16.05.2024 17:29:09 - dpa-AFX: ROUNDUP 2: Steuereinbruch droht Haushaltsstreit in Ampel zu verschärfen

(neu: Aktualisiert, mehr Details.)

BERLIN (dpa-AFX) - Der Haushaltsstreit in der Bundesregierung droht sich
angesichts von deutlich geringeren Steuereinnahmen als bisher erwartet zu
verschärfen. Die Steuerschätzer gehen davon aus, dass allein der Bund für das
kommende Jahr mit 11 Milliarden Euro weniger rechnen kann als noch im Herbst
angenommen. Finanzminister Christian Lindner forderte das Kabinett zur
Haushaltsdisziplin auf.

"Was ich angesichts der exorbitanten politischen Wünsche fast mantraartig
wiederhole, liegt jetzt schwarz auf weiß vor", sagte der FDP-Politiker am
Donnerstag in Berlin. Neue finanzielle Spielräume gebe es absehbar nicht. "Das
Ergebnis der Steuerschätzung zerstört also die Illusion all derjenigen, die
vielleicht vermutet haben, dass das Geld einfach so vom Himmel fällt".

Deutlich geringere Steuereinnahmen

Die schwache Konjunktur in Deutschland hinterlässt Spuren: Die
Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Kommunen fallen in den kommenden Jahren
deutlich geringer aus als im vergangenen Herbst erwartet. Die Bundesregierung
hatte ihre Konjunkturprognose kräftig heruntergeschraubt. In diesem Jahr geht
sie nur von einem Mini-Wachstum von 0,3 Prozent aus, für 2025 erwartet sie ein
Plus von 1,0 Prozent.

Nach der neuen Steuereinschätzung nimmt der Staat - Bund, Länder und
Kommunen - im kommenden Jahr 995,2 Milliarden Euro ein. Das sind 21,9 Milliarden
Euro weniger als im Herbst angenommen. Auch in den weiteren Jahren des
Schätzzeitraums bis 2028 sind deutliche Mindereinnahmen gegenüber der letzten
Schätzung zu verzeichnen ? insgesamt sind es 80,7 Milliarden Euro. Die
Steuereinnahmen liegen laut Finanzministerium im Vergleich zur Erwartung aus dem
Oktober 2023 durchschnittlich jährlich um rund 16 Milliarden Euro niedriger.

Die Prognose der Steuerschätzer ist eine wichtige Grundlage für die
Beratungen zum Bundeshaushalt 2025. Ob gespart werden muss oder ob es Raum für
zusätzliche Ausgaben gibt, hängt unter anderem von der Steuerschätzung ab. Der
Arbeitskreis Steuerschätzung mit Experten unter anderem vom Bund, den Ländern
und Kommunen kommt zweimal im Jahr zusammen, im Frühjahr und Herbst.

Lindner pocht auf Sparkurs

Der Finanzminister nannte die aktuelle Steuerschätzung einen
"Realitätscheck" für den Bundeshaushalt 2025. "Wir müssen uns von
unrealistischen Wünschen verabschieden und die Konsolidierung des Haushalts
vorantreiben. Dies erfordert Disziplin und Willenskraft." Seine Botschaft: Der
Staat hat kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem. Deswegen müssten
Ausgaben priorisiert werden.

Lindner sprach sich erneut für eine "Wirtschaftswende" aus, um das Wachstum
anzukurbeln "Nur mit einer starken wirtschaftlichen Entwicklung schaffen wir
Wohlstand und stabile Staatsfinanzen." Bürokratie müsse abgebaut, steuerliche
Wettbewerbsbedingungen verbessert werden - und Fleiß und Leistung mehr belohnt
werden. Der Sozialstaat gebe, zu wenig Anreize, zu arbeiten.

Hartes Ringen um Bundeshaushalt

Die Verhandlungen zum Bundeshaushalt 2025 waren auch schon vor der neuen
Steuerschätzung schwierig - wie auch Lindner deutlich machte. Sie dürften nun
aber noch schwieriger werden.

Der Minister sprach von einer Lücke im niedrigen zweistelligen
Milliardenbereich. Er hat Leitplanken eingezogen: Die im Grundgesetz verankerte
Schuldenbremse soll unbedingt eingehalten werden - bei SPD und Grünen sehen das
viele anders. Lindner sagte, auch eine zusätzliche Unterstützung der Ukraine
könne ohne eine Ausnahme der Schuldenbremse geleistet werden.

In dem Fall wären dann aber vermutlich größere Umschichtungen im Etat nötig. Die Schuldenbremse sieht vor, dass nur in einem begrenzten Rahmen neue Schulden
gemacht werden dürfen. Allerdings steigen vor dem Hintergrund der schwachen
Konjunktur hier die Spielräume.

Lindner zeigt sich hart

Mehrere Bundesministerien wollen sich nicht an Sparvorgaben von Lindner
halten. Er akzeptiere einige Einreichungen nicht, sagte der Finanzminister.
Harte Gespräche erwartet werden etwa über den Etat von Verteidigungsminister
Boris Pistorius (SPD) und Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD).

Dazu gibt es weitere Risiken. Lindner verwies auf mögliche
Milliarden-Mehrausgaben für die Förderung der erneuerbaren Energien. Am Ziel
hält er fest, bis Anfang Juli im Kabinett eine Einigung über den Haushalt 2025
hinzubekommen. Dann folgen die Beratungen im Bundestag, die sich bis in weit in
den Herbst ziehen dürften.

Marathon beim Haushalt

"Die Steuerschätzung wird das Aufstellungsverfahren zum Bundeshaushalt nicht erleichtern", sagte der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion,
Dennis Rohde. "Es liegt ein langer Weg vor uns, aber Haushaltspolitik ist ein
Marathon und kein Sprint." Der FDP-Chefhaushälter Otto Fricke betonte,
Deutschland müsse wieder ein attraktiver Investitionsstandort werden.

Wie genau das erreicht werden soll, darüber gibt es noch keine Einigung
innerhalb der Bundesregierung. Forderungen etwa von Bundeswirtschaftsminister
Robert Habeck (Grüne) über schuldenfinanzierte steuerliche Entlastungen lehnt
die FDP ab.

Der Grünen-Chefhaushälter Sven-Christian Kindler warnte mit Blick auf die
FDP vor einem "Sparhaushalt" auf dem Rücken von langjährigen Beschäftigten,
armen Menschen" oder zulasten des Klimaschutzes.

Union fordert Kurswechsel

Der Unions-Chefhaushälter Christian Haase sagte: "Der Steuereinbruch ist ein deutliches Warnsignal." Die politische Tristesse müsse beendet werden. "Das
Ampel-Experiment und die daraus resultierende Wirtschaftsschwäche wird mehr und
mehr zum Wohlstandsrisiko für Deutschland." CDU-Chef Friedrich Merz mahnte zur
Ausgabendisziplin: "Die Frage ist: Kommen wir denn in unseren Staat einmal mit
dem aus, was an Steuern und Abgaben erhoben wurde?"

Besorgt zeigte sich der Deutsche Städtetag. "Die Städte werden unterm Strich weniger Geld für Investitionen zur Verfügung haben", sagte Hauptgeschäftsführer
Helmut Dedy. "Zum einen steigen die Steuereinnahmen deutlich weniger als
erwartet, zum anderen fressen steigende Kosten die zusätzlichen Einnahmen
komplett auf."/hoe/DP/men

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