26.05.2024 14:37:40 - dpa-AFX: 'Tourists go home!' - Großprotest gegen Massentourismus auf Mallorca

PALMA (dpa-AFX) - "Tourists go home!", "Touristen, geht heim!", schrien die
Menschen immer wieder, als sie in Palma an Terrassen voller ausländischer Gäste
vorbeizogen. Tausende protestierten auf Mallorca gegen Massentourismus. Unter
dem Motto "Sagen wir Basta!" und "Mallorca steht nicht zum Verkauf!" gingen am
Samstagabend nach Polizeischätzung rund 10 000 auf die Straße. Die Organisatoren
sprachen von 25 000 Teilnehmern.

In einem waren sich aber alle einig: Es war ein "historischer" Protest, wie
die Regionalzeitungen "Diario de Mallorca" und "Última Hora" schrieben. Es sei
eine der größten Kundgebungen, die es jemals auf Mallorca gegeben habe, hieß es.

Der Unmut ist groß und wird immer größer

Die Demonstranten, darunter auch viele Familien mit Kindern, Schüler und
Studenten sowie Rentner, skandierten beim Marsch über Palmas Flaniermeile
Passeig del Born Slogans wie "Wer Mallorca liebt, zerstört es nicht". Es gab
auch viele Plakate mit Aufschriften wie "Wenn sie uns ein Dach verweigern,
verweigern sie uns die Zukunft". Dem Protest schlossen sich Gewerkschaften,
Umweltschutzgruppen und verschiedene Bürgerinitiativen an.

Dazu aufgerufen hatte die jüngst gegründete Organisation "Banc de Temps de
Sencelles". Sie macht die immer größer werdende Zahl der Besucher und der
Ferienwohnungen für die Wohnungsnot auf Mallorca und für die "Zerstörung" der
spanischen Mittelmeerinsel verantwortlich. Die Sprecher der Gruppe riefen die
Behörden in einer Rede zum Abschluss der Demo dazu auf, den Wohnungsnotstand
auszurufen.

Zu Recht, sagt Alba Martínez. "Ich bin alleinerziehende Mutter zweier Kinder und bald schmeißt mich mein Vermieter raus. Die Preise kann man nicht mehr
bezahlen, man muss handeln", sagte sie "Diario de Mallorca". Der Unmut ist groß
und wird immer größer. "Wohin man auch schaut, es sind alles Ausländer hier",
skandierten die Protestler.

Überlebenswichtiger Tourismus - und doch profitiere nur eine Minderheit

Für die Insel ist Tourismus zwar überlebenswichtig. Die Branche steht für 45 Prozent der Wirtschaftsleistung Mallorcas. Aber wie auch bei Protesten in
anderen Tourismushochburgen des Landes, etwa im April auf den Kanaren, wird
beklagt, dass nur eine Minderheit profitiert, während die große Mehrheit im
florierenden Sektor schlecht bezahlte Jobs bekommt und unter Wohnungsnot, Staus,
Lärm, Schmutz leidet.

Eine Inszenierung der Protestler gab die Stimmung deutlich wieder: Eine als
reiche Touristin verkleidete Teilnehmerin schlenderte hochnäsig zwischen den
Tischen der Cafés umher - und zog einen "einheimischen Sklaven" hinter sich her.
"

Die Balearen sind klein, haben nur knapp 1,2 Millionen Einwohner. Voriges
Jahr kletterte die Zahl der Besucher auf fast 18 Millionen, davon 14,4 Millionen
aus dem Ausland. Das sind fast zehn Prozent mehr als 2022 und doppelt so viele
wie vor 20 Jahren. Inzwischen gibt es kaum jemand, der die Notwendigkeit einer
Begrenzung der Besucherzahlen infrage stellt.

Sogar Immobilienmakler solidarisieren sich

Sogar Immobilienmakler, die vom Anstieg der Häuserpreise profitieren,
schickten den Protestlern eine Solidaritätsbotschaft. Der Druck des
Massentourismus sei "unhaltbar", Wohnraum "unzugänglich", so der Maklerverband
Abini.

Auch die Politik weiß, dass es fünf vor zwölf ist. Wenige Tage vor dem
Protest versprach die seit einem Jahr amtierende konservative Regionalpräsident
Marga Prohens Maßnahmen. "Das Modell hat seine Grenze erreicht", sagte sie. "Der
Erfolg im Tourismus führt nicht zu Wohlstand für die Bürger."

Die Verdrossenheit, der Zorn, die Verzweiflung sind vor allem am Ballermann, der deutschen Partyhochburg, groß. Nicht nur die Anwohner schimpfen. Dem
Präsidenten der Playa-Hoteliers, Pedro Marín, war voriges Jahr trotz einer
Superauslastung von 97 Prozent nicht zum Feiern zumute. Der 47-Jährige klagte,
wegen Auswüchse, Sauftourismus und Kriminalität sei es "eine der schlimmsten
Saisons aller Zeiten" gewesen.

Kundgebung nach Restaurant-Einsturz mit vier Toten

Die Kundgebung stand unter dem Eindruck des Restaurant-Einsturzes am
Ballermann. Beim Unglück gab es am Donnerstag vier Tote, darunter zwei junge
Frauen aus Deutschland. Als Ursache werden Baumängel und Überlastung vermutet.

Anwohner sind überzeugt, viele Gebäude des Gebiets seien nicht geeignet für
den Massentourismus. Es gebe zudem kaum Kontrollen der Behörden, klagte Carmen
Nogueira, Präsidentin des Nachbarverbandes AAVV Playa de Palma. "Wäre das
Unglück um Mitternacht passiert, hätte es 200 Tote gegeben."/er/DP/he

© 2000-2024 DZ BANK AG. Bitte beachten Sie die Nutzungsbedingungen | Impressum
2024 Infront Financial Technology GmbH