16.05.2024 06:24:50 - dpa-AFX: VERMISCHTES: Hitler-Käfer und Mussolini-Falter - Wieso dürfen Tiere so heißen?

ERLANGEN (dpa-AFX) - Gerade mal fünf Millimeter ist er klein und lebt eher
verborgen in Höhlen. Obwohl selbst viele Fachleute den Käfer noch nie zu Gesicht
bekommen haben, erregt er die Gemüter. Der Grund ist sein wissenschaftlicher
Name: Anophthalmus hitleri. Der braune, augenlose Käfer wurde nach Adolf Hitler
benannt - und steht wegen seines Namens bei bestimmten Sammlern hoch im Kurs.
Ein anderer Stein des Anstoßes ist im Naturkundemuseum in Berlin ausgestellt:
der Dinosaurier Dysalotosaurus lettowvorbecki, benannt nach Paul von
Lettow-Vorbeck, der als Kommandeur der deutschen Kolonialarmee an Gräueltaten in
Afrika beteiligt war.

Beispiele wie diese gibt es einige. Meist sind es Tiere, die vor langer Zeit wissenschaftlich beschrieben wurden. Doch darf man das in Zeiten hinnehmen, in
denen Straßen umbenannt, Denkmäler abgerissen und generell kritisch über Sprache
nachgedacht wird? Auch in der Wissenschaftsgemeinde wird durchaus über
umstrittene Tiernamen diskutiert. Doch so schnell wird sich wohl nichts ändern.
Was man dazu wissen muss:

Wie werden Tiere wissenschaftlich benannt?

Jedes Jahr werden weltweit tausende neue Tierarten beschrieben. Wie die
Taxonominnen und Taxonomen dabei vorzugehen haben, ist in den internationalen
Regeln für die zoologische Nomenklatur festgelegt. Inhaltliche Vorgaben mache
die Nomenklatur dabei nicht, sagt der Zoologie-Professor Michael Ohl vom Museum
für Naturkunde in Berlin. Die Forschenden können die Namen frei wählen, sofern
diese technisch korrekt gebildet werden. "Diese gelten, sobald sie publiziert
sind und können dann auch nicht mehr gestrichen werden."

Eine lange Tradition habe dabei, neu entdeckte Tierarten nach Personen zu
benennen - um einem großzügigen Geldgeber zu schmeicheln, Familie oder Freunde
zu ehren oder mithilfe prominenter Namensgeber Aufmerksamkeit zu erregen, wie
Ohl in seinem Buch "Die Kunst der Benennung" schreibt. So trägt eine
Tausendfüßler-Art den Namen von Popstar Taylor Swift, Käfer sind nach dem
Schauspieler Leonardo DiCaprio und der Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg
benannt, eine Mottenart erinnert an den früheren US-Präsidenten Donald Trump.

Welche Namen werden unter anderem kritisch gesehen?

Am Beispiel des Hitler-Käfers und eines nach dem italienischen Diktator
Benito Mussolini benannten Falters zeigt sich besonders deutlich, dass die
Benennung nach Personen zum Problem werden kann. Was ist, wenn eine Politikerin
in extremistische Kreise abdriftet oder ein Filmstar wegen sexueller Übergriffe
vor Gericht steht? Artnamen können nach Ansicht von manchen Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftlern auch diskriminierend oder rassistisch sein.

Die Paläobiologin Emma Dunne von der Universität Erlangen-Nürnberg hat
zusammen mit anderen Fachleuten die Namen aller bekannten - etwa 1500 -
Dinosaurier untersucht. Vor der Publikation möchte die Wissenschaftlerin nicht
über die Ergebnisse der Studie sprechen. Laut einem Bericht der Fachzeitschrift
"Nature" fand das Team unter anderem heraus, dass viele zwischen 1908 und 1920
in Tansania entdeckte Fossilien nach deutschen Forschern statt nach
einheimischen Expeditionsteilnehmern benannt wurden oder die Namen leiteten sich
von kolonialen Ortsbezeichnungen ab. Die Mehrheit der Namen mit einer
geschlechtsspezifischen Endung war demnach außerdem männlich.

Wie groß ist das Problem?

Etwa 20 Prozent der Tiernamen sind nach einer Schätzung der internationalen
Kommission für zoologische Nomenklatur - dem Gremium, das die Regeln zur
Benennung herausgibt - sogenannte Eponyme. Das sind Namen, die Personen ehren
sollen. Diese seien damit die größte Gruppe von Namen, die Anstoß erregen
könnten, schreibt die Kommission in einer Stellungnahme. Toponyme, also
Ortsnamen, könnten ebenfalls als beleidigend empfunden werden. Sie machten etwa
10 Prozent der Namen aus. "Somit könnten mehrere Hunderttausend akzeptierte
wissenschaftliche Namen infrage gestellt werden", heißt es.

Bei den Dinosaurier-Namen bewerteten die Forschenden weniger als drei
Prozent als problematisch. In Zahlen ausgedrückt sei das Problem wirklich
unbedeutend, erklärt Mitautor Evangelos Vlachos vom Paläontologischen Museum im
argentinischen Trelew in dem "Nature"-Bericht. Dennoch sei es von großer
Relevanz: Man müsse die bisherige Praxis kritisch überprüfen und versuchen,
Fehler zu korrigieren, fordert er.

Was sagt die internationale Kommission für zoologische Nomenklatur dazu?

Die Kommission lehnt eine Umbenennung von Tieren aus ethischen Gründen ab.
"Wir verstehen natürlich, dass manche Namen Unbehagen oder Anstoß erregen
können, sagt der Taxonomist Daniel Whitmore vom Staatlichen Museum für
Naturkunde in Stuttgart, der Mitglied der Kommission ist. Priorität habe aber
eine universelle und stabile Nomenklatur, damit es keine Verwirrung gebe. "Es
ist nicht unsere Aufgabe, darüber zu urteilen, ob Namen beleidigend oder ethisch
nicht vertretbar sind, denn das ist eine sehr subjektive und persönliche
Angelegenheit", ergänzt er. "Es wäre also schwierig, eine Entscheidung zu
treffen, mit der alle zufrieden sind."

Dass es nach den Nomenklatur-Regeln aktuell nicht möglich ist, Tierarten
umzubenennen, kann der Berliner Zoologe Ohl nachvollziehen. "Da will die
Kommission auch ohne Weiteres nicht ran, weil sie nicht weiß, wie das im Detail
umgesetzt werden muss, um Klarheit zu schaffen - und weil sie Angst hat, die
Büchse der Pandora zu öffnen", sagt er. Aber die Kommission müsse sich damit
auseinandersetzen und Kriterien finden, wie mit ethisch fragwürdigen Namen am
besten umgegangen werden sollte. "Der Druck aus der Gesellschaft und der
Wissenschaftsgemeinschaft ist groß."

Ist die Diskussion westlich geprägt?

Der Taxonomist Rohan Pethiyagoda aus Sri Lanka findet: Ja. Wenn Tierarten
umbenannt werden würden, hätte das aus seiner Sicht zur Folge, dass Forschende
wie er von ihrer eigentlichen Aufgabe abgelenkt würden, die biologische Vielfalt
der Erde zu beschreiben. Stattdessen müssten sie sich mit Themen beschäftigen,
die in Ländern wie Sri Lanka keine Rolle spielten, schreibt Pethiyagoda im
Fachjournal "Megataxa". Wissenschaftliche Namen zu ändern hält er nicht für
sinnvoll: Die meisten Arten haben ihm zufolge Alltagsnamen, die
wissenschaftlichen Namen verwendeten in der Regel nur Fachleute.

Auch Whitmore denkt, dass die Diskussion nicht die breite Masse beschäftigt. Wenn wissenschaftliche Namen geändert werden sollen, kann man einen Antrag bei
der Kommission einreichen, die dann in einem längeren Entscheidungsprozess unter
Einbeziehung der Wissenschaftsgemeinde entscheidet, wie der Experte erläutert.
Solche Anträge habe es gegeben, wenn etwa Namen fachlich falsch waren. "Bisher
hat aber niemand die Änderungen eines Namens aus ethischen Gründen beantragt."
Auch nicht bei Anophthalmus hitleri.

Gibt es eine andere Lösung?

"In einem Fall wie bei dem Hitler Käfer würde eine Umbenennung gar nicht
viel ändern", meint Ohl. Denn der Name würde nicht komplett verschwinden. Oft
haben Tiere mehrere wissenschaftliche Bezeichnungen, in einer Art Katalog werden
diese deshalb alle unter dem aktuell gültigen Namen aufgelistet. Wer den
Hitler-Käfer wegen des Namens sammeln wolle, werde dies auch weiter tun, meint
Ohl.

Eine Möglichkeit, sich kritisch mit umstrittenen Tiernamen
auseinanderzusetzen, wäre zum Beispiel, in Museen deren Geschichte zu
thematisieren, um zum Nachdenken anzuregen. Beim Dysalotosaurus lettowvorbecki
hat das Berliner Naturkundemuseum das bereits getan. "Die strengen Regeln der
Taxonomie schließen leider eine spätere Änderung von einmal vergebenen Artnamen
aus", heißt es auf einer Schautafel./igl/DP/zb

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