2: Auf Druck 'von oben' - Berliner Humboldt-Uni lässt räumen

(aktualisierte Fassung)

BERLIN (dpa-AFX) - Einen Tag nach der Besetzung von Teilen der Berliner
Humboldt-Universität durch propalästinensische Aktivisten hat die Hochschule die
Räumung veranlasst - auf Druck des Senats. Die Anweisung sei von ganz oben
gekommen, sagte die Präsidentin, Julia von Blumenthal, am Donnerstagabend. Die
Polizei begleitete zunächst die Personen hinaus, die das Gebäude freiwillig
verlassen wollten. Verschlossene und teils verbarrikadierte Türen würden von der
Polizei gewaltsam geöffnet, sagte Polizeisprecherin Beate Ostertag am Abend. Wie
viele Menschen sich noch im Gebäude befänden, könne sie nicht sagen.

Die Demonstranten hatten die Räume der Universität am Mittwoch aus Protest
gegen Israel und zur Unterstützung der Palästinenser besetzt. Die Besetzer der
Gruppe namens Student Coalition Berlin werfen Israel in einer Mitteilung
"Völkermord" und "laufende Massenmorde" vor. Es gehe um die "bedingungslose
Solidarität mit dem palästinensischen Volk". Von Berliner Hochschulen fordern
sie unter anderem, dass diese sich für einen sofortigen und bedingungslosen
Waffenstillstand einsetzen und Druck auf die deutsche Regierung ausüben. Diese
solle ein Waffenembargo gegen Israel verhängen und alle militärischen,
finanziellen und diplomatischen Hilfen an Israel beenden.

Präsidentin von Blumenthal äußerte angesichts der Räumung ihr Bedauern
darüber, dass keine Verständigung erreicht worden sei. "Ich bin nicht sicher, ob
es gelungen wäre, aber ich hatte den Eindruck, dass wir einen guten Schritt
gemacht haben mit diesem Dialog", sagte sie nach Gesprächen mit den
propalästinensischen Aktivisten, die das Gebäude besetzt hatten. "Es kam dann
die Anweisung von ganz oben, die Besetzung zu beenden. Dieser Anweisung habe ich
Folge geleistet", sagte sie. Damit meinte sie den Regierenden Bürgermeister Kai
Wegner (CDU), wie sie auf Nachfrage anführte.

Blumenthal sagte zu den Gesprächen mit den Aktivisten, es sei möglich
gewesen, mit einer Moderation in gegenseitigem Respekt "über das zu sprechen, wo
wir uns vielleicht sogar annähern können und auch über das zu sprechen, was uns
trennt." Es sei möglich gewesen, auch das Leid der palästinensischen
Studierenden anzuhören. Natürlich habe sie dabei immer genauso das Leid der
jüdischen Studierenden vor Augen gehabt.

Am Donnerstagabend war die Stimmung an der Universität aufgeheizt, wie eine
dpa-Reporterin beobachtete. Am Gebäude hingen Transparente, unter anderem mit
der Aufschrift "Free Palestine". Im Hof hinter einem Zaun standen und saßen
zuvor einige Dutzend Besetzer, zum Teil mit Palästinensertüchern vermummt. Sie
skandierten in Sprechchören "Viva Palästina" und "Yallah Intifada". Intifada
bezieht sich auf Serien von Angriffen und Terroranschlägen von Palästinensern in
Israel und wird auch als Aufruf zur Gewalt interpretiert. Laut der
Aktivisten-Sprecherin hatten etwa 100 Besetzer im Institut übernachtet. Die
Universität hatte die Besetzung bis Donnerstag um 18.00 Uhr geduldet.

Der Regierende Bürgermeister Wegner hatte am Nachmittag auf der Plattform X
erklärt, er erwarte von der Humboldt-Universität, "dass sie Verantwortung
übernimmt und jetzt konsequent handelt. Der Lehrbetrieb muss fortgesetzt werden!
Unsere Universitäten sind Orte des Wissens und des kritischen Diskurses - und
keine rechtsfreien Räume für Antisemiten + Terror-Sympathisanten".

Kritik kam auch von der Gewerkschaft der Polizei (GdP). "Es gilt die
Autonomie der Lehre, und gerade Universitäten sollten als Ort des Austauschs und
der Diskussion gelten", sagte der Sprecher des Landesverbandes, Benjamin Jendro.
Das sei aber keine Legitimationsgrundlage, um sich außerhalb des demokratischen
Rahmens zu bewegen, antisemitische und menschenverachtende Parolen zu grölen,
verfassungsfeindliche Plakate hochzuhalten und Sachbeschädigungen zu begehen.

Der Konflikt im Nahen Osten ist inzwischen an deutschen Hochschulen
angekommen. Immer wieder gibt es Proteste gegen das Vorgehen Israels im
Gaza-Krieg und Aktionen von Studenten für die Solidarität mit den
Palästinensern. Eine Besetzung an der Freien Universität Berlin vor wenigen
Wochen war von der Polizei aufgelöst worden.

Nach dem Massaker der Hamas mit mehr als 1200 Toten am 7. Oktober in Israel
kamen im folgenden Gaza-Krieg laut der von der Hamas kontrollierten
Gesundheitsbehörde mehr als 35 000 Palästinenser ums Leben, wobei die unabhängig
kaum zu überprüfende Zahl nicht zwischen Zivilisten und Kämpfern unterscheidet.

In der englischen Universitätsstadt Oxford nahm die Polizei 16 Menschen bei
einer Protestaktion fest. Einem BBC-Bericht zufolge soll es sich um einen
Sitzstreik propalästinensischer Demonstranten gehandelt haben. Beamte hätten am
Donnerstagmorgen einen Platz der Universität aufgesucht, teilte die Polizei mit.
Zuvor sei berichtet worden, dass sich Demonstranten Zugang zu einem privaten
Büro in einem der Gebäude verschafft hätten./rab/DP/he

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