22.05.2024 11:30:56 - dpa-AFX: POLITIK/ROUNDUP 2: Rückzug von Europakandidat Krah aus Wahlkampf und Vorstand

(Durchgehend aktualisiert)

BERLIN (dpa-AFX) - Gut zwei Wochen vor der Europawahl bricht die AfD mit
ihrem Spitzenkandidaten Maximilian Krah. Der Bundesvorstand habe ein
Auftrittsverbot für Krah verhängt, teilte ein Parteisprecher am Mittwoch mit und
bestätigte damit eine Meldung der "Bild"-Zeitung. Krah selbst erklärte auf der
Plattform X, er verzichte auf weitere Wahlkampfauftritte und trete als Mitglied
des Bundesvorstands zurück. Hintergrund sind umstrittene Äußerungen Krahs zur SS
und ein darüber entbrannter Streit mit der französischen Rechtspartei
Rassemblement National. Krah steht aber bereits seit Wochen unter Druck.

Wie es nun mit dem Europawahlkampf der AfD weitergeht, ist unklar. Die Wahl
ist in Deutschland am 9. Juni. Auch die Nummer zwei auf der Europaliste, Petr
Bystron, soll wegen staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen nach dem Willen der
Parteispitze nicht mehr auftreten. Beide Kandidaten sind seit Wochen wegen
möglicher Verbindungen zu prorussischen Netzwerken in den Schlagzeilen.
Staatsanwaltschaften prüfen laut Medienberichten mögliche Geldzahlungen bei
beiden Politikern. Zudem wurde ein Mitarbeiter Krahs wegen mutmaßlicher Spionage
für China verhaftet.

CSU-Generalsekretär Martin Huber forderte die AfD auf, Krah zum Verzicht auf seinen Sitz im Europaparlament zu bewegen. "Es reicht nicht, dass Krah im
Wahlkampf versteckt wird. Er müsste von allen Ämtern zurücktreten und auf seinen
Sitz im Europaparlament verzichten", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Krah
äußerte sich zu seiner Zukunft im Europäischen Parlament zunächst nicht.

Interview war Stein des Anstoßes

Stein des Anstoßes war nun ein Interview Krahs mit der italienischen Zeitung "La Repubblica". Krah hatte gesagt, nicht alle Mitglieder der SS seien kriminell
gewesen. "Ich werde nie sagen, dass jeder, der eine SS-Uniform trug, automatisch
ein Verbrecher war", sagte Krah der Zeitung. Auf die Frage, ob die SS
Kriegsverbrecher seien, antwortete er: "Es gab sicherlich einen hohen
Prozentsatz an Kriminellen, aber nicht alle waren kriminell." Die
nationalsozialistische SS bewachte und verwaltete unter anderem die
Konzentrationslager und war maßgeblich für Kriegsverbrechen verantwortlich. Bei
den Nürnberger Prozessen nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde sie zu einer
verbrecherischen Organisation erklärt.

Der Rassemblement National hatte nach dem Interview angekündigt, künftig
nicht mehr in einer Fraktion mit der AfD im Europaparlament zusammenarbeiten zu
wollen. Beide Parteien sitzen dort bisher in der Rechtsfraktion ID.
RN-Parteichef Jordan Bardella begründete die Entscheidung seiner Partei im
Sender TF1: "Ich denke, dass die AfD, mit der wir im Europäischen Parlament seit
fünf Jahren zusammengearbeitet haben, Linien überschritten hat, die für mich
rote Linien sind." Nach der Wahl werde man deshalb neue Verbündete haben und
nicht mehr an der Seite der AfD sitzen.

"Nie tiefer als in Gottes Hand"

Am Mittwochvormittag beriet der AfD-Bundesvorstand nach Angaben eines
Sprechers in einer Telefonkonferenz über Krahs Äußerungen und die Folgen für die
Zusammenarbeit mit dem Rassemblement National. Als Ergebnis bestätigte der
Parteisprecher das Auftrittsverbot für Krah.

Der Kandidat selbst erklärte auf X: "Man kann nie tiefer fallen als in
Gottes Hand. Ich nehme zur Kenntnis, dass sachliche und differenzierte Aussagen
von mir als Vorwand missbraucht werden, um unserer Partei zu schaden. Das
Letzte, was wir derzeit brauchen, ist eine Debatte um mich. Die AfD muss ihre
Einigkeit bewahren. Aus diesem Grunde verzichte ich ab sofort auf weitere
Wahlkampfauftritte und trete als Mitglied des Bundesvorstands zurück."

Krah stammt aus dem sächsischen AfD-Landesverband. Er gilt als Vertrauter
des thüringischen AfD-Landeschefs Björn Höcke. Die AfD-Spitze um die
Bundesvorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla hatten bereits in den
vergangenen Wochen Distanz zu Krah erkennen lassen.

Bei Krah überprüfen Staatsanwaltschaften laut Medienberichten, ob es
Ermittlungen wegen möglicher chinesischer Zahlungen geben soll. Der sächsische
AfD-Politiker ist nach Aussagen kritischer Parteikollegen in der Vergangenheit
immer wieder mit prochinesischen Äußerungen und Aktivitäten aufgefallen. Die
sogenannten Vorermittlungsverfahren werden im Fall Krahs von der
Staatsanwaltschaft Dresden geführt, im Falle Bystrons gibt es ein ähnliches
Verfahren in München. Beide Politiker haben gegenüber der AfD-Spitze versichert,
kein Geld genommen zu haben.

Nach einem Krisengespräch mit Weidel und Chrupalla hatte Krah bereits seine
Teilnahme am Wahlkampfauftakt der AfD am 27. April in Donaueschingen abgesagt.
Später nahm er die Auftritte aber wieder auf.

Le Pen und Meloni auf Distanz - Salvini offenbar auch

Einige rechte Parteien in Europa hadern schon seit Monaten mit der AfD. Nach den Enthüllungen des Medienhauses Correctiv über ein Rechtsradikalen-Treffen in
Potsdam im Januar hatte Marine Le Pen deutliche Kritik geäußert. Es gab ein
Krisentreffen mit Weidel.

Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni von den ultrarechten Fratelli
d'Italia hatte sich Anfang des Jahres von der AfD distanziert. Sie sprach von
"unüberbrückbaren Differenzen" und bezog sich damals vor allem auf die
Beziehungen der AfD zu Russland. Die Fratelli gehören in Europa aber nicht der
ID an, sondern der Partei Europäische Konservative und Reformer (EKR).

Italienischer Partner in der ID ist die rechte Lega von Matteo Salvini.
Dieser äußerte sich zunächst nicht zu Krahs jüngsten Äußerungen. Die
italienische Nachrichtenagentur Ansa zitierte jedoch am Dienstagabend die
Delegation der Lega im Europäischen Parlament so: "Wie immer sind Matteo Salvini
und Marine Le Pen perfekt aufeinander abgestimmt und in
Übereinstimmung."/vsr/DP/ngu

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