10.05.2024 10:02:13 - dpa-AFX: POLITIK/Wahlkampf in Südafrika: 'Beunruhigender Trend' politischer Morde

SALDANHA BAY (dpa-AFX) - Dreimal versuchten Attentäter, Arthur Gqeba zu
töten. Zweimal kam der Gemeindevorsteher in der Kleinstadt Saldanha Bay, zwei
Autostunden nördlich der Touristenmetropole Kapstadt, mit dem Leben davon,
einmal schwer verletzt mit 13 Kugeln im Körper. Doch den dritten Anschlag
vergangenen September überlebte der 39-Jährige nicht. Als er sein Auto abends
nach einer Gemeinderatssitzung in seiner Einfahrt parkte, wurde er abgepasst.
Vor den Augen seiner Frau wurde der Vater von sechs Kindern mit fünf Schüssen
getötet. Die Polizei leitete eine Untersuchung wegen versuchten Mordes ein.
Sechs Monate später gibt es noch keine Spur.

Gqeba hatte keinen einflussreichen Posten. Er war ein Lokalpolitiker,
beliebt und unverblümt, der in seiner Gemeinde etwas bewegen wollte. Gqeba
forderte Untersuchungen, wenn er Korruption vermutete, setzte sich für die
gerechte Verteilung staatlicher Mittel ein, kämpfte gegen Vetternwirtschaft.
"Deshalb war er für viele ein Dorn im Auge", sagt sein Onkel Vivid Mgoqi über
den Lokalpolitiker von der Regierungspartei Afrikanischer Nationalkongress
(ANC). "Arthur hat mehrfach Morddrohungen erhalten." Gqebas Witwe Ntombekhaya
Gqeba erzählt von einem Gemeinderat aus der Nachbarschaft, der kriminellen
Netzwerken das Handwerk legen wollte und vor wenigen Monaten ebenfalls
erschossen wurde. "Es gab viel politischen Neid, weil der Mann angesehen war und
Nägel mit Köpfen machen wollte."

Hunderte von politischen Morden

Politische Morde sind keine Seltenheit in Südafrika, dem
61-Millionen-Einwohner-Land am Südzipfel Afrikas, das der ehemalige Präsident,
Freiheitskämpfer und Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela vor 30 Jahren von
der rassistischen Apartheid, während der eine weiße Minderheit die schwarze
Mehrheit unterdrückte, in die Demokratie führte. Allein in den vergangenen fünf
Jahren soll es nach Angaben von Präsident Cyril Ramaphosa Hunderte Auftragsmorde
an Politikern gegeben haben. Es gebe einen "zutiefst beunruhigenden Trend von
Angriffen", sagte Ramaphosa.

Laut einem Bericht der Global Initiative Against Transnational Organized
Crime handelt es sich dabei um ein etabliertes kriminelles Netzwerk. Ein
Auftragsmord kostet demnach, je nach Ranghöhe des Politikers, zwischen 150 Euro
und 15 000 Euro. Ein "erheblicher Anteil aller gezielten Tötungen" in Südafrika
sei politisch motiviert, heißt es in dem Bericht. Auftragsmorde ermöglichten
korrupten Politikern oder Unternehmern, politische Rivalen auszuschalten,
erklärt Kim Thomas, Analystin bei der Global Initiative. Einige Politiker würden
ermordet, weil sie korrupt seien, andere, weil sie Korruption bekämpften, so
Thomas.

"Es kommt zur Kollusion zwischen Politikern, Beamten und kriminellen
Unternehmern, die sich am Staat bereichern wollen und dafür bereit sind,
ehrliche Politiker auszuschalten", erklärt Karam Singh, der Direktor der
südafrikanischen Organisation Corruption Watch. In Südafrika gehe es in der
Politik oft nicht darum, das Beste für die Gesellschaft erreichen zu wollen,
sagt auch Lizette Lancaster vom südafrikanischen Institut für
Sicherheitsstudien. Viele Leute stiegen aus rein finanziellen Gründen in die
Politik ein, um sich selbst und Geschäftspartnern Zugang zu lukrativen
öffentlichen Ausschreibungen sichern. "Natürlich ist das illegal, aber
öffentliche Mittel werden von vielen Politikern als Möglichkeit zur
Selbstbereicherung angesehen", erklärt Lancaster.

Auch der Südafrikanische Verband für Kommunalverwaltung (Salga) beklagt den
zunehmenden Trend politischer Morde. Quer durchs Land würden öffentliche
Vertreter und Beamte bedroht, eingeschüchtert, angegriffen und getötet; ihre
Häuser und Fahrzeuge würden niedergebrannt, sagt Salga-Sprecher Sandiswa Pholo.
So gut wie jede Woche gebe es einen neuen Fall. Besonders betroffen seien die
Provinzen Westkap ? in der Saldanha Bay liegt ? und KwaZulu-Natal im Südosten
des Landes. Daher sei es kein Wunder, dass immer weniger kompetente Südafrikaner
bereit seien, sich zur Wahl zu stellen. Pholo bezeichnet die Auftragsmorde daher
als "direkten Angriff auf unsere hart erkämpfte Demokratie".

Entscheidende Wahl am 29. Mai

Am 29. Mai stehen die Parlamentswahlen an, bei denen Südafrika indirekt
einen Präsidenten wählt. Auch die Regierungen in den neun Provinzen Südafrikas
werden neu aufgestellt. Noch nie seit Ende der Apartheid 1994 stand es um die
frühere Freiheitsbewegung und heutige Regierungspartei Afrikanischer
Nationalkongress (ANC) so schlecht. Umfragen zufolge könnte der ANC erstmals auf
weniger als 50 Prozent der Stimmen kommen, damit seine absolute Mehrheit
verlieren und erstmals eine Koalitionsregierung eingehen müssen.

Nach 30 Jahren ANC-Regierung ist die Frustration unter Südafrikanern
spürbar. Von der Regenbogennation, die Mandela 1994 mit der Vision eines
Rechtsstaats mit Chancengleichheit als Grundlage einer inklusiven Gesellschaft
gründete, ist nicht mehr viel übrig. Korruption und Vetternwirtschaft haben den
Staat systematisch ausgehöhlt, staatliche Unternehmen sind bankrott, der
Dienstleistungssektor ist nur bedingt funktionsfähig und die Wirtschaft
strauchelt, während Arbeitslosigkeit, Armut und soziale Spannungen steigen.

Gespräche über Kriminalität sind in Südafrika so häufig wie in anderen
Ländern Unterhaltungen über das Wetter. Die Polizeistatistiken zu Diebstählen,
Einbrüchen und Gewaltverbrechen sind angsteinflößend. Allein zwischen Anfang
Oktober und Ende Dezember 2023 sind in Südafrika demnach mehr als 7700 Menschen
vorsätzlich getötet worden ? doch nur 42 Mörder wurden im gleichen Zeitraum
verurteilt.

Die ungesunde Kombination aus extrem hoher Kriminalität, niedriger
Verurteilungsrate sowie einem mangelhaften Justizsystem habe zu einer
"Rechtlosigkeit" innerhalb Südafrikas geführt, sagt der politische Analyst
Collins Mweke. Verbrecher müssten kaum Konsequenzen fürchten. Allein seit Januar
sind Polizeiangaben zufolge zehn Lokalpolitiker erschossen worden. Vuyolwethu
Zungula, der Vorsitzende der Oppositionspartei African Transformation Movement
(ATM), bezeichnet die Zahlen als "Krise und äußerst beunruhigenden Trend".

Selbst Polizeiminister Bheki Cele, dessen Ministerium jedes Quartal
steigende Kriminalitätsraten verzeichnen muss, spricht offen über das Phänomen
politischer Auftragsmorde: "Bei den Angriffen handelt es sich um eine Mischung
aus politischer Intoleranz, der Ausschaltung von Konkurrenten und in manchen
Fällen purer Geldgier." Wenige Wochen vor dem Wahltag will Cele für die Erfolge
einer Spezialeinheit werben, die er vor einigen Jahren geschaffen hat. Allein in
der Provinz KwaZulu-Natal, aus der Cele stammt, seien bereits 360 Verdächtige
verhaftet und 65 Täter verurteilt worden, so der Minister. Auch in anderen
Provinzen seien Spezialeinheiten gegründet worden.

Drohungen, Erpressung und Anschläge

Doch Lokalpolitiker schreiben Celes Erklärungen als Wahlkampf-Gaukelei ab.
Wer ein politisches Amt übernähme, müsse mit Drohungen, Erpressungsversuchen
oder Gewalt rechnen, sagt Liwani Siyabulela, der Fraktionsvorsitzende des ANC im
Gemeinderat von Saldanha Bay. "Wenn du hier in Südafrika in die Politik gehst,
muss dir klar sein, dass du dich in Gefahr begibst", meint Siyabulela. "Sobald
du eine Position hast, die dir Zugang zu finanziellen Mitteln gibt, wirst du zur
Zielscheibe."

Auch dem Bürgermeister von Saldanha Bay, André Truter, der der
Oppositionspartei Demokratische Allianz (DA) angehört, ist Gewalt nicht fremd.
"Mein Amtsantritt vor drei Jahren begann mit einer Morddrohung", erzählt er. Die
Polizei habe ihm nahegelegt, sich Bodyguards zuzulegen. Truter, ein ehemaliger
Polizist, wollte sich aber nicht einschüchtern lassen und lehnte ab. Dass er das
Thema Sicherheit trotzdem ernst nimmt, ist jedoch offensichtlich.

Eintritt zu Truters Bürogebäude erhält man durch eine doppelte
Sicherheitsschleuse. Über seinem Schreibtisch hängt ein großer Bildschirm, der
Truter den steten Blick auf 16 Überwachungskameras gewährt. Jedes Mitglied in
seinem Stadtrat wurde mit einem Panikknopf mit GPS-Ortung ausgestattet, der
Signale direkt an die Polizei sendet. Man müsse auf alles vorbereitet sein,
meint Truter: "Die würden dich sogar in der Kirche erschießen."/kpa/DP/men

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