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07.07.2024 15:48:43 - dpa-AFX: ROUNDUP: Neuer Präsident im Iran - Gedämpfte Hoffnung auf Wandel

TEHERAN (dpa-AFX) - Nach seinem Sieg bei der Präsidentschaftswahl im Iran
steht der vergleichsweise moderate Kandidat Massud Peseschkian vor großen
Herausforderungen. Viele seiner Wähler dürften einen Politikwechsel von ihm
erwarten. Ob der gelingen kann, hängt von mehreren Faktoren ab. Der ehemalige
iranische Präsident Hassan Ruhani sieht mit Peseschkians Wahl zugleich die
Gelegenheit zur Wiederaufnahme der Atomverhandlungen gekommen, zitierte die
Zeitung "Shargh" den Ex-Regierungschef.

Peseschkian hatte sich in einer Stichwahl am Freitag mit 53,7 Prozent der
Stimmen gegen seinen ultrakonservativen Herausforderer Said Dschalili
durchgesetzt. Der Politiker gehört zum Lager der Reformbewegung. Deren Anhänger
wollen die Islamische Republik von innen reformieren, ohne dabei die
grundsätzlichen Machtverhältnisse anzutasten - etwa die absolute Autorität des
Religionsführers im Staat. Beobachter sehen den Sieg als Schlag für die
konservative Führungselite und Erfolg für das relativ gemäßigte reformistische
Lager, das in den vergangenen Jahren von der Politik abgeschottet war.

Peseschkian sagte am Samstag, es gelte nun, "die diversen Herausforderungen
und Krisen zu bewältigen". Derer gibt es einige: Der Iran ist wegen seines
umstrittenen Atomprogramms mit internationalen Sanktionen belegt und vom
weltweiten Finanzsystem weitgehend abgeschnitten. Das Land benötigt
Investitionen in Milliardenhöhe, Arbeitslosigkeit und Einkommensungleichheit
sind hoch. Die Gesellschaft ist nicht erst seit der jüngsten Protestwelle, die
2022 durch den Tod einer jungen Frau in Händen der Sittenpolizei ausgelöst
worden war, stark gespalten. Außenpolitisch schwelt zudem der Konflikt mit
Israel und dem Westen.

Religionsführer Chamenei will Kooperation der Lager

Peseschkian hat eine Verbesserung der Beziehungen zum Westen angekündigt und im Wahlkampf die Kopftuchpolitik im Land kritisiert. Angesichts der komplexen
politischen Gemengelage und mächtigen Interessengruppen im Iran ist jedoch
unklar, inwiefern vom Stichwahlsieger Peseschkian tatsächlich ein signifikanter
Kurswechsel zu erwarten ist. Beobachter gehen davon aus, dass er versuchen wird,
sowohl die Innen- als auch Außenpolitik neu zu gestalten und so auch die
angeschlagene Wirtschaft wieder anzukurbeln.

Wie viel Einfluss Peseschkian haben wird, hängt zugleich maßgeblich von
Religionsführer Ajatollah Ali Chamenei ab, dem mächtigsten Mann im Staat. Hinzu
kommen einflussreiche Interessengruppen wie etwa die Revolutionsgarden - Irans
Elitestreitmacht, die auch eine maßgebliche Wirtschaftsmacht im Land ist. Ob es
zu erkennbaren Kursänderungen kommt, werden die Revolutionsgarden
mitentscheiden.

Wie die Zeitung "Shargh" unter Berufung auf Parlamentsabgeordnete
berichtete, soll Peseschkian am 4. oder 5. August vereidigt werden. Danach habe
der Präsident 15 Tage, um sein Kabinett vorzustellen. Ab dem 22. August soll
dieses durch das Parlament bestätigt werden. Dort haben die Hardliner die
Mehrheit. Religionsführer Chamenei rief nach der Wahl Peseschkians und der
Niederlage des Hardliner-Kandidaten dazu auf, "die politische Rivalität nun in
Freundschaft" umzuwandeln. Dass die Erzkonservativen mit dem verfeindeten Lager
der Moderaten kooperieren werden, gilt dennoch als unwahrscheinlich.

Mehrheit der wahlberechtigten Iraner hat nicht gewählt

Irans politisches System vereint seit der Revolution von 1979
republikanische und auch theokratische Züge. Freie Wahlen gibt es jedoch nicht:
Der sogenannte Wächterrat, ein mächtiges islamisches Kontrollgremium, prüft
Kandidaten stets auf ihre Eignung. Von 80 Präsidentschaftsbewerbern ließ der
Wächterrat diesmal nur sechs als Kandidaten in der ersten Wahlrunde zu.

An einen Wandel im Land glauben die wenigsten Iraner und Iranerinnen.
Reformen des politischen Systems seien nicht möglich, heißt es oft resigniert.
Wie bereits bei der diesjährigen Parlamentswahl waren die Wochen vor der
Abstimmung von auffälliger Gleichgültigkeit geprägt. In der ersten Runde schlug
sich das in einer historisch niedrigen Wahlbeteiligung von rund 40 Prozent
nieder. In der Stichwahl erreichte die Beteiligung dann 49,8 Prozent.

Die vorgezogene Wahl folgte auf den Tod von Amtsinhaber Ebrahim Raisi, der
im Mai bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben gekommen war. Seine knapp
dreijährige Amtszeit war von politischer Repression, Protestwellen und einer
Verschlechterung der Wirtschaftslage geprägt.

Neuer Präsident will Vertrauen des Volkes zurückgewinnen

Auch vor diesem Hintergrund warb Peseschkian im Wahlkampf für ein neues
Vertrauensverhältnis zwischen Regierung und Volk. Politische Erfahrung bringt er
mit. Während der zweiten Präsidentschaft von Mohammed Chatami (2001-2005) war
Peseschkian Gesundheitsminister. Trotz seiner gemäßigten Rhetorik stellte er
sich hinter die mächtigen Revolutionsgarden und lobte den Angriff mit Drohnen
und Raketen auf den Erzfeind Israel im April. In den TV-Debatten bezeichnete er
sich selbst als wertkonservativen Politiker, der jedoch Reformen für notwendig
hält./arb/DP/he

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